Skip to content
Landwirtschaftskammer: Ist da ein Wolf im Schafstall? published on

Landwirtschaftskammer: Ist da ein Wolf im Schafstall?

Statt einer Diskussion der Pflichtmitgliedschaft brauchen wir eine Debatte über die Pflichten gegenüber den Mitgliedern – und gegenüber der Gesellschaft. Aktuell kommen einige Fragen zu kurz. Etwa: Was ist eigentlich eine öffentlich-rechtliche Interessenvertretung?

Kommentar von Franziskus Forster

Hermann Schultes, Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich, war vergangene Woche im Ö1-“Morgenjournal” und am Sonntag in der “Pressestunde”. Zentraler Anlass war neben Glyphosat vor allem die Frage der Pflichtmitgliedschaft in der Landwirtschaftskammer. Schultes bezeichnete die Kammer als “Behörde” mit Verwaltungsaufgaben, die auch Service bietet. Nach Brüssel hin orientiert ist sie eine “Lobbyorganisation”. Das mag alles auch Ziel und Aufgabe der Landwirtschaftskammer sein. Aber der Kernauftrag wurde mit keinem Wort erwähnt: Interessenvertretung. Dabei wäre gerade das zentral, um eine Pflichtmitgliedschaft wirklich zu legitimieren.

Der verfassungsmäßige Kernauftrag

Im demokratischen Alltag sind Konflikte der Normalfall, ergo geht es um die Bearbeitung von Konflikten und um die Frage der Aushandlung von Interessen. Landwirtschaftlich ausgedrückt: Konflikte zwischen Berg und Tal, Hörndl- und Körndlbauern, zwischen bio und konventionell und zwischen Groß und Klein. Was tun bei Konflikten? Laut Verfassung geht es um die “Sicherung einer wirksamen und umfassenden Vertretung beruflicher, wirtschaftlicher und sozialer Interessen” (Art. 201/2). Dafür gibt es zwei Voraussetzungen. Erstens einen Interessenausgleich: Der Interessenvertretung nach außen muss der demokratische Interessenausgleich nach innen vorausgehen. Zweitens muss dieser Zusammenschluss “gegnerfrei” sein. Soziale Gegenspieler können nicht in der gleichen Organisation zusammengeschlossen sein. Ein klassisches Beispiel für die Gegnerfreiheit ist deshalb die Trennung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern erhält genau dadurch ihren Sinn: eine demokratische Bearbeitung von Konflikten und eine demokratische Aushandlung der Interessen einer Berufsgruppe. Dazu gehört der konstruktive Umgang mit Konflikten. Unzählige Beispiele zeigen, dass es gerade hier hakt. Daran schließt sich die Frage an: Warum spricht Schultes also mit keinem Wort über diesen verfassungsmäßigen Kernauftrag?

Eine notwendige Abgrenzung

Diese verfassungsmäßige Definition hat gute Gründe: die Abgrenzung zum System des austrofaschistischen Ständestaats – und zum völkisch-nationalsozialistischen System. Ein ehemaliger Kammerdirektor der Landwirtschaftskammer Niederösterreich, Engelbert Dollfuß, war nicht nur Diktator, sondern hat auch der Kammer den Ständestaat aufgeprägt. Eine autoritäre Struktur und das “integrale Prinzip” waren dabei charakteristisch. Das integrale Prinzip besagt, dass der Interessenausgleich zwischen gegensätzlichen Interessen zwangsweise innerhalb der Organisation zu erfolgen hat, Interessenharmonie von Gegensätzen – per Zwang. Charakteristisch für den Ständestaat ist weiters das Zurücktreten der Interessenvertretung hinter Aufgaben der Staatsverwaltung. Das autoritäre Prinzip schlägt sich in autoritären Strukturen nieder. Die Kammern als Apparat zur Verwaltung des Bauernstands, als Apparat zum Durchgreifen von oben. Gerade deshalb ist die per Verfassung garantierte demokratische Ausrichtung der Kammern so wichtig: damit so etwas nie wieder passiert.

Notwendig wäre deshalb eine vehemente Verteidigung dieser demokratischen Grundsätze. Doch wo ist dieser Interessenausgleich? Wo ist die demokratische Kultur? Im Folgenden einige Beispiele, die dringend diskutiert gehören.

Giebelkreuz for President?

Warum hat der Raiffeisenverband einen Sitz in der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs? Aus den einstigen lokalen Selbsthilfeorganisationen haben sich agrarische Großunternehmen mit internationaler Verflechtung entwickelt. Raiffeisen hat sich zu einem Konzern entwickelt, der nahezu alles im der Landwirtschaft vor- und nachgelagerten Bereich kontrolliert: Faktisch wird nahezu der gesamte Agrar- und Betriebsmittelmarkt beherrscht. Nicht nur als Abnehmer und Weiterverarbeiter von Agrarprodukten, nicht nur als Lieferant von Betriebsmitteln, nicht nur als eine der größten Kreditorganisationen Österreichs. Auch über Mühlen, Molkereien, Versicherungen et cetera et cetera.

Demgegenüber sind Bauern und Bäuerinnen “Preisnehmer”, das heißt, grundsätzlich in einer abhängigen Position, sowohl gegenüber dem vorgelagerten als auch gegenüber dem nachgelagerten Bereich. Ein Paradebeispiel für Interessengegensätze. Niemand hat diese Vertreter in die Präsidentenkonferenz gewählt. Von kartellrechtlichen Fragen ganz zu schweigen. Wie kann es sein, dass ein Verband, der 90 Prozent der in Österreich angelieferten Milch kontrolliert und dem 95 Molkereien und Milchverarbeiter gehören, zugleich in der obersten Instanz der bäuerlichen Interessenvertretung sitzt? Wie kann es sein, dass ein Konzern direkt Gesetze begutachten darf, Aufgaben von Behörden übernimmt und Fragen der Preispolitik mitbestimmt?

“Die Bauern” gibt es nicht. “Die Landwirtschaft” auch nicht

Zweites Beispiel: Glyphosat. Schultes spricht von “den Bauern” und “der Landwirtschaft”, die Glyphosat brauchen. Er unterstellt hier eine Scheineinheit. Nein, nicht manche Bauern brauchen Glyphosat, sondern “die Landwirtschaft”. Keine Rede von Biobetrieben, auf deren Nachbarfeldern Glyphosat ausgebracht wird. Keine Rede von all den Bauern und Bäuerinnen, die ohne Glyphosat wirtschaften wollen. Schultes bezeichnet die Machtkonzentration von Konzernen zu Recht als bedrohlich für die Landwirtschaft. Im gleichen Atemzug betreibt er aber Lobbypolitik für ebendiese, indem er Glyphosat vehement verteidigt.

Für Monsanto und Co mögen zwar die Patente für Glyphosat ausgelaufen sein, aber warum lobbyieren gerade sie mit allen erdenklichen Mitteln für eine Verlängerung? Weil es allgemein um die Zukunft der Regulierung von Pestiziden geht. Weil es um ihr Geschäftsmodell geht. Dies geht bekanntlich allzu oft auf Kosten einer bäuerlichen Landwirtschaft sowie auf Kosten von Gesundheit und Umwelt. Interessenausgleich sieht anders aus. Die Zukunft der Landwirtschaft liegt jenseits von Glyphosat. Alternativen gibt es genügend – solange sie nicht ignoriert werden.

Höfesterben und Verschuldung

Drittes Beispiel: Täglich müssen seit 1995 rund elf Bauernhöfe zusperren. Die Kammer zeichnet ein Bild des individuellen Versagens. So betrachtet haben von 1995 bis 2013 ein Drittel der Betriebe (in Zahlen: 71.600) individuell versagt beziehungsweise zugesperrt. Über die Verantwortung einer Interessenvertretung angesichts des massiven Höfesterbens wird nicht geredet. Der Landwirtschaftskammer entschwindet seit Jahren die eigene Basis. Warum läuten hier nicht die Alarmglocken? Weitere Konfliktfelder: Auch der Freihandel spaltet. Die Mehrheit der Bauern und Bäuerinnen will nicht nach Kanada oder Brasilien exportieren, leidet aber unter Billigimporten. Die Landwirtschaft wird oft anderen Interessen geopfert. Warum trägt die Landwirtschaftskammer diese “Bauernopfer” mit?

Die Frage ist nicht pro oder kontra Pflichtmitgliedschaft. Es geht um die Pflichten einer Interessenvertretung gegenüber ihren Mitgliedern. Der Wert einer Mitgliedschaft bemisst sich an ihren demokratischen Rechten und an der Ausgestaltung der Interessenpolitik mit Blick auf ein demokratisches Gemeinwesen. Aktuell ist hier viel Luft nach oben. Sowohl aus historischen Gründen als auch aus Verantwortung gegenüber den nachfolgenden Generationen brauchen wir eine demokratische, mutige und weitsichtige Interessenvertretung. Derzeit ist diese nur schwer erkennbar.

Franziskus Forster ist Biobauer und arbeitet bei der Österreichischen Berg- und Kleinbäuer_innenvereinigung (ÖBV) Via Campesina Austria.

derstandard.at/2000070304812/Landwirtschaftskammer-Ist-da-ein-Wolf-im-Schafstall