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ÖBV zum Informellen EU-Agrarministerrat: „Schluss mit eurer Agrarpolitik für die Agrarindustrie!“ Internationale Zivilgesellschaft fordert sozial-ökologische Wende in der Agrar- und Lebensmittelpolitik published on

ÖBV zum Informellen EU-Agrarministerrat: „Schluss mit eurer Agrarpolitik für die Agrarindustrie!“ Internationale Zivilgesellschaft fordert sozial-ökologische Wende in der Agrar- und Lebensmittelpolitik

Anlässlich des Informellen Agrarministerrats in Schloss Hof (NÖ) hat die Österreichische Berg- und Kleinbäuer_innen Vereinigung (ÖBV) gemeinsam mit der österreichischen Plattform „Wir haben es satt“ (1) und mit europäischen bäuerlichen Organisationen der Europäischen Koordination Via Campesina (ECVC) eine Aktion und eine Kundgebung organisiert. (2)

„Derzeit versagt die Agrarpolitik ökologisch, für Bauern und Bäuerinnen und für die Gesellschaft. So kann es nicht weitergehen. Es braucht einen grundlegenden Wandel hin zu mehr Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Wir fordern eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), die endlich klare und wirklich sinnvolle Schritte für diesen Wandel setzt! Seit Jahren werden unsere Forderungen und Lösungsvorschläge ignoriert!“ fordert Franz Rest, Bergbauer und Vorstandsmitglied der ÖBV-Via Campesina Austria.

„Wir Bauern und Bäuerinnen spüren die direkten Auswirkungen des Klimawandels zuerst. Wir müssen damit zurechtkommen. Deshalb fordern wir heute im Namen unserer nachfolgenden Generationen eine Agrarpolitik, die hier endlich eine Vorreiterrolle einnimmt und nicht wie bisher die Probleme wegschiebt. Die Förderung der Agrarindustrie ist das größte Klimaproblem in der Landwirtschaft. Damit muss endlich Schluss sein!“ so Rest weiter.

Zu den Kürzungen im Agrarbudget hält die ÖBV klar fest: „Ein Ende der Förderungen für die Agrarindustrie wäre die beste Form, um Steuergelder zu sparen. Dann müsste nicht – wie derzeit geplant – bei den wirklich sinnvollen ökologischen Programmen und in der Ländlichen Entwicklung gespart werden.“, so Johann Kriechbaum, Obmann der ÖBV-Via Campesina Austria.

Andoni Garcia, Mitglied des Koordinierungs-Komitees der Europäischen Koordination von Via Campesina (ECVC) hält fest: „Die Agrarminister_innen der EU haben die historische Chance, den Kurs und das Agrarmodell der Zukunft zu bestimmen. Für uns, aber auch für die Mehrheit der EU-Bürger_innen muss dieses Modell nachhaltig sein, die ländlichen Regionen fördern und ein gerechtes Einkommen für Bauern und Bäuerinnen und all derer, die das Land bewirtschaften, sichern. Dies erfordert insbesondere, dass die Märkte entsprechend reguliert werden.“(3)

Die Plattform „Wir haben es satt präsentiert heute ein gemeinsames Papier, in dem die Grundzüge für eine Demokratische Lebensmittelpolitik als Kompass dieser Neuausrichtung dargelegt werden (4): „Wir brauchen eine Demokratische Lebensmittelpolitik statt einer Agrarpolitik für Großgrundbesitzer, den Handel und die Agrarindustrie. Derzeit werden die wichtigsten Entscheidungen einigen wenigen Akteuren überlassen. Das verschärft die Krisen des Agrarsystems – bei Klima, Biodiversität, Höfesterben, Umweltverschmutzung, Hunger, Mangelernährung und den Weltmärkten – immer weiter. Eine Demokratische Lebensmittelpolitik muss auf die Bauern und Bäuerinnen, Landarbeiter*innen, Umwelt, Gesundheit, Menschenrechte und unsere Lebensgrundlagen (Land, Wasser, Saatgut) ausgerichtet sein. All diese Bereiche sind direkt von der Art betroffen, wie unsere Lebensmittel produziert, verteilt und konsumiert werden. Deshalb geht es um die demokratische Gestaltung unseres Lebensmittelsystems. Die Demokratische Lebensmittelpolitik ermöglicht Ernährungssouveränität. Wirkliche Lösungen für die Herausforderungen und gesellschaftlich wünschenswerte Ziele können nur mit einer radikalen sozial-ökologischen Wende erreicht werden.“

Die ÖBV fordert ein Ende der Flächenförderung. Stattdessen soll das Fördersystem der ersten Säule der GAP an der Arbeitsleistung und an sozialen und ökologischen Zielen ausgerichtet werden. Wenn aber – wie es derzeit abzusehen ist – an der Flächenförderung festgehalten wird, dann braucht es eine klare Umverteilung. Wir fordern die doppelte Förderung der ersten 20 Hektar und gestaffelte Fördersätze bis zu einer Obergrenze von 25.000 Euro. Die im GAP-Vorschlag vorgesehene Möglichkeit des Abzugs der Arbeitskosten von der Obergrenze lehnt die ÖBV ab, denn dieses Schlupfloch macht die aktuell vorgeschlagene Obergrenze von 60.000 Euro zu einer zahnlosen Maßnahme. Klein- und Mittelbetriebe, die soziale und ökologische Kriterien einhalten, müssen außerdem besonders gefördert werden. Dafür fordern wir die Festlegung eines Mindestanteils des Agrarbudgets. Die Förderung von Großbetrieben und Agrarindustrie muss endlich ein Ende haben – in ganz Europa!

Wesentlich ist dabei auch, gute Rahmenbedingungen für Junge und Existenzgründer_innen in der Landwirtschaft zu schaffen. Anneke Engel, Vorstandsmitglied der ÖBV und Teilnehmerin des europäischen Jugendtreffens von ECVC in Wien kritisiert: „Aktuell führen die Agrarsubventionen der GAP zu Landkonzentration und Wettbewerb um Land. Dies erschwert den Zugang zu Land für Existenzgründer_innen, insbesondere für die junge Generation, die in der Landwirtschaft eine Existenz aufbauen möchte. Es gibt wenige Optionen für Existenzgründer_innen, wenn sie kein Land erben oder besitzen. Diese Lage ist besonders erschütternd, weil doch gerade Existenzgründer_innen und junge Menschen die ländlichen Regionen neu beleben.“ (5)

Auch in der zweiten Säule müssen Förderungen an soziale und ökologische Maßnahmen geknüpft werden und in eine umfassende Strategie des Wandels eingebettet sein. Ökologische Maßnahmen müssen über die Einhaltung der existierenden gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. Arten- und Klimaschutz muss endlich ausreichend honoriert werden: zum Beispiel im Bereich der klimaschonenden Tierhaltung, in der gerade viele Berg- und Kleinbetriebe besondere Leistungen für die Gesellschaft erbringen. Betriebsausweitungen sollten angesichts der Überschussproduktion nicht gefördert werden. Stattdessen sollten Existenzgründer_innen von agrarökologischen Betrieben oder Umbaumaßnahmen für mehr Tierwohl ins Zentrum gerückt werden.

„Wenn es um die Ziele der Agrarpolitik geht, dann ist Wettbewerbsfähigkeit derzeit das häufigste Wort. Doch was heißt das? Die Antwort ist: Weltmarktkonkurrenz und industrielle Landwirtschaft. Wer hat etwas davon, wenn mit Futtermittelimporten Regenwald und bäuerliche Existenzen in Südamerika zerstört werden, dadurch die Überproduktion und der Einkommensverfall bei Bauern und Bäuerinnen in Europa festgeschrieben werden und dann durch die Exporte die regionalen Märkte in afrikanischen und asiatischen Ländern zerstört werden? Die Exportindustrie verursacht im Namen der Wettbewerbsfähigkeit weltweite Schäden. Das blinde Festhalten an diesem Dogma der Agrarpolitik ist eines der größten Probleme. Dabei würden weniger Futtermittelimporte, eine geringere und dafür qualitativ bessere Milchproduktion und weniger Exporte die Preise, die Einkommen und die Qualität der Lebensmittel verbessern.“, so der Milchbauer Johann Kriechbaum.

Die im GAP-Vorschlag angeführten Maßnahmen zum Risikomanagement zeigen, wie blind die Politik derzeit agiert: Die grundlegenden Probleme und daraus folgende Risiken können doch nicht mit öffentlichen Zuschüssen zu Versicherungsbeiträgen gelöst werden! Statt tatsächliche Schritte gegen den Klimawandel und Weltmarktkrisen zu setzen, will die Kommission mit Mitteln der Ländlichen Entwicklung Versicherungsbeiträge und damit private Versicherungsunternehmen fördern. Die Alternative heißt echte Klimapolitik, Markt- und Mengenregulierung, Stabilisierung der Einkommen und solidarischer Welthandel. Dafür braucht es endlich eine Abkehr von der aggressiven neoliberalen Handelspolitik der EU.

Und ein weiteres europapolitisches Grundproblem wird völlig ignoriert: Die Ungleichheit innerhalb und zwischen den Regionen wächst immer weiter. Angesichts dieser Lage bei der Ländlichen Entwicklung zu sparen, ist ein schwerer Fehler. Frauen und Armutsbetroffene im ländlichen Raum wären besonders von den Kürzungen betroffen. Die aktuelle GAP-Reform bietet die Chance, endlich Schritte in die Richtung einer zukunftsfähigen Agrarpolitik für ländliche Räume und für die Gesellschaft zu setzen. Eine ökologische und sozial gerechte Ausrichtung ist dringend geboten! Ländliche Entwicklung hat eine Schlüsselrolle für die Zukunft!

Rückfragehinweis:

Franziskus Forster
ÖBV-Referent für Öffentlichkeitsarbeit
, +43-650-68 888 69

Hintergrundinformationen:

(1) Die Trägerinnen der „Wir haben es satt!“ -Plattform sind: ÖBV-Via Campesina Austria, IG-Milch, FIAN Österreich, Südwind, Attac Österreich, Welthaus Graz-Seckau, GLOBAL 2000, Greenpeace, Grüne Bauern und Bäuerinnen, Sezonieri – Kampagne für die Rechte von Erntehelfer_innen in Österreich, www.wir-haben-es-satt.at und nähere Informationen zur ECVC unter www.eurovia.org

(2) FOTOLINK

(3) ECVC-Analyse des GAP-Vorschlags von EU-Agrarkommissar Hogan vom Juni 2018 – deutsche Version hier: ECVC-Analyse-GAP-Strategieplan_DE_final

(4) Papier „Demokratische Lebensmittelpolitik – wir schaffen ein gutes Leben für alle!“: DemokratischeLebensmittelPolitik

(5) Diskussionspapier von ECVC zu ExistenzgründerInnen und Jungen in der Landwirtschaft: ECVC-Diskussionspapier_Existenzgruendungen_Junge_Landwirtschaft