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Einforstungsrechte als Commonsrechte published on

Einforstungsrechte als Commonsrechte

Zwischen Beständigkeit und Unbeständigkeit. Teil 1/2

Von Lisa Francesca Rail

Wie viele Commons gibt es? Diese Frage stand am Anfang meines Forschungsprojektes zu Gemeinschaftsgütern in der Almwirtschaft in Österreich und sie ist gar nicht so einfach zu beantworten. Die letzte statistische Auswertung der Almbewirtschaftung, in der auf Eigentumsverhältnisse eingegangen wird, ist von 2009.[1] Aus der Erhebung geht hervor, dass zahlenmäßig zwar die meisten Almen in Österreich private Einzelalmen waren, vom Flächenanteil her allerdings 60 % der Almflächen gemeinschaftlich besessen oder genutzt wurden. Neben der veralteten Datenlage ist die Beantwortung der Frage komplex, weil es sehr verschiedene Arten der Gemeinschaftsgüter in der österreichischen Almwirtschaft gibt: Es gibt Gemeindealmen und Agrargemeinschaftsalmen, es gibt solche, die als Genossenschaften organisiert sind, selten auch als Vereine, und es gibt Almen, die auf Einforstungsrechten basieren. Letztere machen zwar nur 2-3 % der Almen aus[2], aber sie unterscheiden sich grundsätzlich von allen anderen Commons-Formen und eröffnen damit eigene Blickwinkel auf die Zukunft von Gemeinschaftsgütern in der Berglandwirtschaft.

Sonderfall Einforstungsalmen
Almen, die auf Einforstungsrechten basieren, sind insbesondere im Salzkammergut die dominierende Eigentumsform an Almflächen. Mit Ausnahme des Burgenlands und Wiens sind Einforstungsrechte an Wald und Weide allerdings in ganz Österreich verbreitet. Sie zeichnen sich durch zwei Besonderheiten aus. Erstens sind Einforstungsrechten bedarfsgebundene Nutzungsrechte auf dem Grund einer anderen Partei – zu 79 % handelt es sich dabei um Grund und Boden der Österreichischen Bundesforste AG (ÖBf).[3] Bei anderen Rechtsformen gehört die Almfläche der Gruppe von Anteilsberechtigten, bzw. der politischen Gemeinde, der die Berechtigten angehören.

Zweitens bilden Gruppen von Einforstungsberechtigten, die auf dieselbe Weidefläche auftreiben, keine juristisch anerkannte Körperschaft. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu Agrargemeinschaften, Gemeinden, oder Genossenschaften, bei denen es offiziell autorisierte Obleute und Statuten über Rechte und Pflichten der Beteiligten gibt. Jede eingeforstete Liegenschaft steht den Grundbesitzer*innen je mit einem einzelnen Vertrag gegenüber. Die Koordination und Arbeitsteilung bei der sich ergebenden kollektiven Almbewirtschaftung ist bei Einforstungsalmen dadurch informell. Wohl deshalb spielt für die Einforstungsrechte der freiwillige und Regionen übergreifende Zusammenschluss in Genossenschaften[4] zur gemeinsamen Interessensvertretung ein wichtige Rolle.

Bevor ich auf die praktischen Auswirkung dieser Rechtsform auf den Kontakt mit der AMA, auf Umgang mit Struktur- und Klimawandel, und die gesetzliche Absicherung der Gemeinschaftsalmen eingehe, zuerst ein Blick auf ihre historische Entwicklung.

Regulierung als Herrschaft, Regulierung als Absicherung
Am Beginn der Geschichtserzählung – sowohl seitens der Interessensvertretung durch den Verband der Einforstungsgenossenschaften (EV), als auch seitens der ÖBf[5] – steht die (Neu-)Besiedelung der betroffenen Regionen gegen Ende der Völkerwanderungszeit. Das Land in den Talböden wurde kultiviert und von entstehenden Hofstätten individuell in Anspruch genommen. Darüber hinaus konnten Wälder und Weideflächen gemeinschaftlich als Allmende für Holz, Futter und Streu genutzt werden. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte kommt es zu einer Abfolge von hoheitsrechtlichen Besitzansprüchen durch wechselnde säkulare oder kirchliche Landesfürsten. Höfe, Wälder und Weiden waren dementsprechend ab dem beginnenden Mittelalter den wirtschaftlichen Interessen der Grundherren und damit einhergehender Nutzungsregulierung unterworfen. Im Salzkammergut ist der für die Salzgewinnung hohe Holzbedarf entscheidend für die Entwicklung der Einforstungsrechte: Das Bestreben der Grundherren war groß, alte und offene Nutzungsrechte an Holz oder für die Freihaltung von Weideflächen möglichst präzise zu definieren und dadurch einzudämmen. Ab dem 16. Jahrhundert wurden zuvor wenig reglementierte Nutzungsrechte zunehmend genau den Berechtigten zugeteilt.

Die detaillierte Festschreibung der Rechte brachte auf lange Sicht aber auch Vorteile für die Höfe: Im Zuge der Grundentlastung von 1848 war zunächst die Ablösung aller Einforstungsrechte gegen Geld oder Äquivalente in Grund und Boden vorgesehen. Dies Umsetzung erwies sich jedoch oft als schwierig. Erst zwei folgende Anordnungen von 1852 und 1853 sahen auch die systematische Regulierung der Rechte vor. Zwischen 1858 und 1889 wurde schließlich von eigens eingerichteten Landeskommissionen der präzise Bedarf an Brenn- und Nutzholz, sowie an Weiderechten jeder nicht abzulösenden Liegenschaft ermittelt, ausgehandelt und in Urkunden festgehalten. Diese Regulierungsurkunden bilden bis heute ungebrochen die Rechtsgrundlage für die Ausübung der Einforstungsrechte in ganz Österreich.

Nutzung oder Eigentum?
Es verwundert nicht, dass die Geschichte der Einforstungsrechte von EV und ÖBf zwar ähnlich erzählt, aber unterschiedlich interpretiert wird. Die Bundesforste betonen die historische Kontinuität der Wald- und Weidenutzung als – eben – Nutzungsrechte. Der Verband argumentiert, dass die frühen Allmendeformen als Gemeinschaftsbesitz anzusehen sei, der durch die landesfürstlichen Herrschaftsansprüche gebrochen wurde. Über den strukturellen Interessenskonflikt zwischen Grundbesitzer*innen und Eingeforsteten – in der Interpretation von Eigentum und Gemeinschaftsgütern und darüber hinaus in aktuellen Aushandlungen – mehr in der nächsten Ausgabe.

Beständigkeit vs. Anpassung
Die langanhaltende Gültigkeit der Regulierungsurkunden lässt sich durch ihre hohe Genauigkeit erklären. 150 Jahre nach dem Verfassen der Urkunden kann diese Genauigkeit aber auch Probleme mit sich bringen, denn fortschreitender Klima- und Strukturwandel haben in der Zwischenzeit die Bedingungen der Almbewirtschaftung verändert. So stimmen etwa die urkundlich festgelegten Auf- und Abtriebstermine nicht mehr mit dem tatsächlichen Graswachstum überein. Auch die Bestoßungsdichten der Almen wurden nicht nach dem Fress- und Trittverhalten von heute üblichen Tierzüchtungen berechnet. Und schließlich bieten Einforstungsrechte wenig Flexibilität bei Hofschließungen oder für Neueinsteiger*innen in der Landwirtschaft: Ist ein Recht einmal abgelöst, ist es für immer verfallen, einem Hof ohne altes Recht kann kein neues ausgestellt werden und Übertragungen sind an viele Auflagen gebunden.

Auch EU-Förderungen und damit verbundene bürokratische Auflagen konnten im 19. Jahrhundert freilich nicht mitbedacht werden. Tatsächlich ist es bei der AMA-Förderbeantragung für gemeinsame Almflächen ein Problem, dass die Berechtigten keine anerkannte Gemeinschaft bilden: 1995 musste für Einforstungsalmen eine eigene Kategorie als Nutzungsgemeinschaft entwickelt werden und bis heute ist für Personen, die für ihre jeweilige Berechtigtengruppe den Antrag einreichen, die Haftung unklar – anders als bei gewählten Obleuten von Genossen- oder Agrargemeinschaften.

Entfall des Grundsatzgesetzes: Bröckelt die Beständigkeit?
Bei aller – teils zu starren – Beständigkeit ist die Absicherung der Einforstungsrechte trotzdem nicht in Stein gemeißelt. Daran sollte uns der Entfall des Grundsatzgesetzes über die Behandlung von Wald- und Weiderechten erinnern. Einforstungsrechte unterliegen, anders als privatrechtliche Servitute, einem eigenen Gesetzeskörper. Der Rahmen und Schutz des Einforstungsgesetzes war bis 1.1.2020 auf Bundesebene verankert, während Ausführungsgesetz und Vollzug immer in der Kompetenz der Länder lagen. Trotz Widerstand der Interessensvertretung der Eingeforsteten wurde die Bundesgesetzgebung außer Kraft gesetzt. Bisher sind wenige Auswirkungen spürbar, aber die Sorge ist groß, dass die Stärke der Einforstungsrechte in einzelnen Ländern aufgeweicht werden könnte, sollte der (nun dezentrale) Wille des Gesetzgebers doch wieder die Ablösung von Nutzungsrechten unterstützen. Auch hierzu mehr in Teil 2.

Lisa Francesca Rail, ist Kultur- und Sozialanthropologin und forscht zu Commons in der Almwirtschaft

Dieser erste Teil wurde zuerst in der Ausgabe Nr. 373 der Zeitschrift “Wege für eine Bäuerliche Zukunft” (3/2022) veröffentlicht. Der zweite Teil ist hier zu finden. Die Zeitschrift kann hier abonniert werden.

[1] https://bab.gv.at/index.php?option=com_content&view=article&id=1547:ff43-almstatistik-2009&catid=135&lang=de&Itemid=419

[2] 1988 umfassten die Einforstungsrechte österreichweit trotzdem Weiderecht für 186.000 GVE auf Almen und Heimweiden https://www.einforstungsverband.at/einforstungsrecht/zahlen-und-fakten; die ÖBf sprachen auf ihrem Gebiet 2006 von Rechten für 163.000 GVE, von denen allerdings nur 42.000 ausgeübt wurden https://www.bundesforste.at/fileadmin/publikationen/berichte/_bf_Chronik.pdf

[3] https://www.einforstungsverband.at/einforstungsrecht/zahlen-und-fakten

[4] https://www.einforstungsverband.at/ueber-uns/struktur

[5] https://www.einforstungsverband.at/ueber-uns/geschichte, https://www.bundesforste.at/fileadmin/publikationen/berichte/_bf_Chronik.pdf, sowie persönliche Kommunikation in Interviews mit Vertreter*innen beider Institutionen