Skip to content
Bepreisung der Natur als Lösung? published on

Bepreisung der Natur als Lösung?

Peter Wormstetter, unsplash.com

Seit einigen Jahrzehnten wird die Bepreisung von Natur und ihren „Dienstleistungen“ als Teil von Umweltschutzstrategien international vorangetrieben und ausgeweitet. Handel mit Emissionsgutschriften, Zertifikaten und standardisierte Berechnungen der Nachhaltigkeitsleistung sollen für nachhaltiges und gerechtes Wachstum sorgen. Nun gibt es auch Ansätze für „grüne Ökonomie“ im Bereich der Landwirtschaft. Warum es Gründe gibt, skeptisch zu sein.

Von Lisa Rail

Klingt es nicht vielversprechend? Mehr Geld für die Bäuer*innen: Nicht nur für ihre Erzeugnisse, sondern in Form einer zusätzlichen Entlohnung für ihre Leistungen an der Gesellschaft? Entlohnung für die bisher nicht bewertete – man könnte sagen: ungesehene – Arbeit als Erhalter*innen von fruchtbaren Böden und Biodiversität, sowie als Landschaftspfleger*innen? Wäre es nicht gerecht, wenn Bäuer*innen, die humusaufbauend und damit ressourcenschonender und arbeitsintensiver arbeiten, Geld für den so geschaffenen Wert bekämen?

Das ist das Versprechen und der Reiz der „grünen Ökonomie“: Naturleistungen sollen einen Preis bekommen, damit ihr Mehrwert auch entlohnt wird. Der Wert für die Gesellschaft, der von Bäuer*innen und von Bodenbakterien bisher sozusagen gratis bereitgestellt wurde, kann und sollte ökonomisch berechnet und entlohnt werden. Wie viel hätte es gekostet, Humusverlust nachträglich auszugleichen? Wie viel hätte es gekostet einen Kubikmeter Wasser, der nicht verschmutzt wird durch nachhaltige Anbaumethoden, aufzubereiten? Wie viel Folgekosten des Klimawandels werden eingespart, wenn Kohlenstoff in Humus gespeichert wird, statt als Treibhausgas in der Atmosphäre zu wirken? Damit Beträge an Bäuer*innen bezahlt werden können, wurden in den letzten Jahren Instrumente zur monetären Berechnung und zur Inwertsetzung von landwirtschaftlichen Ökosystemleistungen entwickelt.

Viele Ansätze

Einerseits gibt es da „True Cost Accounting“ (Buchhaltung auf Basis „wahrer Kosten“). Das sind Projekte, in denen die „wahren Preise“ von Waren berechnet werden sollen – Preise, die versteckte Kosten mitkalkulieren. So hat etwa die REWE-Gruppe in ihrer Discount-Reihe Penny kürzlich begonnen, zwei Preise auf einigen ihrer Eigenmarkenprodukte anzugeben: Den regulären Marktpreis und den (freiwilligen) „echten Preis“, in dem vermiedene Folgekosten durch landwirtschaftlichen Mehraufwand eingerechnet sind. Diese Initiative soll Bewusstsein wecken, aber am Preis, den die Kund*innen für die Produkte bezahlen müssen, ändert sich nichts. Darüber hinaus steckt in derlei Versuchen aber die Idee, die Umweltleistungen der Bäuer*innen über andere Preisbildungsmechanismen und schließlich über höhere Verdienstmargen an den Produkten selbst entlohnen zu können. (Selbst wenn das der Fall wäre: Ob Supermärkte diese Margen wohlwollend an die Bäuer*innen weitergeben würden, steht nochmals auf einem anderen Blatt.)

Ein anderes Modell sind sogenannte CO2– oder Humuszertifikate. Nach diesem Modell können Bäuer*innen, die Humus aufbauen und somit Kohlenstoff im Boden speichern, ihre CO2-Reduzierungsleistung verkaufen. Solche CO2-Gutschriften können von Unternehmen, die selbst Treibhausgase freisetzen, gekauft werden, um somit in Summe eine neutrale Klimabilanz zu erreichen – und die Bäuer*innen bekommen direkt ein zusätzliches Einkommen, anstatt „umsonst“ Kohlenstoff zu binden und nur schwer mit niedrigen Preisen für ihre Rohprodukte über die Runden zu kommen. In Österreich wird vom Lagerhaus bereits mit Humuszertifikaten gehandelt.[1]

Win-Win-Win?

Die Idee, Ökosystemleistung zu berechnen und bezahlen zu lassen ist nicht neu. Das Argument der Befürworter*innen lautet: Wenn Unternehmen – v.a. in umweltschädigenden Branchen wie dem Bergbau– nur bewusst wäre, welche Werte sie zerstören, oder wenn sie gar für den bezifferbaren Schaden zur Kassa gebeten würden, verlöre sich bald der Anreiz, nicht nachhaltig zu wirtschaften. Diese Argumentation und die Entwicklung entsprechender Berechnungsmodelle für den Wert von Ökosystemleistungen, wie z.B. die CO2-Speicherfähigkeit oder die Dichte an Biodiversität in einem bestimmten Areal, gibt es schon seit den 1990ern. Naturleistungen in betriebswirtschaftliche Berechnung einzuschließen, wird von Organisationen wie der Weltbank, dem UN-Umweltprogramm, aber auch von großen Umweltorganisationen wie dem WWF vorangetrieben als „Win-Win-Win-Situation“. Umweltschutz würde zum ökonomischen Eigeninteresse von Wirtschaftsakteur*innen werden, wobei Ausgleichszahlungen dabei ökonomisches Wachstum weiterhin ermöglichen würden – bei allgemein nachhaltiger Bilanz. Man kann dort ansetzen, wo es am leichtesten ist. Zugleich könnten die Ausgleichzahlungen zur Entwicklung marginalisierter Gruppen beitragen. Das ergibt: Wachstum, Entwicklung und Umweltschutz in einem.

Bisher sind derartige Berechnungen und Ausgleichzahlungsprojekte eher im globalen Süden zu finden, und oft in Form von Waldschutzprojekten. Mit dem Humuszertifikathandel vom Lagerhaus kommen sie nun aber auch in der bäuerlichen Landwirtschaft in Europa an. Da wird es höchste Zeit zu fragen, was es eigentlich bedeutet und mit sich bringt, der Natur – oder genauer: einigen Aspekten von Natur – einen Preis zu geben. Ist das wirklich ein Weg hin zu einem Systemwandel der Landwirtschaft? Führt dies wirklich weg von einem durch die industrielle Landwirtschaft am meisten zum Klimawandel beitragenden Wirtschaftssektor hin zu einem besseren Leben für Bäuer*innen, für die Umwelt und für alle, die essen?

Drei Hauptprobleme

Ein Blick auf die praktische Erfahrung mit Inwertsetzungsprojekten und Handel mit Ökosystemleistungen, die es schon seit Jahrzehnten gibt – REDD+, grüne Börsen, Emissionshandel, etc. – sind hier aufschlussreich und trüben rasch das rosa Bild der ‚grünen Ökonomie‘. Mindestens die folgenden drei Probleme treten zutage:

1) Handel mit Ökosystemleistungen hat bisher nicht zur Minderung von Umweltschädigung geführt, sondern eher zu mehr Schaden. Die Möglichkeit zum Kauf von Kompensationsgutschriften für die Zerstörung natürlicher Lebensräume oder für maximale Schadstoffemissionen erlaubt es Unternehmen in der Praxis, umweltpolitische Ziele eben gerade nicht einzuhalten. Und sich trotzdem durch eine einfache Zahlung offiziell als „klimaneutral“ zu präsentieren. Kompensationszahlungen sind aber kein Anreiz zu nachhaltigerem Wirtschaften – im Effekt eher das Gegenteil.

2) Instrumente der ‚grünen Ökonomie‘ führen zur Schwächung von politischen Widerstandsprozessen und Forderungen nach tiefgreifendem Wandel zu Klimagerechtigkeit. Einerseits lenken sie als Scheinlösungen von radikaleren Vorschlägen ab. Andererseits wird Natur durch die (sehr spekulativen) Berechnungsmodelle zu einer austauschbaren Abstraktion. Nehmen wir konkrete Proteste von Bäuer*innen, beispielsweise gegen ein Bergbauprojekt. Hier geht es nicht um abstrakte Werte einer Einheit an Wald oder Feld, das gegen etwas anderes gegengerechnet werden kann, sondern um ein ganz konkretes lokal vorhandenes Land auf und von dem konkrete Menschen, sowie andere Lebewesen, leben. Wenn das Bergbauunternehmen den Schutz einer Kompensationsfläche auf einem anderen Erdteil als Ausgleich für den lokalen Verlust anführt, dann schafft das eine neue Ungleichheit: Das Unternehmen hat die Möglichkeit, sich bei Widerstand „freizukaufen“, während die Widerstand leistende, weniger mächtige und lokale Bevölkerung ihre Lebensgrundlage verliert.

3) Die neuen Waren auf dem Markt der „grünen Ökonomie“ entfalten ein Eigenleben, das mitgedacht werden muss. Der Preis für Emissionsgutschriften spiegelt eben nicht die „wahren gesellschaftlichen Folgekosten“ von CO2-Emissionen in die Atmosphäre wider, sondern ergibt sich aus Angebot und Nachfrage. Ebenso darf nicht vergessen werden, dass jede Bepreisung bürokratische Infrastruktur nach sich zieht, die lokal in soziale Gefüge einwirkt und neue Möglichkeiten für Missbrauch und Machtverschiebung birgt. Man denke an die Humuszertifikate: Wie wird die Bodenanreicherung gemessen und von wem? Doch wie nachhaltig bleibt CO2 gebunden und wie wird das kontrolliert? Muss für die neuen Kontrollen gezahlt werden? Wer verdient daran? Etc.

Fazit

Als Fazit lässt sich zusammenfassen, dass ‚grüne Ökonomie‘ und ihre Instrumente zur Bepreisung von Natur keine sehr förderlichen Ansätze für Ernährungssouveränität und eine demokratischere Lebensmittelpolitik sind: Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse werden nicht beleuchtet. Die politische Mitgestaltung an einer ökologisch und sozial nachhaltigen und gerechteren Art zu Wirtschaften wird eher verhindert als gefördert. Natur muss als Wert an sich (intrinsisch), und nicht abstrahiert als Geldwert, wertgeschätzt werden. Und das erfordert nicht die Berechnung der „wahren Kosten“ (die mehr verschleiern als erhellen), sondern einen radikalen Wandel des Wirtschaftssystems. Solange sich durch das Abschieben von Folgekosten auf Schwächere, auf nächste Generationen, etc. Profit machen lässt, wird dies auch passieren. Die Bepreisung von Ökosystemleistungen hat nichts an diesem systemischen Problem geändert.

Andrea Beste und Anita Idel halten deutlich fest: „Die Aufgabe der Landwirtschaft liegt darin, auf Dauer ausreichend Lebensmittel auf dem Planeten Erde herstellen zu können. Dies geht nur, wenn die Basisressourcen – Böden, Gewässer, biologische Vielfalt – erhalten werden. Es ist nicht Aufgabe der Landwirtschaft, Treibhausgase, die durch industrielle Produktion verursacht werden, ‚einzufangen‘ bzw. zu kompensieren. Letzteres käme einem in jeder Hinsicht unverantwortbaren Klima-Ablasshandel gleich.“ [2] Eigentlich kennen wir ja längst Lösungsansätze, die helfen könnten, die Landwirtschaft sowohl klimafreundlicher zu machen, als auch faire Einkommen für Bäuer*innen zu erreichen. Und zwar demokratisch legitimierte, gesetzliche Rahmenbedingungen – nicht Marktmechanismen, nicht neue Berechnungsmodelle – die Kunstdünger- und Pestizideinsatz begrenzen und agrarökologische Kreisläufe und Systeme stärken; die Futtermittelimporte verbieten; die helfen, Monopole und die Agrarindustrie in den Wertschöpfungsketten aufzulösen; die eine global gerechte Handelspolitik schaffen; usw.

Zu guter Letzt, bleibt das wohl wichtigste und einfachste Argument gegen die grüne Bepreisung der Natur: Dass sie ablenkt von der ökologischen Notwendigkeit zur Reduktion von fossilem Brennstoffverbrauch. Umweltschutz, der keine Wachstums- und Konsumkritik enthält, muss fragwürdig bleiben.

Lisa Francesca Rail ist Anthropologin und aktiv in der Bewegung für Ernährungssouveränität und bei der ÖBV-Via Campesina Austria

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift “Wege für eine Bäuerliche Zukunft” Nr. 363/364 im Oktober 2020 erschienen.


[1] Siehe „Zukunft Erde“ der Raiffeisen Ware Austria, siehe z.B. „Mit Humus Geld verdienen“ in Blick ins Land 9/2020, S. 16.

[2] „Für Wald-, Grasland- und Weide- oder Ackernutzung gilt: Emissionen zu verringern bedeutet nicht (!), Kohlenstoff langfristig in den Böden zu speichern, sondern jeweils die Bilanz Kohlenstoff-abbauender und Kohlenstoff-aufbauender biologischer Prozesse durch kluges Management nachhaltig zugunsten der letzteren zu verschieben.“ (Beste/Idel: Vom Mythos der klimasmarten Landwirtschaft, 2018).