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Bäuerliches Vielfaltssaatgut in Gefahr! published on

Bäuerliches Vielfaltssaatgut in Gefahr!

Jetzt für die Bäuerlichen Rechte auf Saatgut aktiv werden! In der EU-Saatgutrechtsreform werden sich dieses Jahr viele Konflikte zuspitzen.

Von Daniela Kohler und Franziskus Forster

Im letzten Jahrzehnt ist die Machtkonzentration bei Saatgutkonzernen weiter massiv gewachsen, die Industrie ist derzeit damit beschäftigt, ihre Fusionen mit der Agrochemie, dem Agrarhandel und im Digitalisierungsbereich „zu verdauen“. Die Agrarindustrie erneuert sich. Zugleich: Die Folgen ihrer Aktivitäten ziehen sich rund um den ganzen Globus und betreffen nahezu jedes Saatkorn. – Wenn wir uns nicht organisieren.

Industrie-Offensive

Mit der neuen Gentechnik kommt eine neue Offensive auf uns zu,[1] die Industrie selbst ist diesmal in der Öffentlichkeit vergleichsweise zurückhaltend, stattdessen führen Wissenschafter*innen und andere das Wort. Man will die Niederlagen, die durch Widerstand von unten eingefahren wurden, nicht noch einmal wiederholen. Die Eigentumsfrage wird weitgehend ausgeblendet. Und es geht um die Kontrolle und fette Gewinne in Händen weniger. Zusätzlich kommen neue Herausforderungen: In der Farm-to-Fork-Strategie der EU-Kommission werden etwa -50 % Pestizide angestrebt. Biodiversität erhalten, mehr Bio (was heißt das für den Saatgutmarkt?), weniger Kunstdünger. Mit den Augen der Industrie wird nun gefragt: Wie lassen sich neue Geschäftsfelder erobern, wie können wir neu Kontrolle erringen? Zugleich ist die Landwirtschaft durch die mit der Klimakrise immer schwieriger werdenden Produktionsbedingungen und die Biodiversitätskrise vor neue Herausforderungen gestellt. Statt eine Abkehr von jenen einzuleiten, die für diese Krisen maßgeblich verantwortlich sind, könnte nun der Bock wieder zum Gärtner gemacht werden. (Bio-)Technologische Antworten und die Digitalisierung („Präzision“ und „Optimierung“) sollen die Probleme lösen. Und es liegt auf der Hand: Das in engagierter und vielfach unbezahlter Kleinarbeit erhaltene bäuerliche und gärtnerische Vielfaltssaatgut wird immer mehr zum „Schatz“, zur potenziellen Ressource als Werkzeugkasten für die Industrie.

Unser Recht auf Saatgut

Die Gefahr besteht darin, dass bäuerliche Alternativen still und Schritt für Schritt verdrängt werden und dass die Industrie zugleich gerne die noch erhaltene Vielfalt übernimmt. Saatgut in seiner Vielfalt ist seit Jahrtausenden als Allgemeingut von Bäuerinnen und Bauern, Gärtnerinnen und Gärtnern gesammelt, erhalten und weiterentwickelt und -gegeben worden. Dieses Recht ist in Gefahr: Das Recht, Saatgut zu erzeugen, zu vermehren, in Umlauf zu bringen, zu verkaufen und zu tauschen. Kurzum: Ein Enteignungsprozess.

Die Regulierung des Saatguts wird heute an den Erfordernissen und Interessen der Industrie ausgerichtet, die Industrie wird massiv bevorzugt. Wir fordern, dass die regionalen/lokalen Sorten viel mehr gefördert und unterstützt werden. Wir fordern, dass nicht die Landwirtschaft an die einheitlichen Sorten der Agrarindustrie angepasst wird, sondern umgekehrt müssen Sorten, die an die regionalen und bäuerlichen Bedingungen angepasst sind, gefördert und unterstützt werden. Doch dafür gibt es derzeit keine Instrumente (nur Nischen – und selbst diese sind bedroht), stattdessen unzählige Barrieren und unerreichbare Auflagen. Das muss sich ändern!

Saatgut für die kleinbäuerliche und gärtnerische Anwendung unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von jenem für die agroindustrielle Produktion: es ist samenfest und kann mit den entsprechenden Kenntnissen in den Folgejahren wieder zum Nachbau verwendet werden. – Im Gegensatz zu Hybridsaatgut, das jedes Jahr neu zugekauft werden muss. Samenfestes Saatgut trägt also zu Unabhängigkeit von großen Saatgutkonzernen bei. Es ist robust und kann sich während vieler Generationen an die Anbaubedingungen und den Standort anpassen, während industrielles Saatgut an monokulturellen Bedingungen orientiert ist, Agrarchemie inklusive. Die Zertifizierung nach den DUS-Kriterien der UPOV[2] ist an den Industrieerfordernissen ausgerichtet. Die Vielfaltssorten sind in einem anderen System verankert und haben völlig unterschiedliche Erfordernisse.[3] Wenn man nun einbezieht, dass seit Jahrzehnten Milliarden öffentlicher Gelder zugunsten der Industrie investiert werden (Forschung, Züchtung, etc.) und vergleicht, wie wenig angesichts dessen für die Allgemeinheit gelungen ist, dann erscheint das Verhältnis von „David“ und „Goliath“ in einem anderen Licht. Deshalb ist es allerhöchste Zeit für einen Systemwechsel. Saatgut ist die Grundlage der Lebensmittel. Im Sinne der Ernährungssouveränität braucht es die Zusammenarbeit und Mitverantwortung aller, um diese Vielfalt zu bewahren!

Menschenrechte: Es geht um Bäuerliche Rechte!

Die UN-Erklärung über die Rechte von Kleinbäuer*innen und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten – kurz: UNDROP anerkennt unsere Rechte. Konkret wird im Artikel 19 der UNDROP[4] das „Recht auf Saatgut“ bestimmt, das u. a. „in ausreichender Qualität und Menge und zu einem erschwinglichen Preis“ zur Verfügung stehen muss. Außerdem „Die Staaten stellen sicher, dass die Saatgutpolitik, die Gesetze zum Sortenschutz und andere Gesetze zum Schutz geistigen Eigentums, Zertifizierungssysteme und Gesetze im Bereich der Vermarktung von Saatgut die Rechte, Bedürfnisse und Realitäten von Kleinbauern und anderen in ländlichen Regionen arbeitenden Menschen achten und berücksichtigen.“

Bäuerliche Rechte haben den Status von Menschenrechten und jeder Staat (ja, auch Österreich) ist aufgefordert, dies entsprechend zu verwirklichen. Doch das steht im Widerspruch zu den Interessen der Industrie.

In der kommenden EU-Saatgutrechtsreform gilt es, die neuen Chancen, die uns die UNDROP eröffnet, zu nutzen. Diese Rechte können uns helfen, bäuerliches Vielfaltssaatgut endlich aus dem Nischendasein herauszuheben und einen gesetzlichen Rahmen einzufordern, der kleinbäuerliche, kleinräumige bzw. gärtnerische Bewirtschaftung und ein gemeinschaftlich gestaltetes Ernährungssystem fördert.

Die Arbeitsgruppe Saatgut der ÖBV lädt alle ein, die sich einbringen wollen! Du willst dich informieren und/oder einklinken? Gerne! Schreib ein E-Mail an:

Daniela Kohler, Biobäuerin in Buch (Vbg) und im ÖBV-Vorstand Franziskus Forster, Politischer Referent bei der ÖBV.

Erschienen in der ÖBV-Zeitschrift: “Wege für eine Bäuerliche Zukunft, 366. Nr. 1/2021


[1] Sehr empfehlenswertes Interview mit Angelika Hilbeck (2020): „Diese Branche lebt davon, viel Schaum zu schlagen“: www.spektrum.de/news/diese-branche-lebt-davon-viel-schaum-zu-schlagen/1752354

[2] UPOV: : Internationaler Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen. DUS (engl.) steht für Unterscheidbarkeit, Einheitlichkeit, Stabilität

[3] Die Welt ist nicht Schwarz-Weiß. Aber die Erfordernisse etwa im Bio-Ackerbau sind unseren Positionen näher als der Industrie. Aber genau um diese Frage geht es gerade, jetzt heißt es: Position beziehen!

[4] UNDROP illustriert: https://www.viacampesina.at/baeuerliche-rechte-illustriert/