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Agrarwende und Care-Revolution published on

Agrarwende und Care-Revolution

In der Landwirtschaft gehen produktive und reproduktive Tätigkeiten fließend ineinander über. Sorge-Arbeiten werden oft als selbstverständlich vorausgesetzt und meist von Frauen gemacht. Anerkennung und Wertschätzung dafür gibt es kaum.

Artikel von Maria Vogt, der in der Zeitschrift „Bäuerliche Zukunft“ Nr. 385 zum Schwerpunkt „Sorgenfalten – Sorge entfalten“ erschienen ist.

Beim Bäuerinnenkabarett haben wir die Szene „Vor lauter Arbeit“ entwickelt. Die Bäuerin sagt von der Früh weg ihre Tätigkeiten auf: Betten machen, Wäsche waschen, im Stall die Kühe und Kälber versorgen, Brotteig kneten, Einkaufen, Kochen, Geschirrspüler einräumen, … – Dann, nach zehn Minuten Mittagsruhe: „Arbeitsgewand anziehen, jetzt gehe ich raus, weil schließlich soll ich zu einer richtigen Arbeit heute auch noch kommen!“ Der Bauer setzt noch eins drauf, indem er sich beschwert, dass er immer allein bei der Arbeit draußen steht. Die Frage, was richtige Arbeit ist, hängt auch von der Sichtbarkeit ab. Mit dem Traktor am Acker, das wird gesehen. Die wiederkehrenden Arbeitsbereiche der Sorge, Pflege, Haushalt, Kinder- und Altenbetreuung, sich um andere oder etwas kümmern (Mental Load), das Vorbereiten, Nachbereiten, Rundherum und Dazwischen sind unsichtbar. Doch ohne diese vielen Handgriffe und Tätigkeiten geht gar nichts.

Warum werden die Sorge-Arbeiten hauptsächlich von Frauen geleistet und warum wird ihr Wert für die Gesellschaft nicht anerkannt oder entsprechend entlohnt? Weil es immer schon so war? Weil der Kapitalismus das Arbeiten für Profit befeuert und patriarchale Gesellschaften Frauen und Natur ausbeuten bzw. als unerschöpfliche Ressource betrachten?

Ungerecht

Das Umfeld, in dem wir aufwachsen, prägt uns in unseren Rollen und Vorstellungen von Arbeit. Meine Schwester und ich mussten jeden Samstagnachmittag das ganze Haus putzen, während meine Brüder mit ihren Freunden Fußball spielten. Mir war damals klar, dass wir damit die Arbeit der Mutter entlasteten. Ungerecht fand ich es trotzdem, besonders, auch das Zimmer der Brüder aufzuräumen. Der Gender Care Gap zeigt immer noch die große Schieflage bei der Verteilung von unbezahlter Care-Arbeit: Frauen leisten 44 % mehr bei Haushalt, Kinder- oder Altenbetreuung als Männer. Auf Bauernhöfen wird die Zahl mindestens genauso hoch sein.

Was bedeutet es für Frauen, ihre Zeit und Kraft bereitzustellen, an einen Ort gebunden zu sein, für die Pflegearbeit zuständig zu sein oder sich zuständig zu fühlen? Wer kleine Kinder betreut, kennt das gut: Da bleibt wenig Möglichkeit für eigene Bedürfnisse und Entwicklung, geschweige denn für politisches Engagement. Auch wird oft angenommen, dass Kinder- oder Altenbetreuung am Hof sowieso nebenbei geht. Bäuerinnen sind zusätzlich zu den Care-Arbeiten selbstverständlich in diversen landwirtschaftlichen Bereichen am Hof tätig. Weil betriebsfremde Arbeitskräfte teuer sind und der Frau eben die landwirtschaftliche Arbeit auch taugt. Dazu kommt noch die Sorge um die Zukunft des Hofes angesichts des Wachstumsdrucks durch die Agrarpolitik. Burnout und körperliche Schäden durch Überbelastung sind die Folgen.

Grenzgänger*innen

Gerade in der Landwirtschaft sind wir Grenzgänger*innen zwischen produktiver und reproduktiver Arbeit. Wenn ich z.B. beim Melken das Schaf anspreche, es mit der Hand melke und berühre, Tempo und Eigenheiten berücksichtige, wie könnte da eine Bilanz im Vergleich mit einem Melkroboter aussehen? Dazu sei vermerkt: Wir melken unsere zehn Schafe erst nachdem die Lämmer zwei Monate bei der Mutter saugen durften. Unter einer gängigen betriebswirtschaftlichen Sichtweise ist unsere Milchschafhaltung unwirtschaftlich. Doch diese Beziehungs-Arbeit, beim Stück Käse unsichtbar und unbezahlbar, ist für die Schafe ein Gewinn. Auch für die Gesellschaft fallen mit artgerechter Tierhaltung weniger Folgekosten an. Und für uns Bäuer*innen? Wir haben durch sorgsames Landwirtschaften doch nur mehr Arbeit und weniger Einkommen, oder? Wahrscheinlich schon. Aber ist es ethisch vertretbar, Lebewesen als Betriebsmittel zu sehen? Wo bleiben da Empathie, Würde, Freude und Sinn der Arbeit? Wie viele landwirtschaftliche Arbeiten sind unsichtbar und unbezahlt? Es wird nicht genügen, innerhalb der aktuellen agrarpolitischen Förderbedingungen einige neue „grüne“ Maßnahmen dazu zu stellen. Wir brauchen eine Agrarwende und eine Care-Revolution, eine fairsorgende, solidarische Wirtschaft und Gesellschaft. Eine nicht auf Maximierung ausgerichtete Landwirtschaft, sondern eine vor- und fürsorgende Landwirtschaft, die sich an die Bedürfnisse von Tieren und Menschen orientiert, die das Klima schützt, die Artenvielfalt fördert, Böden lebendig erhält. Ein gutes Miteinander auf diesem Planeten bedeutet: Ernährungssouveränität und Agrarökologie mit der Care-Revolution zusammenbringen. Sich gemeinsam auf den Weg machen und für das Leben wirtschaften. Sorge-Arbeit – für sich selbst, füreinander und für die natürliche Mitwelt – ins Zentrum des Wirtschaftens zu stellen, heißt die Lebensgrundlagen für alle zu sichern. Mehr Zeit, Geld und Anerkennung für alle, die für andere sorgen. Eine gerechte Verteilung der Sorge-Arbeit zwischen den Geschlechtern und diese unbezahlte Arbeit als wichtigen Teil des Wirtschaftens anerkennen. So wird echte Friedensarbeit geleistet! Solidarische Bildung für alle Menschen ermöglicht eine friedfertige Zukunft. 

Warum und wie sollen wir dorthin kommen wollen?

Es sind die harten Fakten, Klimanotstand, Verlust der Artenvielfalt, aber auch „Altlasten“ wie Kriege, Hunger, soziale Ungerechtigkeit, Rassismus, Patriarchat, etc., die aufzeigen, dass es ein „Weiter wie bisher“ nicht geben kann. Auch nicht für uns in den sogenannten entwickelten Ländern und schon gar nicht für Frauen. Uns der Frage zu stellen: Wann habe ich genug? Was sind meine Grundbedürfnisse? Aus der Komfortzone auszubrechen, erfordert Mut, Widerstand und Visionen. Transformation nicht nur zu diskutieren, sondern „in die Welt zu bringen“, kann unsere Denk- und Lebensweise auf den Kopf oder besser auf die Füße stellen. Sich loszulösen von herrschenden Konzepten wie Konkurrenzkampf, Individualisierung, Machtkonzentration, Maximierung, Auslagerung von Kosten … und aus dem Hamsterrad herauszusteigen: Das könnte mehr persönliche Souveränität bedeuten. Und damit könnten wir frei und unberechenbar werden. Unberechenbar im Sinne von „mit mir könnt ihr bei dieser Politik und Wirtschaft nicht mehr rechnen!“, Widerstand also. Das heißt Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen und trotzdem Entscheidungsträger*innen nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen.

Einteilungen verflüssigen

Wir können uns lösen von der Vorstellung, die Welt einzuteilen und abzugrenzen in: Mensch/Tier, Mann/Frau, Natur/ Kultur, Stadt/Land, Produktion/Reproduktion, Arbeit/Freizeit, … Dieses „Entweder-oder“ hält unserer Lebenserfahrung nicht stand. Vielmehr erleben wir „sowohl als auch“, sehen fließende Übergänge, Verwobenheiten und Beziehungen. Und schließlich sind wir Menschen auch „nur“ Tiere. Wir, da meine ich alle Lebewesen, sind voneinander abhängig und verbunden. Wenn wir dieses „unsichtbare Netz des Lebens“ (Martin Grassberger) schädigen oder zerstören, schaden wir auch uns selber, insbesondere unserer Gesundheit, und schränken Möglichkeitsräume für zukünftige Generationen ein. Sich als Mensch als Teil der Natur zu verstehen, sehe ich als große Herausforderung unserer Zeit: Wir sind abhängig, wir müssen das, was wir herausnehmen, auch wieder zurückgeben – auch wir sind ein Teil dieses natürlichen Kreislaufs.

Vor wenigen Wochen haben wir einen Freund beerdigt, in einer kompostierbaren Urne im Wald, die tröstlichen Worte am Ende: Die Pflege des Grabes übernimmt die Natur!

Maria Vogt, Biobäuerin im Weinviertel in Pension und Mitglied der Bäuerinnenkabarettgruppe „Miststücke“.

Nähere Infos zu Abos und zur Zeitschrift: hier.