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Gender Budgeting und Landwirtschaft published on

Gender Budgeting und Landwirtschaft

Seit inzwischen über 20 Jahren existiert das Konzept Gender Budgeting und trotzdem scheint es in vielen Bereichen noch immer nicht angekommen zu sein.  Gemeinsam mit Gender Mainstreaming wurden um die Jahrtausendwende Forderungen nach einer umfassenden Berücksichtigung von Gleichstellungsaspekten laut. Doch wer hat sie gehört? Warum sind sie immer noch nicht berücksichtigt? Und worum geht es dabei überhaupt?

Von Kirstin Eckstein

Mit Gender Mainstreaming soll in allen Politikfeldern und Lebensbereichen ein geschlechtersensibler Blick auf alle Planungen, Maßnahmen und Entscheidungen geworfen und auf die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern hingearbeitet werden. Im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) kann das bedeuten, Gleichstellung im ländlichen Raum zu fördern, Rollenbilder zu hinterfragen und ungleichen Machtverhältnissen entlang der Geschlechtergrenzen entgegenzuwirken. Dies soll zusätzlich zu spezifischen Frauenförderungsmaßnahmen wie Weiterbildungen, Vernetzungsangeboten oder mehr Sichtbarkeit und Partizipation in Entscheidungsgremien geschehen. Mit Gender Budgeting soll der Blick auf den gesamten Budgetprozess gerichtet werden: Wer gestaltet beispielsweise die Mittelvergabe in der GAP und welche Ziele werden damit verfolgt und erreicht? Und es bedeutet auch, bei der Verteilung der Fördermittel für die Landwirtschaft und für den ländlichen Raum genauer hinzuschauen, wem kommt die Förderung zugute – direkt und indirekt?

Gender Budgeting – was ist das überhaupt?

Gender Budgeting ist ein gleichstellungspolitischer Ansatz, der die Budgetpolitik um die Geschlechterperspektive erweitern soll. Im Mittelpunkt stehen die Analysen der Ressourcenverteilung, sowie der dahinterliegenden Prozesse. Diese sind ergänzend zu bestehenden Gleichstellungs- und Frauenförderungsmaßnahmen zu sehen.

Österreich hat Gender Budgeting seit Mai 2009 in der Bundesverfassung verankert und sich mit der Haushaltsrechtsreform gesetzlich verpflichtet, seit 2013 in allen öffentlichen Budgets Gender Budgeting als einen wesentlichen Aspekt der Wirkungsorientierung umzusetzen. Dies sollte von einer ehemals ausgabenorientierten Planung hin zu einer ergebnis- und wirkungsorientierten Steuerung führen. Gender Budgeting soll die Gleichstellung, aber auch die Transparenz, Partizipation und Wirksamkeit von Budgetpolitik insgesamt fördern.

Die zentrale Fragestellung lautet: „Welche Auswirkung haben budgetpolitische Entscheidungen und Maßnahmen auf die Gleichstellung der Geschlechter? Werden Geschlechterungleichheiten reduziert, vergrößert oder bleiben sie unverändert?“ Durchaus komplexe Frage, die nicht leicht zu beantworten sind.

Dazu sieht man sich einerseits generell die Ziel- und Wirkungsebene an: Welche (Wirkungs-)Ziele sollen erreicht werden? Wo/wie wird in der Budgetplanung ein Bezug zu diesen Zielen hergestellt? Mit welchen Leistungen sollen die Ziele erreicht werden? Mit welchen Indikatoren kann die Zielerreichung überprüft werden?

Aber auch der Budgetprozess soll transparenter und partizipativer werden: Wer ist für die Budgetplanung zuständig? Wie werden Entscheidungen getroffen? Wer ist eingebunden? Wer kann sich wie beteiligen? Wie ist der Informationsfluss gestaltet?

Und natürlich geht es um Gender und die Gleichstellung: Welche Gleichstellungsziele sollen erreicht werden? Was/wie kann zu einer Verbesserung des Geschlechterverhältnisses beigetragen werden? Wie kann der Ressourceneinsatz oder die Mittelverteilung geschlechtergerecht erfolgen?

Liegen konkrete Budgetposten oder Maßnahmen vor, kann beispielsweise gefragt werden:

Wer profitiert direkt von den Ausgaben und Ressourcen? Wer erhält wieviel Fördergelder? Wie ist beispielsweise die Verteilung von Investitionsförderungen nach Geschlecht? Oder wie viele der geförderten Jungbäuer*innen sind Männer/Frauen? An wen werden Gelder aus LEADER-Projekten ausgezahlt?

Wer profitiert indirekt von den Ausgaben und Ressourcen? Wer sind die Nutznießer*innen? Hier wird es schon schwieriger, es müssen die erweiterten Zielgruppen von Maßnahmen genau definiert und intendierte Wirkungen betrachtet werden. Also beispielsweise: Sind Landmaschinenhersteller indirekte Profiteure? Oder werden Konsument*innen, die nachhaltige Produkte oder alternative Vertriebssysteme suchen, erreicht? Wieviel Geld fließt in die Förderung von technologisch innovativen Systemen, die zu mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit führen und wieviel in soziale Innovationen, die Nachhaltigkeit und Menschlichkeit über Profit stellen? Liegen hier evtl. ungleiche Geschlechterverhältnisse vor? Und welche Strukturen werden gefördert: patriarchale, kapitalistische, neoliberale oder gemeinwohlorientierte oder sogar queerfeministische?

Dabei gilt es immer zu reflektieren, welche Geschlechterrollen und -bilder das System beeinflussen, bzw. welche Geschlechterbilder die Entscheidung beeinflussen, welche Projekte welche Wertigkeit und Wertschätzung erhalten. Im Bereich der Landwirtschaft kann beispielsweise gefragt werden: Welches Bild von modernen und innovativen Bäuer*innen wird gefördert? Oder welches Ernährungssystem durch die Förderungen unterstützt?

Fokus unbezahlte Arbeit

Im Rahmen von Gender-Statistiken und Gender Budgeting-Analysen wird durch die geschlechtsspezifische Aufschlüsselung von allen Lebensbereichen auch meist ein Fokus auf unbezahlte Arbeit gerichtet und beispielsweise die Durchführung von Zeitverwendungsstudien gefordert. – Auch hier bietet sich im bäuerlichen Umfeld ein großes Potential für mehr Sichtbarkeit und Wertschätzung. Zählt nur der Umsatz am Konto oder auch jener von Kalorien? Geht es darum, das Konto zu füllen, oder die Vorratskammern? Wird der Kühlschrank durch Einkäufe (und Verkäufe) gefüllt oder durch Selbstversorgung und Tauschgeschäfte, die nur selten in Euros umgerechnet werden? Detaillierte Preislisten für die verschiedensten Maschineneinsätze vom Maschinenring faszinieren mich immer wieder – wie exakt all den maschinellen („männlichen“?) Tätigkeiten Eurowerte gegenübergestellt werden – können wir uns ähnliche Leistungsbeschreibungen vorstellen für Melken, Flaschenlammversorgung, Käsen, Verarbeiten von Produkten, Versorgung des Haushalts, Betreuung von Kindern oder anderen Personen, Trösten bei Kummer, Unterstützung bei Problemen, Einrichtung des Hofladens, Kommunikation mit der Nachbarschaft…? Und wollen wir das überhaupt?

Basis für solche Gender Budgeting-Analysen sind gute Daten und der Wille, Budgetverteilungsprozesse transparent zu machen – beides ist im Bereich der Landwirtschaft leider noch Mangelware. Ebenso schwer zu finden sind gute Gleichstellungsziele. Es reicht aus feministischer Perspektive nicht aus, eine bestimmte Frauenquote an Betriebsführer*innen zu erreichen, oder gleich viele Frauen zu haben, die Förderungen für große Landmaschinen beantragen wie Männer. Jene Bereiche, die durch eine feministische Sichtweise gestärkt werden, die Nachhaltigkeit und Gemeinwohl vor Profit und Effizienzsteigerung stellen, sollten ausgebaut und auch (finanziell) wertgeschätzt werden. Damit wir dem „Guten Leben für Alle“ ein Stückchen näherkommen!

Kirstin Eckstein lebt in einer Hofgemeinschaft im Mühlviertel, ist Lehrbeauftragte für Gender Statistik und Empirische Sozialforschung und hat vor ihrem Quereinstieg in die Landwirtschaft über 15 Jahre im Bereich Gleichstellungscontrolling und Gender Budgeting an Universitäten gearbeitet und geforscht.

 

Hinweise und Literatur
Gleichstellungsorientierte Analysen für die vergangene Förderperiode (LE 14-20) weisen auf zu unspezifische Zielsetzungen und mangelhafte Daten hin. Tendenziell ist festzustellen, dass Männer überproportional von Bildungsmaßnahmen und Investitionsförderungen profitieren. Da der Großteil der Förderungen jedoch flächenbezogen sind, gestalten sich gleichstellungspolitische Ziele und Analysen noch schwieriger.

Oedl-Wieser, Theresia (2021): Frauen als Adressatinnen Ländlicher Entwicklungsprogramme im Spannungsfeld zwischen feministischem Anspruch und realer Förderpraxis. In: Wroblewski, Angela, Schmidt, Angelika (eds) Gleichstellungspolitiken revisted. Springer VS, Wiesbaden.

L&R Sozialforschung, und ÖIR. 2019. Gleichstellung von Männern und Frauen im Österreichischen Programm für ländliche Entwicklung 2014–2020. Wien. Download hier