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Frösche im heißen Wasser? published on

Frösche im heißen Wasser?

Als wir mit der ÖBV-Bäuerinnenreise vor zwölf Jahren Ecuador bereisten, war mir zum Speien übel. Nicht wegen ungewohnten Essen, sondern der Anblick der ausgedörrten Erde löste bei mir Übelkeit aus: tiefe Risse im Erdboden. Sie waren sogar von Bergrücken zu Bergrücken sichtbar, während Großgrundbesitzer im Tal Millionen Liter Wasser in den vielen Folienhäusern für die Blumenzucht, die ganze Landstriche bedecken, verbrauchen.Als ich im Sommer wieder einmal mein Elternhaus besuchte, und von Bergrücken zu Bergrücken schaute, war mir zum Weinen zumute. Im ersten Moment konnte ich es gar nicht benennen, was sich in der Landschaft verändert hatte. Erst beim mehrmaligen Hinschauen zum benachbarten Hügel fiel es mir auf: Die markante Obstbaumreihe mitsamt der angrenzenden Hecke war gerodet worden. Solange ich mich erinnern kann, prägte sie die Landschaft und schenkte Nahrung und Unterstand. Jetzt ist dort eine gut befahrbare Wiese angelegt, am Rand lagert eine lange Reihe hellgrüner Siloballen. Kein Haselstrauch, kein Stacheldrahtzaun, kein Baum, kein ausladender Ast, der im Weg stehen könnte.

Meine Mutter erzählte mit trauriger Stimme, jetzt habe auch dieser Hof die Weidehaltung aufgegeben. Es ist der vorletzte Hof gewesen, der bisher noch die Kühe und ihren Nachwuchs geweidet hatte. Statt wie bisher gewohnt in der warmen Jahreszeit vergnügt über die grüne Wiese zu grasen, müssen sich die Rinder jetzt mit jenem Futter abfinden, welches ihnen neuerdings „unabhängig“ vom Wechsel der Jahreszeit und „leistungsgerecht“ im Futterbarren vorgesetzt wird. Ihre natürliche Bewegungslust müssen sie auf die betonierte Fläche des Laufstalls und des Auslaufs beschränken. Dazu kommt, die Rindern zu enthornen, um sie „laufstallgerecht“ zu halten, und dass überzähliges Vieh auf der Versteigerung verkauft werden kann. Denn Jungrinder mit Hörnern werden erst gar nicht zugelassen zum Verkauf auf Versteigerungen.

Momentan gibt es in dieser Gegend des Alpenvorlandes, wo mein Elternhaus steht, von rund vierzig Höfen nur mehr einen einzigen, auf dem die Tiere noch auf die Weide gehen können. Eine von vielen kleinen, schleichenden Veränderungen in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren. Was passiert mit der Landwirtschaft? Was sind das für Agrarprogramme, die allmählich die ländliche Struktur kaputt machen und schleichend die Dörfer aushöhlen? Welche Art der Agrarpolitik stülpt sich da übers Land, dass sie Bauern und Bäuerinnen dazu bringt, in allmählichen Schritten die Landschaft auszuräumen, die Selbstversorgung aufzugeben, die traditionelle Weidehaltung aufzulassen, zu enthornen und den eintönigen Aufenthalt der Rinder im Laufstall und im betonierten Auslauf als „tiergerecht“ zu akzeptieren?

Haben Österreichs Bauern und Bäuerinnen mit ihren kleinstrukturierten Höfen ein solches Anpassungsverhalten entwickelt, wie vergleichsweise die Frösche in dem berühmten Experiment? Dabei werden Frösche behutsam in ein mit kühlem Wasser gefülltes Gefäß gesetzt. Nur ganz allmählich erhöhen die Wissenschaftler die Temperatur, in kleinen Schritten. Die Frösche gewöhnen sich an die geringfügigen Veränderungen und ertragen sie. Sie verharren solange darin, bis es am Ende zu spät ist. Die Frösche sterben. Setzt man sie experimentell in heißes Wasser, so ergreifen sie sofort die Flucht und springen aus dem Gefäß.

von Monika Gruber, Biobäuerin im Mostviertel