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“Fit for 55”-Klimapaket: “Wir müssen die Emissionen reduzieren, anstatt einen zerstörerischen Wettlauf zur Kohlenstoffneutralität zu verfolgen” published on

“Fit for 55”-Klimapaket: “Wir müssen die Emissionen reduzieren, anstatt einen zerstörerischen Wettlauf zur Kohlenstoffneutralität zu verfolgen”

Pressemitteilung 15. Juli 2021, Brüssel, Europäische Koordination Via Campesina (ECVC)

Bauern und Bäuerinnen in ganz Europa kämpfen damit, mit den heftigen und extremen Wetterereignissen fertigzuwerden, denn diese beeinträchtigen die Produktion von Lebensmitteln massiv. Das „Fit for 55″-Paket, das zur Umsetzung des europäischen Klimagesetzes ausgearbeitet wurde, enttäuscht jedoch aus bäuerlicher Sicht.

Die zwölf Initiativen, die in dem Paket skizziert werden, werden der Ausgangspunkt für die politischen Verhandlungen der nächsten zwei Jahre sein. Statt eines dringend notwendigen ambitionierten Ansatzes, enthält das „Fit for 55“-Paket jedoch nur kleine Korrekturen und bloße Kompensationsmaßnahmen.

Einer der wichtigsten Punkte, der in diesem Klimaaktionspaket völlig fehlt, ist eine echte Neuausrichtung der Handelsabkommen. Unser Lebensmittelsystem basiert heute weltweit und insbesondere in Europa auf globalisierten Märkten: Auf dem Durchfluss von Nahrungsmitteln zwischen Orten der Agrar- und Lebensmittelproduktion auf der einer Seite des Planeten hin zur anderen. Dies findet ohne die geringste wirtschaftliche, soziale und ökologische Begründung statt und zugleich werden die gravierenden und klar belegten Auswirkungen auf die Klimakrise nicht berücksichtigt. Mit diesem Paket wird abgesehen von einem schwachen Mechanismus zum Kohlenstoffausgleich (CBAM), welcher sich auf Düngemittel beschränkt, nichts unternommen, um diesem Trend entgegenzuwirken. Um echte Klimagerechtigkeit zu ermöglichen, müssen die Handelsabkommen revidiert werden. Ebenso müssen die Lebensbedingungen von Bauern und Bäuerinnen in Drittländern berücksichtigt werden, da diese nun von diesen Abkommen abhängig sind. Wir kritisieren, dass die EU die Chance dieser dringend benötigten Gesetzgebung nicht genutzt hat, um die Neugestaltung der Bedingungen für nachhaltige Lebensmittelsysteme wirklich zu unterstützen.

Darüber hinaus versäumt es dieses Paket, konkrete Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen aus dem Landwirtschaftssektor festzulegen. Dies muss schneller geschehen, ähnlich wie im Bau-, Verkehrs- und Industriesektor. Gerade deshalb brauchen die Bauern und Bäuerinnen konkrete und faire Unterstützung: Um den Übergang zu Bewirtschaftungsweisen zu erleichtern, die auf den Prinzipien der Agrarökologie basieren und um sicherzustellen, dass Europa in Zukunft mehr Bauern und Bäuerinnen hat. Bauern und Bäuerinnen müssen dabei unterstützt werden und es muss attraktiv sein, schrittweise auf den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln zu verzichten. Denn diese beeinträchtigen nicht nur die Gesundheit aller, sondern verursachen auch erhebliche Treibhausgasemissionen. Es braucht weniger Abhängigkeit von Agrarförderungen und stattdessen mehr und besser bezahlte Bauern und Bäuerinnen; weniger Wettbewerb um Produktivität und mehr Agrarökologie und Lebensmittel, die besser für unsere Gesundheit und unseren Planeten sind. ECVC fordert zudem ein einfaches Verbot der intensiven industriellen Landwirtschaft.

Wir sind auch sehr skeptisch bei der Einbeziehung von Wäldern, landwirtschaftlichen Flächen und Feuchtgebieten in die Verordnung zu Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (LULUCF) bis 2030. Dies wird in einer zunehmenden Anzahl von Sektoren zu Emissionsausgleichsmechanismen über Kohlenstoffzertifizierung führen. Denn was wir wirklich dringend brauchen sind Brutto-Emissionsziele, die eine wirkliche Reduzierung der Emissionen umsetzen. Bereits bisher hat sich dieser Wettlauf um die Kompensation von Emissionen als sinnlos erwiesen, denn er lässt einfach noch mehr Verschmutzung zu. Zugleich hat dieser Wettlauf sehr negative Folgen (vor allem im Rahmen des REDD+-Mechanismus), wie z.B. Landgrabbing und die gefährliche Umwidmung der Landnutzung, die vom Anbau von Lebensmitteln wegführt. Wir sind auch besorgt über die Carbon Farming Initiative, die für das Ende dieses Jahres angekündigt wurde. Denn auch sie wird der gleichen Logik der Kompensation von Emissionen folgen.

Nicht zuletzt betont ECVC, dass die Komplexität dieser Verordnungen und Richtlinien und ihre mangelnde Zugänglichkeit jeden echten Bürgerdialog verhindert, einschließlich der Beteiligung von Bauern und Bäuerinnen, die zu den ersten gehören, die die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren bekommen. Wir kritisieren weiters, dass diese Verordnungen so schlecht mit der GAP und dem Lebensmittelsystem in Europa abgestimmt sind. Klimamaßnahmen erfordern einen systemischen Ansatz im Lebensmittelsektor: von der Produktion bis zum Konsum. Wenn dieser Ansatz hier im „Fit-for-55“-Paket nicht verfolgt wird, dann müssen wir hoffen, dass andere Gesetzesinitiativen innerhalb des Green Deals unseren Erwartungen gerecht werden, einschließlich des Gesetzes für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem.

Die Bauern und Bäuerinnen stehen an vorderster Front: Sie gehören zu den ersten, die die Folgen des Klimawandels zu spüren bekommen, sind aber auch Hauptakteur*innen der Lösung!

Kontakte (EU-Ebene):
Morgan Ody, Coordinating Committee bei ECVC – +33 626 97 76 43 – Frankreich – FR, EN
Andoni Garcia Arriola, Coordinating Committee bei ECVC – +34 636 45 15 69 – ES, EUS

Kontakt (Österreich):
Franziskus Forster
Tel.: +43 650 68 888 69