EU-Vergleich der 28 GAP-Strategiepläne: Analysen aus ökologischer und sozialer Perspektive: Positive Gestaltungsmöglichkeiten trotz niedrigem Ambitionsniveau. – Von Henrik Maaß
Die Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in den nationalen Strategieplänen, die seit Anfang dieses Jahres in allen EU-Mitgliedsländern umgesetzt werden, haben der NABU aus ökologischer und die AbL und sozialer Perspektive unter die Lupe genommen. Die AbL analysierte die Instrumente für eine gerechtere Verteilung der EU-Gelder, mit denen sozialen Krisen wie dem Höfesterben und der Überalterung begegnet werden soll. Dazu zählen Kappung, Staffelung und Umverteilung.[1]
Soziale und ökologische Bereiche sind entscheidend für die nachhaltige Transformation des Agrar- und Ernährungssystems. Der dringend erforderliche ökologische Wandel muss auf gerechte Weise mit wirtschaftlichen Perspektiven für Bäuerinnen und Bauern verknüpft werden und deren unterschiedlichen Bedürfnissen Rechnung tragen. Die ökologischen und sozialen Herausforderungen werden im europäischen Vergleich sehr unterschiedlich adressiert. Der EU-Rahmen bietet den Mitgliedsstaaten große Spielräume, die meistens nicht progressiv genutzt werden, sodass die Strategiepläne oft sowohl in ökologischer als auch sozialer Hinsicht unambitioniert bleiben. Es gibt jedoch einige innovative nachahmenswerte Ausgestaltungsformen, die auch für die Weiterentwicklung des GAP-Strategieplans in einzelnen Ländern inspirierend sind. Im Folgenden wird zunächst die Analyse aus der sozialen Perspektive beschrieben.[2]
Kappung und Degression
Der größte Anteil am EU-Budget der GAP entfällt mit 72% auf die Direktzahlungen (DZ). Die Hälfte der DZ-Mittel fließt in die Einkommensgrundstützung (EGS), die flächenbasiert gezahlt wird. Der neue EU-Rahmen bietet den Mitgliedsstaaten auf freiwilliger Basis die Möglichkeit, den Erhalt der EGS pro Betrieb ab 60 000 € um bis zu 85% zu reduzieren und bei 100 000 € zu kappen. In der vorherigen Förderperiode waren Kappung und Degression verpflichtend vorgeschrieben, wurden aber in vielen Ländern – so auch in Österreich – vermieden. 2023 wenden zehn EU-Länder diese Instrumente an, wobei Österreich, Bulgarien, Litauen und Lettland nur die Kappung umsetzen und in Portugal und Slowenien nur die Degression angewandt wird. Spanien, Irland, Slowakei und die beiden belgischen Regionen Flandern und Wallonie, die jeweils einen eigenen Strategieplan haben, sehen eine Kombination beider Instrumente vor. In einigen Ländern (wie in Österreich) können jedoch die vollen Lohnkosten angerechnet werden, wodurch die Kappungsgrenze individuell deutlich erhöht werden kann. Einzig Spanien begrenzt die Anrechnung der Lohnkosten auf maximal 200 000 € EGS pro Betrieb. Die Degressivität ist auf unterschiedliche Weise ausgestaltet und definiert zum Teil nur eine Stufe, die den EU-Spielraum voll ausnutzt, oder bis zu vier Stufen, die den Übergang zur Kappung sanfter gestalten sollen. Die geschätzte Einsparungssumme durch Kappung und Degression für die Förderperiode von 2023-2027, welche in den einheitlich strukturierten Strategieplänen angegeben werden musste, schwankt sehr stark. Österreich geht als einziges Land davon aus, dass die Maßnahme keinen Betrieb betreffen wird und es somit keine Einsparungen gibt. Dagegen beträgt die Schätzung in Bulgarien 60 Millionen €. Dieses Geld wird in Bulgarien – wie auch in den meisten anderen Ländern – für die Umverteilungsprämie genutzt und macht 12% von deren Budget aus. Litauen nutzt das eingesparte Geld für die Junglandwirteförderung, die Slowakei verschiebt es in die zweite Säule, wodurch das Geld auch Umwelt- und Klimamaßnahmen zur Verfügung steht. Theoretisch wäre auch eine Verwendung des Geldes für die Öko-Regelungen möglich.
Umverteilungseinkommensstützung
Erstmals verpflichtend sieht der EU-Rahmen für die GAP einen Mindestanteil von 10% der Direktzahlungsmittel für die Umverteilungseinkommensstützung (UES, oder „Umverteilungsprämie“) vor, die als Aufschlag auf die ersten Hektare gewährt wird und als Hauptinstrument für eine gerechtere Verteilung der GAP-Gelder dienen soll. Österreich hat sich für den Mindestanteil von 10 % entschieden. Nur in fünf Ländern wird dieser Anteil substanziell überschritten. Tschechien plant mit 23% den größten Anteil für die UES ein, Kroatien, Litauen und Wallonie liegen mit ca. 20% dahinter und Ungarn hat 14% UES vorgesehen. Andererseits nutzen 8 Mitgliedsstaaten Ausnahmemöglichkeiten und geben weniger als 10% der DZ für die UES aus, was zum Teil die Genehmigung der Strategiepläne durch die Kommission aus sozialer Perspektive in Frage stellt.
Die unterschiedliche Ausgestaltung zeigt sich bereits an der Definition der ersten Hektare, die von 8,2 ha in Slowenien bis zu 150 ha in Tschechien und Schweden reicht. Verglichen mit der durchschnittlichen Betriebsgröße der jeweiligen Länder bleiben nur Wallonien, Frankreich, Irland und Deutschland mit ihrer Definition unter dieser Grenze. Acht Länder sehen einen mindestens doppelt so großen Hektarbereich, wodurch die Maßnahme an Wirksamkeit verliert. In neun Strategieplänen werden große Betriebe vom Erhalt der Umverteilungsprämie ausgeschlossen, indem eine Obergrenze eingeführt wurde (in Österreich nicht). Diese liegt in Griechenland bei max. 11 ha in Ackerbauregionen, in Ungarn sind dagegen nur Betriebe ab einer Größe von mehr als 1.200 ha betroffen. Paradoxerweise schließen einige Länder insbesondere aus Osteuropa Kleinstbetriebe unter 1-3 ha ebenfalls vom Erhalt dieser Zahlungen aus. Die meisten Länder haben nur einen Hektarbereich definiert, für den der Aufschlag gewährt wird. Österreich, Deutschland und einige andere zahlen für einen zweiten Hektarbereich einen niedrigeren Betrag.[3] Paradoxerweise zahlen Estland, Litauen, Luxemburg und Spanien für den zweiten Hektarbereich einen höheren Betrag.
Sonderregelungen
Als Vereinfachung für sehr kleine Betriebe und die Verwaltung schlägt die EU als freiwillige Maßnahme eine Kleinlandwirt*innen-Regelung vor, bei der die Betriebe eine Pauschalzahlung wählen können, statt auf bürokratische Weise die verschiedenen Direktzahlungen zu beantragen. Das dafür vorgesehene Limit liegt jedoch bereits bei jährlich 1.250 € pro Betrieb, was es für viele Mitgliedsstaaten unattraktiv macht, diese Maßnahme anzubieten. So haben auch nur Portugal, Bulgarien, Malta, Lettland und Tschechien diese Regelung in ihren Strategieplan aufgenommen, wobei nur in Bulgarien und Tschechien die möglichen 1.250 € voll ausgeschöpft werden.
Da im EU-Durchschnitt nur 29% der Betriebe von Frauen geleitet werden, gibt es in einigen EU-Ländern Ansätze, Frauen bei der Förderung besonders zu unterstützen. So zahlt Irland Frauen einen 20% höheren Investitionszuschuss, in Spanien erhalten Frauen eine 15% höhere Junglandwirte-Einkommensstützung. In Tschechien, Portugal und Italien werden Frauen in den Auswahlkriterien für die Existenzgründungsförderung bevorzugt.
Ökoregelungen gestaffelt
Die Verknüpfung von ökologischen und agrarstrukturellen Zielen innerhalb einer Maßnahme wird bereits jetzt in einigen Fällen umgesetzt. Kappung, Staffelung und Umverteilung sollten sich nicht nur auf die EGS beschränken, sondern in allen GAP-Maßnahmen angewandt werden, beispielsweise um den Anreiz für kleine Betrieben zur Teilnahme an den Öko-Regelungen zu erhöhen, da der bürokratische und betriebliche Aufwand gegenüber dem ökonomischen Nutzen für diese besonders hoch ist.
Beispiele finden sich u.a. in Polen, Spanien, Rumänien und Belgien. Eine polnische Ökoregelung für Tierwohl kürzt die Zahlungen je GVE zwischen 100 und 150 GVE um 25%, darüber hinaus werden keine Zahlungen gewährt. Rumänien bietet eine Ökoregelung explizit für kleine Betriebe zwischen einem und zehn Hektar an. In der Wallonie und in Flandern sind die Zahlungen für den Ökolandbau degressiv gestaltet. Wallonie bietet kleinen Bio-Gemüsebaubetrieben eine Sonderprämie von 4.000 Euro pro Hektar für die ersten drei Hektar für Betriebe mit maximal 10 Hektar an. In Flandern sind auch die Ökoregelungen für Präzisionslandwirtschaft und für einen Bodenpass degressiv gestaltet. Spanien sieht bei Überzeichnung der Ökoregelungen zunächst eine Kürzung großer Betriebe vor. Dies wird unter anderem damit begründet, dass eine Überkompensation aufgrund der Kostendegression bei der Umsetzung der Öko-Regelungen vermieden werden soll.
Ausblick
Aufgrund der jährlichen Möglichkeit, Änderungen in den Strategieplänen und deren Umsetzung vorzunehmen, können die Inspirationen aus anderen Ländern zur kreativen Weiterentwicklung des GAP-Strategieplans genutzt werden, damit die zur Verfügung stehenden Mittel gezielt und effizient zum Erreichen der gemeinsamen Ziele eingesetzt werden.
Abschließend muss angemerkt werden, dass selbst die gerechteste Ausgestaltung der Direktzahlungen nicht mit einem ungerechten Markt konkurrieren kann. Auch eine Umverteilung macht faire Preise nicht hinfällig. Daher muss ein verstärktes Augenmerk auch auf Verbesserungen der Marktregulierung, des internationalen Handels und der Ernährungsinfrastruktur gelegt werden.
Um unser Ernährungssystem resilienter zu machen, braucht es viele neue Bäuerinnen und Bauern und gleichzeitig auch neue handwerkliche Verarbeiter*innen. Damit ist die Förderung der nächsten Generation zentral. Die Analyse der Junglandwirte- und Existenzgründungs-Förderung in den EU-Ländern wird daher Bestandteil eines nächsten Artikels sein.[4]
Henrik Maaß, AbL-Referent für EU-Agrarpolitik
Dieser Artikel ist zuerst in der „Bauernstimme“ 10/23 erschienen. www.bauernstimme.de
[1] Die Ergebnisse können unter https://tinyurl.com/ycxw4x7j eingesehen werden.
[2] Ein Artikel zum Vergleich der Ökoregelungen wird folgen. Wir werden diese Analysen auch auf www.viacampesina.at/gap-strategieplaene-in-europa zugänglich machen.
[3] In Österreich liegt der Zuschlag für die ersten 20 ha bei + 46 €, für die ha 21-40 liegt der Zuschlag bei + 23 €.
[4] Wir werden diese Analysen auf unserer Website unter www.viacampesina.at/gap-strategieplaene-in-europa zugänglich machen.