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GAP-Reform: Es geht um ein ganzes Jahrzehnt! published on

GAP-Reform: Es geht um ein ganzes Jahrzehnt!

Die aktuelle Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU ist entscheidend für die Zukunft der bäuerlichen Landwirtschaft und der Ernährung. Aber derzeit mangelt es an Diskussion. In unserer Analyse schaffen wir einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen und Einschätzungen zum Stand der Verhandlungen. Wir wollen dazu einladen, diese Diskussion breit zu führen. Reaktionen, Standpunkte und Beiträge zur Ideenschmiede sind herzlich willkommen!

Derzeit wird in der Reform der Agrarpolitik über die Entwicklungen der Landwirtschaft im kommenden Jahrzehnt entschieden. Gerade in Österreich fehlt eine Diskussion über diese Agrarreform bisher weitgehend. Der bisherige Stand der Verhandlungen lässt für Klein- und Bergbetriebe auf keine Verbesserung der Agrarförderungen hoffen. Von Bauern und Bäuerinnen, von der Umwelt- und Klimabewegung bis hin zur Wissenschaft wurde im Vorfeld Kritik an dem bisherigen Fördersystem vorgebracht und Vorschläge für Alternativen erarbeitet. Die  ÖBV hat im Mai 2020 das Positionspapier für eine Agrarpolitik nach 2020 veröffentlicht.

In den Verhandlungen wurde jedoch gemauert, verschleiert und abgelenkt, um nichts an dem bisherigen Programm ändern zu müssen. Dieser alte Wein in neuen Schläuchen wird von den Agrarminister_innen nun als “Systemwechsel” in Richtung Nachhaltigkeit (Klöckner und Köstinger) verkauft.

Wir geben einen Überblick über den aktuellen Stand der Verhandlungen und (mögliche) Machtverschiebungen in der österreichischen Agrarpolitik.

GAP-Reform: Was bisher geschah

Mehr als zwei Jahre nach der Präsentation des Vorschlags der Europäischen Kommission zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) nach 2020 haben das Europäische Parlament und der Rat über ihre Positionen zum Vorschlag entschieden. Nachdem zwei Jahre lang bei den Verhandlungen nahezu nichts vorangegangen ist, konnte es nun nicht schnell genug gehen, die Reform abzuschließen.

Diese plötzliche Eile hat damit zu tun, dass die Verteidiger des Status Quo Angst haben, dass der Druck für einen sozialen und ökologischen Wandel noch größer werden könnte. Dieser Druck wurde auch durch die Debatte um den Green Deal der Kommission – und insbesondere die Veröffentlichung der Strategie Farm-to-Fork (vom Hof auf den Tisch) und der Strategie zur Biodiversität im Mai 2020 – noch erhöht.

Seit Jahren ist unübersehbar, dass die bäuerliche Landwirtschaft in Europa in der Krise ist, während die Agrarpolitik zugleich die Industrialisierung der Landwirtschaft begünstigt. Die Klimakrise, das Artensterben und das Höfesterben erfordern dringend eine agrarökologische Agrarwende. Aus diesen Gründen hat sich La Via Campesina – und so auch die ÖBV – von Anfang an für einen grundsätzlichen Wandel eingesetzt. Hinzu kam, dass sowohl die neun Ziele der GAP-Reform (lt. Kommissionsvorschlag), als auch der Green Deal (inkl. Farm-to-Fork und Biodiversitätsstrategie), sowie unzählige wissenschaftliche Studien (von denen nach wie vor der Weltagrarbericht besonders hervorzuheben ist) die Dringlichkeit einer tiefgreifenden Reform bestätigen.

Doch die Agrarlobby (v.a. COPA-COGECA und der Industrieverband Food & Drink Europe) setzte alles daran, dass die Vorgaben des Green Deal (und damit Ziele des Klima- und Biodiversitätsschutzes) in der neuen GAP möglichst keinen Niederschlag finden. In der konservativen Partei rannten die Lobbys damit offene Türen ein. Die Bauernbund-Europaabgeordnete Schmiedtbauer bringt das auch offen auf den Punkt: „Der Druck des linken Flügels nach noch mehr Klima- und Umweltschutz ist immer intensiver geworden. Deshalb bin ich froh, dass wir jetzt den Sack zumachen konnten.”[1] Es ist beachtlich, wie vehement sich auch die österreichischen Konservativen für die Interessen der Großgrundbesitzer und Agrarindustrie in Europa einsetzen.

Im Europäischen Parlament gelang ein Kompromiss zwischen den Konservativen (EPP), den Liberalen (Renew) und den Sozialdemokraten (S&D), über den die Konservativen den Großteil ihrer Positionen durchsetzen konnten. Mit einigen Ausnahmen, so Schmiedtbauer, denn „dass 30 % Mittelbindung für die Ökoregelungen in der ersten Säule beschlossen wurden, tut uns weh. Doch mit Blick auf das Ratsergebnis werden wir hier in den Trilogverhandlungen zwischen Rat, Parlament und Kommission entschärfen.”[2]

Sowohl die Position des Rats, als auch des Parlaments fallen nicht nur weit hinter den Vorschlag der Kommission von 2018 zurück, sondern tragen auch der Farm-to-Fork- und der Biodiversitätsstrategie nicht Rechnung.[3] Damit werden die bisherigen grundsätzlichen Widersprüche in die Zukunft fortgeschrieben und die GAP bleibt weiterhin in ihren Grundprinzipien völlig inkohärent.

EU-Trilog zu Agrarpolitik

Die Trilogverhandlungen begannen am 10. November 2020. Trilog bedeutet, dass Rat, Kommission und Parlament eine gemeinsame Position verhandeln, der am Ende alle zustimmen müssen. Derzeit wird geschätzt, dass dieser Prozess Ende Juni 2021 abgeschlossen sein wird. Durch die bisherigen Positionen wurde das Feld abgesteckt. Es gibt jedoch noch die theoretische Möglichkeit, dass die Kommission einen neuen Vorschlag oder Nachbesserungen vorlegt. Parallel dazu werden auf nationaler Ebene die GAP-Strategiepläne (s.u.) ausgearbeitet.

Die GAP steht unter neuen Vorzeichen: Die Farm to Fork Strategie und die Biodiversitätsstrategie sind Pflöcke, an denen wir in Zukunft nicht vorbeikommen werden. Um diese umzusetzen wäre die GAP eines der zentralen Werkzeuge. Wird dieses Werkzeug heute verschenkt, dann wird die Umsetzung morgen umso teurer sein. Insofern kann von einem “Pyrrhussieg” der Konservativen gesprochen werden. Derzeit scheint der Green Deal der Kommission gerade in den Händen zu zerbrechen. Deshalb ist auch die Kommission jetzt am Zug, denn es geht um die Glaubwürdigkeit des Green Deals (immerhin das Prestigeprojekt dieser neuen Kommission) insgesamt. Deshalb muss die Kommission hier Nachbesserungen durchsetzen. Wieviel Substanz diese Nachbesserungen haben werden, hängt auch von öffentlichem Druck ab.

Nationaler GAP-Strategieplan in Österreich

Die Renationalisierung der GAP ( = mehr Macht der Agrarministerien auf nationaler Ebene) führt in der bestehenden Logik dazu, dass alle Mitgliedsstaaten je für sich vor allem versuchen, den bisherigen Weg der Agrarpolitik fortzusetzen (Köstinger bezeichnet das in Österreich auch konsequent als „österreichischen Weg“). Ein „Weiter-wie-bisher“ war in Österreich auch von Anfang an das Ziel. Europaweit bedeutet diese Logik: Fortsetzung der ungleichen Verteilung der Fördermittel, Überproduktion und damit verknüpfte Verschlechterungen bei Erzeugerpreisen. Unhinterfragt bleiben so weiterhin die Weltmarktorientierung und Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Einkommen. Das verstärkt weiterhin das Höfesterben und auch in Bezug auf Umweltfragen werden der bisherige Weg und die damit verbundenen Probleme fortgesetzt.

Ein Effekt in Österreich ist, dass durch die Re-Nationalisierung eine Machtverschiebung hin zum Landwirtschaftsministerium und zu Ministerin Köstinger vollzogen wurde bzw. weiter wird. Selbst bei Umweltthemen scheint das Klima-/Umweltministerium (z.B. beim Thema Klima oder Biodiversität) kaum etwas mitzureden zu haben. Die Landwirtschaft wird über das Ministerium wie durch eine gläserne Decke von einer ernsthaften Umweltdebatte abgeschirmt. Auch wenn das für bäuerliche Betriebe durchaus auch brisante Themen sind, so ist durch die bloße Abwehr und Ignoranz nichts gewonnen. Hier braucht es andere Wege und eine konstruktive Auseinandersetzung mit Themen, die uns letztlich alle betreffen.

Die Machtkonzentration beim LW-Ministerium verstärkt sich mit der Verantwortung für Ausgestaltung des GAP-Strategieplans. Die Einbindung des Parlaments wird zugleich auf ein Minimum reduziert.

Die Ausarbeitung des GAP-Strategieplans selbst erfolgt zwar unter punktueller, selektiver Einbeziehung von “Stakeholdern”, doch werden die Entscheidungen intransparent getroffen. Die “Dialogforen” sind Frontalveranstaltungen mit Verlautbarungscharakter. Dass diese nun coronabedingt Online abgehalten werden, verstärkt diese Dynamik zusätzlich. Dabei ist festzuhalten, dass die Ausarbeitung eines GAP-Strategieplans ein sehr hohes demokratiepolitisches Potenzial hätte. Unter den gegebenen Bedingungen wird dieses aber von Anfang an gekappt (oder “gegapt”?). Wir unterstützen die europaweite Allianz, die sich in allen Ländern für mehr Demokratie bei der Erstellung der Strategiepläne einsetzt.

Was passiert bei unterschiedlichen Interessen? Es muss allen klar sein, dass es in der Agrarpolitik eine Vielzahl an verschiedenen, ja gegensätzlichen Interessen gibt. Wie werden diese Interessengegensätze ausgetragen? Selbst anhand medialer Aussagen auf höchster Ebene von LK-Präsident_innen kann das verdeutlicht werden: LK-Tirol-Präsident Hechenberger fordert, „das Beste für unsere kleinstrukturierten Betriebe herauszuholen. (…) Wir werden uns in Wien in besonderer Weise für die Almwirtschaft, aber auch für Grünlandbewirtschaftung im Berggebiet einsetzen.” Demgegenüber befürchtet LK-OÖ-Präsidentin Langer-Weninger, dass zu viele Betriebe aus den Umweltprogrammen aussteigen könnten und fordert, „nun konkrete Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen so zu gestalten, dass deren Umsetzung auch für intensiver geführte Tierhaltungsbetriebe und Gebiete mit höheren Ernteerträgen wirtschaftlich attraktiv ist.”

Welche Positionen werden sich durchsetzen? Wer darf in dieser Frage mitentscheiden? Welche demokratischen Formen werden für diese Gegensätze gefunden?

Einschätzung des Kontexts der GAP-Reform

An den konservativen Bauernprotesten (“Grüne Kreuze”) sieht man einen wichtigen aktuellen Zusammenhang: Mangels Perspektive einer zukunftsfähigen Agrarpolitik richten sich die Proteste gegen zusätzliche Umweltauflagen. Aber die Ursache für den Mangel an Zukunftsperspektiven ist, dass die Agrarvertreter_innen bisher eben diese Themen jahrzehntelang immer weiter ignoriert und aufgeschoben haben. Sie haben stattdessen die falsche Botschaft verbreitet, dass man immer so weiter machen kann wie bisher – und entsprechend die Agrarpolitik ausgestaltet. Nun stellt sich die Frage, wie wir aus dieser Sackgasse herauskommen. Status-Quo-Erhalt ist dabei keine Lösung.

Der Druck wird in den nächsten Jahren noch viel größer werden. Anstatt den Wandel zu gestalten, wird zunehmend der Wandel uns gestalten – und zwar mit weniger Freiheit als heute. Die Folge wird sein, dass die negativen Folgen dieser Verdrängung auch in Zukunft auf dem Rücken der Betriebe selbst ausgetragen werden. Mit dieser Politik des Aufschiebens und Verdrängens wird die Legitimation für die Agrarsubventionen überhaupt untergraben – und das geht unter den derzeitigen Bedingungen zulasten von allen Bauern und Bäuerinnen.

Plötzliche, abrupte Richtungswechsel in der Agrarpolitik sind für Höfe schwer umsetzbar und können existenzgefährdend sein. Auf Höfen müssen langfristige Entscheidungen verlässlich getroffen werden (können). Doch ist es umso gefährlicher, deshalb jegliche Veränderung abzuwehren. Gerade in Krisenzeiten geht es mit hoher Dringlichkeit um langfristige, zukunftsfähige, weitsichtige und nachhaltige Weichenstellungen für die Zukunft. Es geht darum, diese auf eine Weise einzuleiten, dass auch aus der Landwirtschaft soziale und ökologische Antworten auf die Krisen kommen können, sodass die Höfe auch mit den Herausforderungen der Zukunft umgehen können. Diese Chance wird aktuell für ein ganzes Jahrzehnt verspielt. Wenn sich an den Positionen nichts ändert, dann werden mit dieser Reform Perspektiven für Bauern und Bäuerinnen (und Einsteiger*innen in die Landwirtschaft) nachhaltig verbaut:

  1. Weiterhin werden große und intensiv wirtschaftende Betriebe besonders von der GAP profitieren.
  2. Die sozialen und ökologischen Probleme und Krisen werden sich weiter zuspitzen.
  3. Mit dieser Politik wird die Legitimation für Agrarförderungen überhaupt in Frage gestellt werden, zugleich wird sich aber die Abhängigkeit von öffentlichen Geldern noch weiter vertiefen. Das ist keine Zukunftsperspektive, die Bauern und Bäuerinnen hilft (Ausnahme: siehe Punkt 1)

Viele kleine Betriebe werden entweder aufhören (müssen). – Oder aber sie werden in Allianz mit engagierten Bürger_innen weiterhin Alternativen auf- und ausbauen. Es ist jedoch zutiefst ungerecht, dabei von öffentlichen Geldern ausgeschlossen zu werden. Die besseren Antworten auf die Zukunft und die innovativsten Ideen werden aber weiterhin von jenen Betrieben kommen, die – trotz widrigster Bedingungen – mutig, weitsichtig und solidarisch nach Lösungen auf die großen Fragen der nächsten Generationen suchen und Alternativen von unten schaffen. Das ist der Boden, auf dem unsere Hoffnung gründet. Es gibt viele Betriebe, die hier wertvolles Wissen haben. Organisieren wir uns, damit das weiter wachsen und gedeihen kann!

Das Positionspapier der ÖBV-Via Campesina zur „Agrarpolitik nach 2020“ ist hier zu finden.

Wir freuen uns auf Diskussionsbeiträge und Rückmeldungen an ! Die ÖBV wird in den nächsten Monaten weitere Aktivitäten zur GAP setzen, auch hier freuen wir uns über Unterstützung und Beteiligung!


[1] Blick ins Land 11/2020, vom 11. November 2020. „Vernunft hat sich durchgesetzt“. Interview von Stefan Nimmervoll mit Simone Schmiedtbauer und Alexander Bernhuber. S. 6-7.

[2] ebd. – Anmerkung: Der Rat will nur 20 % der Mittel aus der ersten Säule für die Ecoschemes verwenden

[3] ] Das Endergebnis im EU-Parlament war dann bei der finalen Abstimmung im Parlament im Nachhinein in den Augen einiger Sozialdemokrat*innen doch zu schwach und zu weit hinter den Vorschlag der Kommission zurückgefallen: Einige deutsche Sozialdemokrat*innen stimmten am Ende sogar gegen die Position. Die österreichischen Sozialdemokraten haben sich hier aber enthalten.