Bäuerinnen (und Haderer-Kühe) fordern „Mehr Höfe statt Freihandel“
Es braucht 50% Frauen in allen agrarpolitischen Gremien und eine Willkommenskultur für feministische ökologische Initiativen
Im Rahmen des österreichischen Vorsitzes der Alpenkonvention findet vom 18. bis 19. April 2017 in Alpbach/Tirol die Internationale Konferenz „Frauen in Bergregionen“ statt. Die Konferenz soll „die einzigartige Rolle von Frauen in den Mittelpunkt stellen“ und „ihren unverzichtbaren Beitrag zum Schutz, der Erhaltung und der Weiterentwicklung von Gebirgsregionen beleuchten[1]“. Der Frauenarbeitskreis der Österreichischen Berg- und Kleinbäuer_innen Vereinigung (ÖBV-Via Campesina Austria) kritisiert anlässlich der Konferenz, dass es trotz aller Lippenbekenntnisse an politischem Willen fehle, ökologische, demokratische und geschlechtergerechte Initiativen im ländlichen Raum angemessen zu unterstützen. „Die schwierige Situation in der Berglandwirtschaft macht uns betroffen. Angesichts einer Politik des ‚Wachsens oder Weichens‘, die sich auf Exporte und Freihandelsabkommen stützt, wandert die Produktion vom Berg ins Tal. Höfe sperren zu und Arbeitsplätze gehen verloren. Frauen sind von diesen Entwicklungen besonders betroffen“, so Heidi Rest-Hinterseer, Bergbäuerin in Salzburg und Mitglied im Frauenarbeitskreis der ÖBV-Via Campesina Austria. „Insbesondere junge Frauen finden unwirtliche Umstände vor und wandern in regionale und überregionale Zentren ab. Um ein eigenständiges Leben am Land gestalten zu können, fehlt es an Kinderbetreuungseinrichtungen, an einer Entlastung in der Pflege, an öffentlichen Verkehrsmitteln, an Platz im öffentlichen Raum und an Zugang zu fruchtbarem Boden“, kritisiert Rest-Hinterseer.
Bäuerinnen wollen nicht als Aufputz in der Agrarpolitik dienen
Die von Minister Rupprechter als derzeitigem Vorsitzenden der Alpenkonvention ausgerichtete Konferenz in Alpbach mache zudem deutlich, dass Betroffene in die Politik nicht eingebunden werden. „Für Werbezwecke und als Aufputz werden wir Bäuerinnen gerne benutzt. Man gaukelt uns Gleichberechtigung vor, obwohl ganz klar die ‚Männerwirtschaft‘ dominiert. Deswegen fordern wir 50 % Frauen in allen agrarpolitischen Gremien und eine gezielte Unterstützung von Frauen mit unterschiedlichen politischen Ausrichtungen, agrarpolitisch aktiv zu werden – innerhalb und außerhalb von Institutionen!“, betont Christine Pichler-Brix, Obfrau der ÖBV-Via Campesina Austria und Bergbäuerin am Attersee.
Und dann waren die Kühe weg…
Überraschungsgäste bei der Tagung waren Frauen aus dem Oberen Mühlviertel (OÖ), welche Bundesminister Rupprechter ihre Anliegen in fetziger Aufmachung und mittels selbstgetexteter Lieder vortrugen. ÖBV-Bäuerinnen aus dem Salzkammergut reisten sogar mit ihren Kühen nach Alpbach an: lebensgroß, vom Cartoonisten Gerhard Haderer gestaltet. Diese „kugelten“, im Einvernehmen mit der Grundstückseigentümerin auf der Wiese vor dem Kongresszentrum herum. Neben ihnen die Slogans „Bei diesen Preisen geht uns die Luft aus“ und „Den idyllischen freien Markt gibt es nicht!“ Während auf der Tagung über Empowerment von Frauen diskutiert wurde, ließ die Gemeinde – auf Geheiß von oben? – die Kühe von der Wiese entfernen. Erst nach langwierigen Verhandlungen wurden die Kühe wieder freigelassen. Von einem Missverständnis, wie Minister Rupprechters Pressesprecherin die Geiselnahme der Kühe bezeichnete, kann wohl keine Rede sein.
Konstruktive Kritik und Gutes Leben für alle
Um „gutes Leben am Berg“ gewährleisten zu können, braucht es ganzheitliche Lösungen, die Natur, Wirtschaft, Soziales und Kultur zusammenbringen und eine gezielte Politik für kleine, ökologisch wirtschaftende Vielfalts-Höfe. Diese Höfe erzeugen mit lokalen Ressourcen Lebensmittel für die Region, schonen das Klima und stellen gute Arbeits- und Lebensorte für Menschen jeden Geschlechts dar. Der Frauenarbeitskreis der Österreichischen Berg- und Kleinbäuer_innen Vereinigung (ÖBV-Via Campesina Austria) forderte Minister Rupprechter daher in einem offenen Brief auf, faire Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft in Bergregionen zu schaffen und sich für eine Politik einzusetzen, die sich an Ernährungssouveränität, Gleichberechtigung aller Geschlechter, fairer Verteilung von Haus- und Sorgearbeit und einem guten Leben für alle orientiert. „Zudem würden wir uns einen anderen Umgang mit konstruktiver Kritik wünschen“, so die Frauen des Frauenarbeitskreises der ÖBV.
Rückfragehinweis:
Heidi Rest-Hinterseer, Bergbäuerin und Mitglied im Frauenarbeitskreis der ÖBV-Via Campesina Austria: 0664-215 50 83
Christine Pichler-Brix, Obfrau der ÖBV-Via Campesina Austria: 0664-735 66 685
Julianna Fehlinger, Geschäftsleiterin der ÖBV-Via Campesina Austria: 0664- 750 89 612
offener Brief der Bäuerinnen an Minister Rupprechter
Fotos zur freien Verwendung hier.
Video vom Bäuerinnenchor hier.
Medienecho:
Tiroler Tageszeitung 20.04.2017
meinbezirk.at 19.04.2017
dietiwag.org 18.04.2017