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Bäuerliche Zukunft: Wohin? published on

Bäuerliche Zukunft: Wohin?

Derzeit überschlagen sich die Ereignisse. Ein Interview über Auswirkungen auf die bäuerliche Landwirtschaft und mögliche Perspektiven und Ansatzpunkte für einen Systemwandel. – Ganz im Sinne des Titels der ÖBV-Zeitschrift: Dieses Interview wurde zuerst in der ÖBV-Zeitschrift “Wege für eine Bäuerliche Zukunft” Nr. 372, 2/2022 veröffentlicht.

Interview mit Onno Poppinga

Franziskus Forster (FF): Eine Frage in unübersichtlichen Zeiten: Was passiert gerade?

Onno Poppinga (OP): Wir leben in Zeiten, die große Sorgen machen. Zusätzlich zu den Kriegen in Afghanistan (2001-2021), im Irak (2003-2022), in Libyen (2014-2022), in Syrien (2011-2022) und im Jemen (2014-2022) jetzt noch der Krieg in der Ukraine. Erneut ein Krieg in Europa nach Griechenland (1947-1949), Zypern (1974), Tschetschenien (1994-2009), Jugoslawien (1991-2001), im Donezk und Lugansk (2014-2022). Als jemand, der noch in den letzten Jahren des 2. Weltkriegs geboren ist, weiß ich aus meinem persönlichen Umfeld sehr konkret, welche Verheerungen Kriege bei den Menschen und den Familien zur Folge haben. Statt sich auf solche Erfahrungen zu besinnen, Kriegsrhetorik allerorten. Angesichts des anhaltenden politischen Drucks, immer noch mehr Waffen zu liefern, wirken der Papst und der Generalsekretär der UNO mit ihren Forderungen nach Waffenstillstand und Friedensverhandlungen wie Rufer in der Wüste. Ein großer Unterschied zu vielen der anderen Kriege ist diesmal, dass es nicht die „westliche Wertegemeinschaft” ist, die Lügen zu Hilfe nimmt, um ein Land zu überfallen. In der Ukraine wird sie selbst zum Opfer eines mit Lügen begründeten Überfalls.

Sowohl der Krieg in der Ukraine als auch die umfassenden Boykottmaßnahmen des Westens, treffen auf Länder, in denen wirtschaftlich ohnehin schon vieles durcheinandergeraten ist. Die Welt-Finanzkrise von 2008 ist noch nicht überwunden; die Spaltung zwischen Arm und Reich vergrößert sich; Armut nimmt unübersehbar zu. Vor allem die durch die neoliberale Wirtschaftspolitik betriebene Schwächung der Gewerkschaften verhindert bisher, dass wirksame Gegenwehr „von unten” aufgebaut werden kann. Es kann als sicher gelten, dass die wirtschaftlichen Belastungen, die sich aus Kriegen und Boykottmaßnahmen ergeben, voll zu Lasten der wirtschaftlich Schwachen gehen werden. Dies auch, weil insbesondere in Deutschland die Wirtschafts- und Finanzminister alles finanziell Erdenkliche tun, um die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gegenüber der internationalen Konkurrenz zu erhalten. Dafür benötigt sie die Subventionierung der stark gestiegenen Kosten für Energielieferungen, den weitgehenden Verzicht auf Lohnsteigerungen und eine möglichst geringe Steigerung der Lebensmittelpreise.

FF: Wie lässt sich das für die bäuerliche Landwirtschaft einordnen?

OP: Für die Landwirtschaft haben Ukrainekrieg und Boykottmaßnahmen die schon seit längerem zu beobachtenden Veränderungen bei Preisen und Kosten nochmal beschleunigt. Seit längerem? Bei Weizen begann schon nach der Ernte 2020 ein – leichter – Preisanstieg (von etwa 15 auf 20 Euro/dz). Der Ukrainekrieg und die Boykottmaßnahmen haben die Preise dann mehr als verdoppelt. Bei Schweinen und Ferkeln hielt der Zusammenbruch der Preise als Folge des Auftretens der Afrikanischen Schweinepest in Deutschland bis in den Sommer 2021 an; dann erfolgte eine sprunghafte Zunahme der Preise (von etwa 1,30 Euro/kg Schlachtgewicht auf über 2 Euro); bei Rindfleisch setzte der Preisanstieg ebenfalls im Sommer 2021 ein und erreichte mit gut 5 Euro je kg Schlachtgewicht eine bisher nicht gekannte Dimension; bei der Milch verharrten die Auszahlungspreise der Molkereien bis in den Herbst bei völlig unzureichenden 31-33 Cent je kg, um dann anzusteigen auf 40 Cent und mehr. Aber so erstaunlich diese Zahlen auch sind: 40 Cent und mehr für die Milch bedeuten, dass die Milchviehbetriebe im Gegensatz zu den Vorjahren jetzt doch tatsächlich den Mindestlohn von knapp 10 Euro je Stunde erwirtschaften konnten!

Wie bei den Preisen, so war es auch bei den Kosten: der Preisanstieg für zugekaufte Energie (Diesel für den Traktor, Strom für Haushalt, Melkmaschine und Lüftungstechnik; Gas für die Temperierung der Sauenställe) begann schon im ausgehenden Sommer 2021. Weil Stickstoffdünger nichts anderes ist als in Ammonium und Nitrat verwandeltes Methangas und weil Russland als einer der weltweit wichtigsten Hersteller von N-Dünger jetzt ausfiel, schossen die Preise für Kalkammonsalpeter (aber auch für die anderen Mineraldünger) schier „durch die Decke”. Die Kosten für zugekaufte Futtermittel erhöhten sich gleich aus mehreren Gründen: starker Anstieg der Preise für Futtergetreide aus dem Inland, extremer Anstieg der Transportkosten beim Bezug von Soja, Wettbewerb um die Beschaffung von Futtermitteln mit China. Insbesondere der starke Rückgang der Importe von Getreide, Mais und Sonnenblumen aus der Ukraine als Konsequenz des Krieges brachte dann eine erneute Verschärfung. Vor allem aber trifft die Verhinderung der ukrainischen Agrarexporte durch Russland die vielen Länder (u.a. Ägypten, Libanon) auf extreme Weise, die -neben russischen – seit Jahren auf diese ukrainischen Exporte angewiesen sind; eine mangelhafte Ernährung wird für Millionen von Menschen durch Hunger abgelöst werden.

FF: Welche Fragen stellen sich jetzt für die bäuerliche Landwirtschaft?

OP: Die Diskussion in Deutschland um die extremen Veränderungen von Preisen und Kosten wird bestimmt durch die Einschätzung, dass diese sich unmittelbar aus Knappheitsfaktoren ergeben würden. Deshalb wird nicht nur gefordert, alle Maßnahmen, die gegen die weit verbreitete Überintensivierung der Landwirtschaft in Deutschland eingerichtet worden sind (Düngeverordnung, Förderung der Extensivierung durch Maßnahmen der „2.Säule”, Vorgabe einer verpflichtenden Flächenstilllegung) abzuschaffen. Stattdessen gehöre generell die Steigerung der Leistungen auf dem Acker und im Stall wieder zur Richtschnur gemacht.

Aber sind es tatsächlich nur Knappheitsfaktoren, die wirken? Sollte man nicht auch danach forschen, welchen Anteil die Spekulation um Lebensmittel daran haben könnte? Die Weltagrarmärkte für konventionell erzeugte Agrarprodukte sind hochgradig vermachtet. So kontrollieren nur vier Unternehmen die weltweiten Handelsströme mit Getreide (das ist seit langem bekannt und vielfach beschrieben). Die allgemein verbreitete Krisenstimmung, Kriege und Kriegsgefahren sind für diese Unternehmen doch geradezu eine Aufforderung, sich des altbewährten Mittels der Spekulation zu bedienen. Dass spekulative Vorgänge eine große Rolle bei den Preissprüngen spielen könnten, zeigt mir ein Vergleich mit der Situation auf den Biomärkten. Dort gibt es auf den Absatzmärkten keine Vermachtung, die irgendwie vergleichbar wäre. Auch für die Biobetriebe haben aber beispielsweise die Kosten für die zugekaufte Energie (nur der N-Mineraldünger spielt hier natürlich keine Rolle) stark zugenommen; auch auf den Beschaffungsmärkten für Bio-Futtermittel macht sich die deutliche Verminderung der Lieferungen aus der Ukraine stark bemerkbar. Im Gegensatz zu den konventionell erzeugten Agrarerzeugnissen gibt es aber auf den Biomärkten – zumindest bisher – kaum Veränderungen bei den Preisen. Das führt beispielsweise bei Milch dazu, dass der Auszahlungspreis für Milch aus konventioneller Erzeugung den Preis für Biomilch fast erreicht hat.

Unabhängig davon, welches Ausmaß Knappheitsfaktoren und Spekulation haben mögen, führt die aktuelle verwirrende Lage für die Landwirt*innen zu großen Unsicherheiten. Soll man zum Beispiel trotz der extremen Preise für Kalkammonsalpeter den Dünger im bisher üblichen Umfang kaufen und ausbringen – in der Hoffnung, dass die hohen Getreidepreise über die Ernte hinaus anhalten werden, oder soll man den Zukauf reduzieren in Erwartung eines starken Rückganges der Auszahlungspreise? In meinem persönlichen Umfeld beobachte ich eine Strategie, sowohl die Düngerkosten zu senken – um etwa 20-30 Prozent – als sich auch nicht allzu weit von den bisherigen Erträgen zu entfernen (bei 20-30 Prozent weniger N-Dünger kann man mit 6-8 Prozent weniger Getreideertrag rechnen).

Ganz in der Diskussion (und bei den politischen Maßnahmen) um Ursachen und Folgen des Krieges in der Ukraine zurückgetreten scheint derzeit alles, was mit der Bekämpfung der Klimaveränderung zu tun hat. Das gilt allgemein: So soll in Deutschland ausgerechnet Fracking-Gas aus den USA Lieferungen aus Russland ersetzen. Das gilt aber auch für die Landwirtschaft. „How Dare You!”, würde Frau Thunberg sagen.

FF: Gibt es Ansatzpunkte, wie ein sinnvoller Systemwandel aussehen könnte?

OP: Wenn eine Krise lange genug andauert, liegt es nahe zu überlegen, wie denn ein sinnvolleres System aussehen könnte. An Krisen ist in der Geschichte der Agrarpolitik kein Mangel. Deshalb mangelte es auch nicht an Vorschlägen, was grundlegend geändert werden sollte. Um das mit einigen Begriffen aus der jüngeren Zeit zu verdeutlichen: Nachhaltige Landwirtschaft; Öko-Soziale Landwirtschaft; Multifunktionale Landwirtschaft; Bezahlung gesellschaftlicher Leistungen; Klimafreundliche Landwirtschaft. In Deutschland ist auch die Forderungen nach einem „Neuen Vertrags zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft” populär. Hinter all diesen Begriffen stehen plausible Ideen und Hoffnungen, oft auch viel Erfahrungswissen und viel Recherchearbeit. Betrachtet man aber den realen Zustand der Landwirtschaft in der EU, so bleibt einem gar nichts anderes übrig als ernüchternd festzustellen, dass es nicht an klugen Ideen und gescheiten Begriffen, wohl aber an tatsächlichen Änderungen mangelt. Das ist leider auch nicht verwunderlich, weil die „grüne Front” -um an einen früher populären Begriff, der auf die Macht der agrarindustriellen Strukturen hinweist, zu verwenden- unverändert fest im Sattel sitzt. In der Sprache ist man moderater geworden, einzelne Missstände werden nicht mehr beschönigt, aber am System des „Produktivismus” (um hier einen Begriff zu verwenden, der in der Diskussion in Frankreich schon immer wichtig war) hat sich so gut wie nichts verändert. Auch Politiker und Politikerinnen – so verständnisvoll sie vor Wahlen auch für bäuerliche Anliegen sein wollen – gehen Konflikten mit der “Grünen Front” gerne weiträumig aus dem Weg.

Es sind deshalb fast immer Ausnahmesituationen (auch „politische Fenster” genannt), in denen es doch mal zu wirklichen Einschnitten kommen kann.

FF: Kannst Du da ein Beispiel geben?

OP: An einem Beispiel aus Deutschland lässt sich das zeigen: Zu den großen Schlachthofbetrieben in Deutschland gehört die Firma Tönnies. Zu ihren Mitteln, kostengünstiger als andere die Schweine und Rinder zu töten, zu zerteilen und die Tierhälften oder einzelne Teile des Schlachtkörpers zu vermarkten, gehörte ein besonders effektives Ausbeutungssystem der Angestellten. Diese zumeist aus Rumänien und Bulgarien stammenden Männer und Frauen kannten keine gewerkschaftliche Tradition, leben wegen fehlender Kenntnis der deutschen Sprache isoliert und sind wirtschaftlich sehr abhängig. Angeworben wurden sie von Unternehmen in ihrem Heimatland, die dann als Sub-Unternehmer Verträge mit dem Schlachtunternehmen eingingen. Das Unternehmen behinderte alle behördlichen Versuche, die Einhaltung der vertraglichen Arbeitszeiten zu kontrollieren; die Wohnverhältnisse waren überaus beengt und die Mieten überteuert. Es kommt einem Kaplan der katholischen Kirche der Verdienst zu, mit großer Ausdauer die Öffentlichkeit über die unhaltbaren Zustände zu informieren. Und dann kam Corona! Wegen der Enge an den Bändern im Schlachthof und wegen der engen Wohnverhältnisse wurde der Schlachthof zu einem “Hot Spot”. Einige Tage musste die Arbeit ganz eingestellt werden; danach gab es für viele Tage eine deutliche Verminderung der Schlachtzahlen. Auf den Mastbetrieben „stauten” sich die schlachtreifen Tiere. Das Unternehmen wurde zum „Buhmann” in den Medien. Es entstand ein „politisches Fenster” für einschneidende Veränderungen; Bundesarbeitsminister und Landessozialminister nutzten die – kurzzeitige – Schwäche des Unternehmens (und die der anderen großen Schlachthöfe), um das System der „Sub-Sub-Verträge” zu verbieten und direkte Arbeitsverträge durchzusetzen.

FF: Kann man sich darauf vorbereiten? Was sind sinnvolle Strategien?

OP: Es gehört zur Definition des „politischen Fensters”, dass es nicht vorhersehbar ist, ob und wann es sich öffnet – und wie schnell es sich wieder schließen wird! Daraus entsteht ein erhebliches Problem: einerseits bedarf es schon einer guten Vorarbeit, um mit einem Vorschlag „parat” zu sein, falls das Fenster sich öffnet. Zugleich muss man aber wissen, dass die ganze Vorarbeit „für die Katz” sein kann. Ich versuche aktuell einen Vorschlag in die Diskussion zu bringen für den Fall, dass tatsächlich eine politische Initiative gestartet werden sollte mit dem Ziel, gegen die hohen Zahlen an Betriebsaufgaben, Arbeitsplatzverlusten und Klimabelastungen durch Formen der Intensivlandwirtschaft vorzugehen. Kern des Vorschlags ist die Einführung von Mindestpreisen für alle wichtigen Erzeugnisse der landwirtschaftlichen Betriebe, ähnlich dem Mindestlohn für Angestellte. Ob es aber mehr als kluge Reden und politische Vorsätze dazu geben wird, ist gänzlich ungewiss. Aber auch wenn das so ist, muss man vorbereitet sein für den wenig wahrscheinlichen Tag X.

Viel sicherer und stabiler für einen sinnvollen Systemwandel ist es deshalb, nicht so sehr auf die Hilfe von außen – auf die Politik – zu warten, sondern selbstständig und in Verbindung mit Freund*innen an der Veränderung der Betriebe zu arbeiten. Die Geschichte der letzten Jahrzehnte Agrarentwicklung ist voll an gelungenen (zugegebenermaßen auch an misslungenen) Beispielen. Hier gilt es, weiterzumachen. Ein wichtiges Beispiel ist sicher immer noch die ökologische Landwirtschaft. Sie ist gegen die „Grüne Front” durchgesetzt worden, als eigene kulturelle Leistung der Bäuerinnen und der Bauern; sie ist gegen (fast) alle Agrarwissenschaftler und Agrarwissenschaftlerinnen und ihrem Spott als angeblich nicht wissenschaftlich fundierte Art der Landwirtschaft verteidigt worden. Sie hat – besonders wichtig – eine eigenständige Theorie von Landwirtschaft ausgearbeitet. Und: Je erfolgreicher die ökologische Landwirtschaft wurde, je stärker sie von der Politik auch als Gegenmodell gegen die überintensivierte konventionelle Landwirtschaft ausgenutzt wurde, um so stärker wurde die Gefahr der „Konventionalisierung”. Parallel zum Erfolg wurden Ansprüche formuliert, die eine ökologisch ausgerichtete Landwirtschaft nicht erfüllen kann; z.B. ähnlich hohe Erträge erzielen wie konventionelle Betriebe; z.B. sich für gentechnische Verfahren und für Verfahren der Biotechnologie zu öffnen um schneller „technische” Fortschritte umzusetzen. Die Erfolge von gestern führen dazu, dass man die Grundlagen von heute verteidigen und selbstständig weiter entwickeln muss.

Ähnlich erfolgreich sind die vielen Betriebe (konventionell wie ökologisch), die die Weiterverarbeitung ihrer Produkte zu Lebensmittel, entweder auf dem eigenen Hof oder in Verbindung mit einem Betrieb des Lebensmittelhandwerks, auf- und ausgebaut haben. Für alle Betriebe, die direkt vermarkten, ist ein stabiler Kontakt zu ihren Kund*innen von grundlegender Bedeutung. Das muss man wollen; da muss viel argumentiert werden, da müssen auch viele merkwürdige Fragen in aller Ruhe beantwortet werden. In der EU haben in diesem Bereich sicher die österreichischen und die französischen Betriebe die „Nasen ganz vorne“. Diese Betriebe gehen (fast) alle schonend mit Natur und Umwelt um. Gerade im Zusammenhang mit der Diskussion um den „ökologischen Fußabdruck” geben sie Beispiele von „gutem Wirtschaften“, das auf Dauer angelegt ist.

FF: Gibt es noch andere Wege für eine bäuerliche Zukunft?

OP: Nicht alle Betriebe, die aus den Zwängen der industrialisierten Landwirtschaft heraustreten, wollen oder können sich so unmittelbar an die Verbraucher*innen binden. Wenig in der Öffentlichkeit bemerkt, da unspektakulär, gehen diese Betriebe häufig zu einer Landwirtschaft über – oder setzen sie fort, bei der der sparsame Einsatz von Ressourcen im Vordergrund steht. Im Mittelpunkt stehen nicht das Erreichen hoher Leistungen und Erträge, sondern eine gute Wirtschaftlichkeit und die Beachtung der Freude an der Arbeit. Die Betriebe investieren, sind “auf der Höhe der Zeit”, aber immer bei genauer Beachtung der Kosten! Bei inzwischen zwei Untersuchungen bei Milchviehbetrieben in Deutschland, an denen ich beteiligt war, ergab sich das überraschende Ergebnis, dass diese Betriebe trotz deutlich geringerer Milchleistungen pro Kuh, einem deutlich geringeren Viehbesatz je Hektar und Zufriedenheit mit ihrer Arbeit ein Einkommen hatten, das sogar etwas besser war als das der Testbetriebe. (Testbetriebe gibt es in allen Ländern der EU). Solche „unauffälligen” Betriebe gibt es in allen Bereichen der Landwirtschaft. Unauffällig sind sie auch deshalb, weil sie für die Beratung nicht zu den „Vorzeigebetrieben” gehören; sie tauchen auch nicht in der „Hit-Liste” der Milchkontrolle auf. Unauffällig sind sie oft auch deshalb, weil sie unauffällig sein wollen; sie haben Besseres zu tun als sich an der Beratung und Fachpresse abzuarbeiten. Von sehr großer Bedeutung ist aber der Austausch mit anderen Betrieben, die ähnlich wirtschaften. Auch Berater*innen können sehr unterstützen, wenn sie sich tatsächlich auf die eigenständige Strategie der Betriebe einlassen. Meines Wissens gibt es nur in Frankreich eine langjährige betriebswirtschaftliche Auswertung dieser Art der Landwirtschaft; sie wird dort „agriculture durante” genannt und ist landesweit organisiert als “CIVAME”. Sie betrachtet nicht nur die Wirtschaftlichkeit, sondern auch viele Zusammenhänge zwischen Landwirtschaft und Umwelt.

Meiner Erfahrung nach sind solche – und weitere, an den eigenen Interessen ausgerichtete Formen der Betriebsentwicklung – die wesentliche Quelle von sinnvollen Systemveränderungen in der Landwirtschaft. Sie haben immer ihre Grenzen in äußeren Bedingungen, einschließlich der Vorgaben der Agrarpolitik, sie sind nicht einfach traditionell, sie sind nicht technikfeindlich, sie wissen, dass es sozialen Zusammenhang braucht und ihnen sind demokratische Regeln wichtig.

FF: Vielen Dank für das Interview!

Onno Poppinga, pensionierter Professor für Landnutzung und Regionale Agrarpolitik, Universität Kassel, Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften. Kasseler Institut für ländliche Entwicklung e. V., http://www.kasseler-institut.org/ – Kontakt:

Literaturhinweise:

Faire Preise in der Landwirtschaft!? Eine lange Geschichte und Überlegungen zur Lösung (Kritischer Agrarbericht 2022, https://www.kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2022/KAB_2022_17_23_Poppinga.pdf

“Ökolandbau als Befreiungsbewegung gegen die Industrialisierung”. Interview in „Kultur und Politik“ 1/2014, http://www.kasseler-institut.org/fileadmin/kasins/2014_poppinga_kp1_14.pdf

„Methan und Kühe“ (2021) und „Für mehr Artenvielfalt im Grünland: Die Wettbewerbsfähigkeit der kraftfutterreduzierten Milchviehhaltung stärken!“ (2020), beide Texte unter http://www.kasseler-institut.org/arbeitsergebnisse