Die Agrarpolitik des kommenden Jahrzehnts wird aktuell verhandelt. Wir haben mit Frauen aus Landwirtschaft, Frauenberatung und Wissenschaft gesprochen, was es für Frauen am Land braucht und was sich dringen ändern muss, um Gleichstellung von Frauen und Männer im Fördersystem zu erreichen.
Gleichstellung ist in den aktuellen Verhandlungen um die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) nun erklärtes Ziel. Doch was heißt das auf lokaler Ebene? In diese Diskussion mischt sich der Frauenarbeitskreis der ÖBV-Bäuerinnen aktuell sehr aktiv ein. Gemeinsam wurden Forderungen erarbeitet, um klar zu machen, wie Frauen und Gleichstellung durch die Agrarpolitik unterstützt werden müssen.
Landflucht ist weiblich
Besonders viele Frauen ziehen es vor, vom Land in die Stadt zu gehen. Gute Arbeitsplätze für Frauen am Land zu schaffen und zu erhalten ist daher der zentrale Fokus der ÖBV-Frauen. Sowohl in der Landwirtschaft, als auch im Gewerbe rund um die Landwirtschaft können gute und sinnvolle Arbeitsplätze geschaffen werden. In der aktuellen Reform fordern die ÖBV-Bäuerinnen daher ein Maßnahmenpaket, um die Abwanderung von Frauen vom Land abzubremsen und umzukehren.
Damit Frauen dieser Arbeit auch nachgehen können, ist eine Infrastruktur für die Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen notwendig. Immer noch gibt es kein flächendeckendes Angebot von Kinderbetreuung auch am Nachmittag. – Oder dieses wird sogar zurückgenommen. Um nicht „Mama-Taxi“ spielen zu müssen, braucht es ein öffentliches Verkehrsnetz mit häufigem Takt und gemeinschaftliche Lösungen für die letzten Kilometer.
Auch in der Beratung und der Bildung müssen die Bedürfnisse von Frauen am Hof berücksichtigt werden und die Entwicklung ihrer Ideen unterstützt werden. Das sind wichtige Maßnahmen in der GAP für den Wandel von stereotypen Rollenbildern und geschlechtlicher Arbeitsteilung. Die ÖBV fordert daher eine Schulung von Berater*innen zu Themen wie sozialer Absicherung, z. B. bei Scheidung und Stärkung der Arbeitsplätze von Frauen auf den Betrieben. Auch in der Bildung muss kritische agrarpolitische Bildung besonders für Frauen gefördert werden.
Julianna Fehlinger, Geschäftsleiterin der ÖBV-Via Campesina Austria
Wir haben drei Frauen eingeladen, über ihre Erfahrungen zu erzählen.
Investitionen auf kleinen Höfen, statt Wachsen und Weichen subventionieren
Maria Vogt, ÖBV-Bäuerin aus dem Weinviertel
Die Gleichstellung von Männern und Frauen bei der Antragstellung von diversen Förderungen im Rahmen der GAP ist verankert. Jedoch: Wieviele Frauen beantragen und bekommen z.B. Investitionsförderung in der Landwirtschaft? Nur 15 % der Anträge werden von Betriebsleiterinnen gestellt, obwohl sie rund 30 % der Höfe führen. Männer stellen dagegen rund 50 % der Anträge. Der Rest entfällt auf Ehegemeinschaften und juristische Personen.[1] Ein klares Ungleichgewicht!
Die Mindesthöhe der Projektsumme liegt derzeit bei € 15.000. Die Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft zeigt, dass wenig Geld auf den Höfen für Investitionen übrigbleibt. Kleine, vielfältige, direktvermarktende Betriebe haben bisher keine Möglichkeit, für Investitionen unter der Mindesthöhe (z.B. Getreidemühle, Brotbackofen, Nudelmaschine, …) an diesem Programm teilzunehmen. Frauen sind die treibenden Kräfte für Verarbeitung und Direktvermarktung. Im Sinne einer „vom Acker bis zum Teller”- Ansage der Agrarpolitiker*innen und deren Umsetzung gäbe es hier Potentiale. In der Entwicklungszusammenarbeit werden seit langem Frauen als Akteurinnen für eine nachhaltige Land-/Wirtschaftsentwicklung gesehen und gefördert. Wir fordern, Frauen bei landwirtschaftlichen und außerlandwirtschaftlichen Investitionen besonders zu fördern:
- Kleinprojekte von 1.000-15.000 € Projektsumme mit vereinfachter Antragstellung und Abrechnung. Die Förderquote für diese Projekte soll hoch angesetzt werden (z.B. mit 50 %) und eine Teilauszahlung im Vorhinein soll möglich sein.
- Frauenbonus
- Kooperationsprojekte durch Investitionsförderung besonders unterstützen und Antragstellung auch für Gemeinschaftshöfe ermöglichen
Frauen_Potenziale_fördern
Theresia Oedl-Wieser, Bundesanstalt für Agrarwirtschaft und Bergbauernfragen
Seit nunmehr 25 Jahren gibt es EU-Programme zur agrarischen und ländlichen Entwicklung und genauso lange stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß Frauen Adressatinnen dieser Programme sind und inwieweit sie diese mitgestalten können. Fakt ist, dass Förderpolitiken auf die Ressourcenzugänglichkeit und die Gestaltung von Geschlechterbeziehungen im ländlichen Raum einwirken. Daher ist es notwendig, dass im zukünftigen GAP-Strategieplan spezifische Fördermöglichkeiten und Unterstützungsstrukturen für Frauen im Programm verankert werden und die Informationen für Frauen im ländlichen Raum leicht zugänglich sind. Ermöglichende Förderungen, die auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und Bedürfnisse eingehen, können die Dynamisierung des ländlichen Raumes entscheidend vorantreiben. Wie etwa:
- Einstiegsfinanzierung für Neugründungen in der Landwirtschaft
- Impuls- und Anschubfinanzierung für Gründungen von Frauen in ländlichen Regionen
- Vernetzung und Zusammenarbeit mit anderen Bauern und Bäuerinnen sowie Konsument*innen (Solidarische Landwirtschaft und Food-Coops)
- Teamgründungen und Kooperationen (Genossenschaften, Plattformen, andere kooperative Rechtsformen)
- Gründungsberatungsstellen speziell für Frauen, die bestehende Angebote und Institutionen bündeln
- Frauen-Netzwerke, Regionalmanager*in für Gleichstellung in ländlichen Regionen
Weggehen – Zurückkommen – Zurroasen
Claudia Prudic, Klinische- und Gesundheitspsychologin
Die meisten jungen Menschen lieben das Dorf, in dem sie aufgewachsen sind. Und dennoch zieht es viele in die großen Städte. Dort erwarten sie zahlreiche Ausbildungsoptionen, kulturelle Veranstaltungs- und Freizeitangebote, Praktikums- und Arbeitsplätze, ausgebauter öffentlicher Verkehr und Kinderbetreuungsplätze, sowie Entfaltungsmöglichkeiten jenseits rigider Rollenbilder. Vor allem Frauen fällt es schwer, zurück zu kehren oder in einer neuen ländlichen Region zu starten. Am Land gibt es für sie wenige attraktive Jobs und viel unbezahlte Arbeit, die sie neben einer potentiellen Mutterrolle mit einer Teilzeitbeschäftigung vereinbaren müssen. Dennoch bietet die Phase der Familiengründung den Gemeinden ein kurzes Zeitfenster, Frauen anzusprechen und zurück zu holen.
Teilhabe stärken
Durch das Schaffen von Begegnungsräumen laden Gemeinden ihre Bürgerinnen aktiv zur Mitgestaltung des gemeinsamen Lebensraumes ein. Die Weltkulturerbe-Region Rax-Semmering mit ihrer engagierten Bürgermeisterin kooperierte beispielsweise mit der Frauenberatung wendepunkt. Gemeinsam wurde der Region.Frauen.Treff. initiiert. Neben kleineren Veranstaltungen organisierten die Frauen am Internationalen Frauentag 2020 die erste fahrende Frauenmesse „Frauen am Zug“. Das Aufbrechen patriarchaler Strukturen und eine verstärkte Teilhabe von Frauen am Gemeindeleben und bei politischen Entscheidungen sind notwendig. Nur durch eine verstärkte Mitwirkung von Frauen, sowie anderer sozialer Gruppen im ländlichen Raum können die Weichen für eine erhöhte Lebensqualität und Alltagsgerechtigkeit gestellt werden. Frauen müssen die Regeln mitgestalten, nach denen sie leben!
Weitere Informationen:
Frauenberatungsstellen gibt es in ganz Österreich
Aus: Wege für eine Bäuerliche Zukunft Nr. 365/2020, Schwerpunkt „Weiberwirtschaft – systemrelevant?!“
[1] Aus: Evaluierungsstudie: Gleichstellung von Männern und Frauen im Österreichischen Programm für ländliche Entwicklung 2014-2020? – Endbericht April 2019