Die EU braucht eine Landreform, um zu verhindern, dass die Großbetriebe und das Agribusiness kleine Höfe verschlingen
Von Antonio Onorati
Um den Bäuer*innen eine Zukunft zu sichern und das Wohlergehen der Bürger*innen zu schützen, muss die Europäische Kommission angesichts des zunehmenden Land Grabbings und der Spekulation mit Land in den kommenden Monaten einen gemeinsamen Rahmen für eine Landregulierung auf die politische Agenda setzen. Die Dringlichkeit der Lage hat dazu geführt, dass die Bäuer*innen der Europäischen Koordination Via Campesina einen eigenen Vorschlag für eine europäische Richtlinie verfasst[1] hat, der im März den Vertreter*innen der Generaldirektion AGRI (Europ. Kommission) und den EU-Parlamentsabgeordneten vorgelegt wurde.
Zunehmende Landkonflikte: Menschen versus Profite
Angesichts klimatischer, ökologischer und sozialer Notlagen ist der Schutz von natürlichen Ressourcen wie Land, Wasser und Saatgut für die Allgemeinheit von zentraler Bedeutung. Die jüngsten Demonstrationen in Frankreich gegen geplante Wasser-Megabecken – und die daraus resultierende Polizeigewalt gegen Demonstrant*innen – sind nur ein Beispiel dafür, wie Bürger*innen zunehmend Maßnahmen ergreifen, um gemeinsame Interessen vor privaten Unternehmen und vor Regierungen zu schützen, die den Profit und nicht die Menschen in den Vordergrund stellen.
Landwirtschaftliche Flächen machen 38 % des EU-Territoriums aus. Da sich die Aufmerksamkeit auf Konflikte rund um die Klimakrise und die nachhaltigere Gestaltung der europäischen Landwirtschaft gerichtet hat, wird Land auf der europäischen politischen Agenda immer wichtiger und steht im Mittelpunkt vieler aktueller landwirtschaftlicher und gesellschaftlicher Probleme.
Das Europäische Parlament[2] und der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss[3] haben die Europäische Kommission bereits aufgefordert, einen Rahmen zur Landregulierung umzusetzen. Die Rechte und Pflichten zum Schutz von Land sind in internationalen Texten wie der „UN-Erklärung über die Rechte von Kleinbäuer*innen und anderen Menschen, die in ländlichen Gebieten arbeiten“ (UNDROP) und in den „Freiwilligen Leitlinien für die verantwortungsvolle Verwaltung von Land-, Fischerei- und Waldbesitz“ des Welternährungsausschusses (CFS) festgehalten.[4]
Das Fehlen einer europäischen Landpolitik steht zu anderen politischen Zielen der EU im Widerspruch und ist eine zentrale Ursache dafür, dass angehende Bäuer*innen keinen Zugang zu Land haben. Dies trägt auch zum Verlust der biologischen Vielfalt bei, erhöht die Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft und den Einsatz von Pestiziden und erschwert ganz allgemein den Zugang zu ausreichender und gesunder Nahrung für die europäische und die globale Bevölkerung.
Untersuchungen des Agrar-Ausschusses des Europäischen Parlaments zufolge könnte die EU bis 2040 weitere 6,4 Millionen Höfe verlieren, sodass EU-weit insgesamt etwa 3,9 Millionen übrig bleiben würden (das wäre ein Verlust von 62 Prozent im Vergleich zu 2016). Die Daten zeigen auch, dass die landwirtschaftliche Bevölkerung in Europa altert:[5] Mehr als die Hälfte aller Bäuer*innen werden in den nächsten 10 Jahren das Pensionsalter erreichen. Wer wird das Land dann weiter bearbeiten? Nur 11 Prozent der Bäuer*innen in der EU sind unter 40 Jahre alt und jüngere Generationen haben viele Schwierigkeiten, Bäuer*in zu werden. Gleichzeitig zieht der finanzielle Wert von Land immer mehr nicht-landwirtschaftliche Investoren an, die mehr an steigenden Profiten als an der Produktion von Lebensmitteln interessiert sind. Die Erleichterung des Zugangs zu Land durch eine gerechte Landpolitik ist daher von entscheidender Bedeutung.
Derzeit können Unternehmen Landbesitz monopolisieren und dazu missbrauchen, um Profite zu maximieren. Zugleich wird dem freien Kapitalverkehr eine höhere Priorität eingeräumt als sicherzustellen, dass Unternehmen nachhaltig, verantwortungsbewusst oder rechtmäßig handeln.
Big Agri, kurzfristige Gewinne
Mit diesen Entwicklungen ist auch verbunden, dass landwirtschaftliche Betriebe immer größer werden. Dieser Übergang zu größeren industriellen Modellen ermöglicht es multinationalen Konzernen, ihre eigenen kurzfristigen Gewinne zu steigern und gleichzeitig die langfristigen Kosten Bäuer*innen, Landarbeiter*innen, Tieren, Bürger*innen und dem Planeten aufzubürden. Von Gesundheitsproblemen über Umweltschäden, schlechter Lebensmittelqualität, erhöhtem Einsatz von Pestiziden, verschlechterter Bodenqualität, Umweltverschmutzung und schlechterem Tierschutz reichen die Auswirkungen auf die Gesellschaft, die ausgeblendet werden, um die Taschen einiger weniger Einzelpersonen zu füllen.
Wenn die Europäische Kommission jedoch einen Rahmen für eine Landregulierung auf die politische Agenda setzen würde, beispielsweise in Form einer Landrichtlinie, würde sie die Mitgliedstaaten für die Umsetzung nationaler Strategien zur Verantwortung ziehen, um sicherzustellen, dass Land im allgemeinen Interesse der Gesellschaft genutzt wird und nicht wie jede andere Ware. In vielen Ländern und insbesondere in Osteuropa ist aufgrund des Fehlen einer europäischen Gesetzgebung unklar, welche Maßnahmen die Staaten zur Regulierung der Landmärkte ergreifen können, wenn die EU keine weiteren Maßnahmen setzt. Der vielleicht besorgniserregendste Aspekt für die Bürger*innen in Europa ist die Tatsache, dass die europäische Politik – und damit über das Geld der Steuerzahler*innen – schädliche Landkonzentration finanziert und weiter vorantreibt.
Beispielsweise werden GAP-Subventionen pro Hektar gezahlt, was Unternehmen und Landwirte dazu ermutigt, Land als Vermögenswert zu betrachten und mit so viel Land wie möglich zu spekulieren, um mehr Geld zu erhalten. Und zugleich machen sie Druck, dass dieses Land in Bezug auf die Frage, wie dieses Land genutzt werden muss, so wenig Einschränkungen wie möglich hat. Darüber hinaus behaupten EU-Vertreter*innen oft, dass die Regulierung von Landfragen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. Jedoch könnte die EU gemäß den EU-Gründungsverträgen handeln und Leitlinien dafür erlassen, wie die Landkonzentration gestoppt und der Zugang zu Land für kleine und mittlere Bäuer*innen erleichtert werden kann – sofern es den politischen Willen dafür gibt.
Es gibt zwar nationale Initiativen zum Aufbau grundlegend anderer Landsysteme, aber oft behindern die aktuellen Rahmenbedingungen diese Initiativen, anstatt sie zu unterstützen. Bis auf wenige Fälle haben die Mitgliedstaaten die Frage der Regulierung von Land nicht ausreichend angegangen. Eine Landrichtlinie würde gemeinsame Ziele in ganz Europa festlegen. Und das würde den Mitgliedstaaten ermöglichen, jene Strategien umzusetzen, die in ihrem Kontext am sinnvollsten sind.
Landwirtschaft, Umwelt und Märkte sind alles Schlüsselbereiche, die in der Kompetenz der EU liegen. Land ist dabei ein grundlegender Faktor in jedem dieser Themen. Wir haben einen gemeinsamen Agrarmarkt, aber keine gemeinsamen Regeln für landwirtschaftliche Strukturen. Das verstärkt interne Ungleichheiten und den unlauteren Wettbewerb immer weiter. Und es macht unmöglich, ausreichende Maßnahmen zur Erreichung der Klima- und Agrarziele umzusetzen. Angesichts der begrenzten, besonderen und außergewöhnlichen Natur von Land kommt den europäischen Institutionen daher eine Schlüsselrolle zu, dieses zu regulieren und zu schützen. Da andere EU-Institutionen und internationale Rechtsdokumente dies anerkennen, ist es an der Zeit, dass die Europäische Kommission sich der Herausforderung stellt, Bäuer*innen und Bürger*innen gleichermaßen zu schützen.
Antonio Onorati ist ein italienischer Bauer in Latium und Mitglied des Koordinationskomittees der European Coordination Via Campesina (ECVC).
ECVC ist ein Zusammenschluss von bäuerlichen Gewerkschaften und Organisationen von Klein- und Mittelbäuer*innen und Landarbeiter*innen in ganz Europa. Die ECVC besteht aus 31 nationalen und regionalen Organisationen in 21 europäischen Ländern.
Zunehmende Landkonflikte: Menschen versus Profite
Angesichts klimatischer, ökologischer und sozialer Notlagen ist der Schutz von natürlichen Ressourcen wie Land, Wasser und Saatgut für die Allgemeinheit von zentraler Bedeutung. Die jüngsten Demonstrationen in Frankreich gegen geplante Wasser-Megabecken – und die daraus resultierende Polizeigewalt gegen Demonstrant*innen – sind nur ein Beispiel dafür, wie Bürger*innen zunehmend Maßnahmen ergreifen, um gemeinsame Interessen vor privaten Unternehmen und vor Regierungen zu schützen, die den Profit und nicht die Menschen in den Vordergrund stellen.
Landwirtschaftliche Flächen machen 38 % des EU-Territoriums aus. Da sich die Aufmerksamkeit auf Konflikte rund um die Klimakrise und die nachhaltigere Gestaltung der europäischen Landwirtschaft gerichtet hat, wird Land auf der europäischen politischen Agenda immer wichtiger und steht im Mittelpunkt vieler aktueller landwirtschaftlicher und gesellschaftlicher Probleme.
Das Europäische Parlament[2] und der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss[3] haben die Europäische Kommission bereits aufgefordert, einen Rahmen zur Landregulierung umzusetzen. Die Rechte und Pflichten zum Schutz von Land sind in internationalen Texten wie der „UN-Erklärung über die Rechte von Kleinbäuer*innen und anderen Menschen, die in ländlichen Gebieten arbeiten“ (UNDROP) und in den „Freiwilligen Leitlinien für die verantwortungsvolle Verwaltung von Land-, Fischerei- und Waldbesitz“ des Welternährungsausschusses (CFS) festgehalten.[4]
Das Fehlen einer europäischen Landpolitik steht zu anderen politischen Zielen der EU im Widerspruch und ist eine zentrale Ursache dafür, dass angehende Bäuer*innen keinen Zugang zu Land haben. Dies trägt auch zum Verlust der biologischen Vielfalt bei, erhöht die Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft und den Einsatz von Pestiziden und erschwert ganz allgemein den Zugang zu ausreichender und gesunder Nahrung für die europäische und die globale Bevölkerung.
Untersuchungen des Agrar-Ausschusses des Europäischen Parlaments zufolge könnte die EU bis 2040 weitere 6,4 Millionen Höfe verlieren, sodass EU-weit insgesamt etwa 3,9 Millionen übrig bleiben würden (das wäre ein Verlust von 62 Prozent im Vergleich zu 2016). Die Daten zeigen auch, dass die landwirtschaftliche Bevölkerung in Europa altert:[5] Mehr als die Hälfte aller Bäuer*innen werden in den nächsten 10 Jahren das Pensionsalter erreichen. Wer wird das Land dann weiter bearbeiten? Nur 11 Prozent der Bäuer*innen in der EU sind unter 40 Jahre alt und jüngere Generationen haben viele Schwierigkeiten, Bäuer*in zu werden. Gleichzeitig zieht der finanzielle Wert von Land immer mehr nicht-landwirtschaftliche Investoren an, die mehr an steigenden Profiten als an der Produktion von Lebensmitteln interessiert sind. Die Erleichterung des Zugangs zu Land durch eine gerechte Landpolitik ist daher von entscheidender Bedeutung.
Derzeit können Unternehmen Landbesitz monopolisieren und dazu missbrauchen, um Profite zu maximieren. Zugleich wird dem freien Kapitalverkehr eine höhere Priorität eingeräumt als sicherzustellen, dass Unternehmen nachhaltig, verantwortungsbewusst oder rechtmäßig handeln.
Big Agri, kurzfristige Gewinne
Mit diesen Entwicklungen ist auch verbunden, dass landwirtschaftliche Betriebe immer größer werden. Dieser Übergang zu größeren industriellen Modellen ermöglicht es multinationalen Konzernen, ihre eigenen kurzfristigen Gewinne zu steigern und gleichzeitig die langfristigen Kosten Bäuer*innen, Landarbeiter*innen, Tieren, Bürger*innen und dem Planeten aufzubürden. Von Gesundheitsproblemen über Umweltschäden, schlechter Lebensmittelqualität, erhöhtem Einsatz von Pestiziden, verschlechterter Bodenqualität, Umweltverschmutzung und schlechterem Tierschutz reichen die Auswirkungen auf die Gesellschaft, die ausgeblendet werden, um die Taschen einiger weniger Einzelpersonen zu füllen.
Wenn die Europäische Kommission jedoch einen Rahmen für eine Landregulierung auf die politische Agenda setzen würde, beispielsweise in Form einer Landrichtlinie, würde sie die Mitgliedstaaten für die Umsetzung nationaler Strategien zur Verantwortung ziehen, um sicherzustellen, dass Land im allgemeinen Interesse der Gesellschaft genutzt wird und nicht wie jede andere Ware. In vielen Ländern und insbesondere in Osteuropa ist aufgrund des Fehlen einer europäischen Gesetzgebung unklar, welche Maßnahmen die Staaten zur Regulierung der Landmärkte ergreifen können, wenn die EU keine weiteren Maßnahmen setzt. Der vielleicht besorgniserregendste Aspekt für die Bürger*innen in Europa ist die Tatsache, dass die europäische Politik – und damit über das Geld der Steuerzahler*innen – schädliche Landkonzentration finanziert und weiter vorantreibt.
Beispielsweise werden GAP-Subventionen pro Hektar gezahlt, was Unternehmen und Landwirte dazu ermutigt, Land als Vermögenswert zu betrachten und mit so viel Land wie möglich zu spekulieren, um mehr Geld zu erhalten. Und zugleich machen sie Druck, dass dieses Land in Bezug auf die Frage, wie dieses Land genutzt werden muss, so wenig Einschränkungen wie möglich hat. Darüber hinaus behaupten EU-Vertreter*innen oft, dass die Regulierung von Landfragen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. Jedoch könnte die EU gemäß den EU-Gründungsverträgen handeln und Leitlinien dafür erlassen, wie die Landkonzentration gestoppt und der Zugang zu Land für kleine und mittlere Bäuer*innen erleichtert werden kann – sofern es den politischen Willen dafür gibt.
Es gibt zwar nationale Initiativen zum Aufbau grundlegend anderer Landsysteme, aber oft behindern die aktuellen Rahmenbedingungen diese Initiativen, anstatt sie zu unterstützen. Bis auf wenige Fälle haben die Mitgliedstaaten die Frage der Regulierung von Land nicht ausreichend angegangen. Eine Landrichtlinie würde gemeinsame Ziele in ganz Europa festlegen. Und das würde den Mitgliedstaaten ermöglichen, jene Strategien umzusetzen, die in ihrem Kontext am sinnvollsten sind.
Landwirtschaft, Umwelt und Märkte sind alles Schlüsselbereiche, die in der Kompetenz der EU liegen. Land ist dabei ein grundlegender Faktor in jedem dieser Themen. Wir haben einen gemeinsamen Agrarmarkt, aber keine gemeinsamen Regeln für landwirtschaftliche Strukturen. Das verstärkt interne Ungleichheiten und den unlauteren Wettbewerb immer weiter. Und es macht unmöglich, ausreichende Maßnahmen zur Erreichung der Klima- und Agrarziele umzusetzen. Angesichts der begrenzten, besonderen und außergewöhnlichen Natur von Land kommt den europäischen Institutionen daher eine Schlüsselrolle zu, dieses zu regulieren und zu schützen. Da andere EU-Institutionen und internationale Rechtsdokumente dies anerkennen, ist es an der Zeit, dass die Europäische Kommission sich der Herausforderung stellt, Bäuer*innen und Bürger*innen gleichermaßen zu schützen.
Antonio Onorati ist ein italienischer Bauer in Latium und Mitglied des Koordinationskomittees der European Coordination Via Campesina (ECVC).
ECVC ist ein Zusammenschluss von bäuerlichen Gewerkschaften und Organisationen von Klein- und Mittelbäuer*innen und Landarbeiter*innen in ganz Europa. Die ECVC besteht aus 31 nationalen und regionalen Organisationen in 21 europäischen Ländern.
Dieser Kommentar ist zuerst im EU-Observer am 14. April 2023 erschienen. Übersetzung: Redaktion
[1] https://www.eurovia.org/publications/proposal-for-an-eu-land-directive/
[2] https://tinyurl.com/3m3jh7cb
[3] https://tinyurl.com/4a9vdk4s
[4] https://www.fao.org/tenure/voluntary-guidelines/en/
[5] https://tinyurl.com/58zt7evh