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500 Jahre Bauernkrieg published on

500 Jahre Bauernkrieg

Bäuerliche Geschichte zu verstehen kann dabei helfen, die Gegenwart neu zu begreifen. Ein neues Buch leistet dazu einen wertvollen Beitrag.

Interview von Franziskus Forster mit Florian Hurtig.

Aus: Zeitschrift „Bäuerliche Zukunft“ Nr. 386, 1/2025 zum Schwerpunkt „500 Jahre bäuerlicher Widerstand (1525-2025)“, s. hier

Du hast soeben das Buch „500 Jahre Bauernkriege“ veröffentlicht. Was waren die Anlässe, dieses Buch zu schreiben?

Als Obstbauer ohne Land habe ich mich immer gefragt: Wie ist es dazu gekommen, dass es viele motivierte, teils junge Menschen gibt, die gerne eine regenerative Landwirtschaft betreiben würden, die aber keinen Zugang zu Land haben. Wieso ist das Land so ungleich verteilt, dass der Adel und die Kirche so viel besitzen, große Landwirt*innen viel zu viel haben für eine gute Landwirtschaft, und die allermeisten gar nichts? Und dass Allmenden, als gemeinsam besessenes, gepflegtes und genutztes Land außerhalb der Almen fast gar nicht mehr existieren? Diesen Umstand wollte ich zurückverfolgen. Dabei wurde mir schnell klar, dass es sich lohnt, den deutschen Bauernkrieg als Ausgangspunkt zu nehmen.

Denn wie Humboldt schon sagte, liegt „hier der große Fehler der deutschen Geschichte […], dass die Bewegung des Bauernkrieges nicht durchgedrungen sei: Was hätte nicht alles anders werden können, wären die Bauern 1525 erfolgreich gewesen.“[1] Ich wollte aber keine alleinige Abhandlung über den Bauernkrieg – rein historische Betrachtungen gibt es genügend – sondern die Entwicklungen von damals bis heute nachzeichnen.

Wie bist du zu diesen Fragen gekommen?

Ich bin Obstbauer in einer Solidarischen Landwirtschaft, Historiker, und Aktivist. Diese Kombination macht es irgendwie wahrscheinlich, sich für den größten Aufstand in Mitteleuropa zu interessieren, der zwar nicht nur von Bäu er*innen getragen war, aber doch zum überwiegenden Teil. Mir ist diese historische Beschäftigung deshalb so wichtig, weil wir als Gesellschaft ein Stück weit immer das sind, was wir als unsere Geschichte begreifen. Gerade in Deutschland und Österreich haben wir eine sehr verzerrte Wahrnehmung unserer Geschichte, etwa dass es im Mittelalter und der Neuzeit nichts Interessantes zu betrachten gäbe. Ganz im Gegensatz dazu zeigt der Bauernkrieg, dass es gerade in Mitteleuropa eine sehr reiche Geschichte des Widerstands gegen die Obrigkeit gab, auf die es sich zu beziehen lohnt.

Nun sind 500 Jahre eine sehr lange Zeit. Warum ist es sinnvoll, heute in dieser Zeitspanne auf bäuerlichen Widerstand zu blicken?

Die vergangenen 500 Jahre sind im Prinzip der Zeitrahmen, in dem sich der Kapitalismus ausgeweitet hat. Es ist nicht zufällig, dass die Niederschlagung des Bauernkrieges von Jakob Fugger finanziert wurde. Jakob Fugger war Handelskapitalist, und zwar nicht irgendeiner: Er ist bis heute der reichste Mensch der Weltgeschichte. Und er war ein ausgesprochener Bauernfeind: Er warf ihnen vor, reich sein zu wollen ohne zu arbeiten.

Wir haben also eine Situation, in der der Welthandel aufkommt. Dafür wird die „Ordnung der Dinge“ an verschiedensten Orten der Welt neu durchmischt: Pflanzen werden neu über die Welt verteilt, genauso wie (versklavte) Menschen. Silber und Kupfer spielen dabei eine große Rolle: So werden etwa im Asienhandel Gewürze nur gegen diese Metalle getauscht, auch die Sklavenhändler in Afrika werden mit Kupfer bezahlt und Jakob Fugger besitzt ein Monopol auf Kupfer. Die Adeligen geraten immer mehr in Abhängigkeit der Handels- und Bankenhäuser, selbst Papst und Kaiser sind hoffnungslos bei Fugger verschuldet. Damit der Adel die Schulden begleichen kann, muss er versuchen, mehr aus seinen Ländern herauszuholen. Das kann zum Beispiel Holz sein. Denn Holz wird etwa für die Verarbeitung von Kupfer (und anderen Metallen) in Unmengen benötigt – von Fugger. Dieses Holz aber stammte oft aus Wäldern, welche zuvor Allmendewälder waren. Der Zugang zu Allmendewald und -weide waren neben der Leibeigenschaft und neuen Steuern die Hauptgründe, an denen sich der bäuerliche Unmut erzürnte.

Während durch den Bauernkrieg eine selbstverwaltete Bauernrepublik drohte, konnten nach dessen Niederschlagung Absolutismus und Handelskapitalismus weiter ausgebaut werden. In England fand ein weiterer entscheidender Schritt statt, denn hier wurde zur selben Zeit das Land kapitalisiert: Während es im Mittelalter üblich war, dass Land an dieselben Bauern über mehrere Generationen verpachtet wurde, ohne dass sich an der Pacht etwas änderte, wurde das Land nun an jene verpachtet, die am meisten zu zahlen bereit waren. Und das waren meist Schafzüchter, da in England gerade eine Tuchindustrie aufkam, die viel Wolle nachfragte. Indem nun viele Allmenden, aber auch Ackerland in Schafsweiden umgewandelt wurden, wurden die auf und von diesem Land lebenden Commoners und Kleinbäuer*innen von dort vertrieben. In vielen Teilen Englands, dort wo die Einhegungen am schlimmsten waren, irrten nun unzählige Vagant*innen[2] durch die Gegend. Sie wurden eingefangen und in Arbeitshäuser gesperrt, welche die Vorläufer der Fabrik waren. Die moderne Gesellschaft, wie wir sie kennen, nimmt also hier vor 500 Jahren ihre Fahrt auf. John Holloway nennt die Vertreibung von den Allmenden die „Ursünde des Kapitalismus“.

Was verstehst du unter „den Bäuerlichen“?

Bäuerliche Landwirtschaft würde ich zuerst einmal von der unternehmerischen Landwirtschaft abgrenzen, und zwar ist ein entscheidendes Kriterium dabei, dass in der bäuerlichen Landwirtschaft die eigene Ressourcenbasis – wie Jan Douwe van der Ploeg es nennt – gepflegt und im besten Fall verbessert wird (s. S. 18-20). Die Ressourcenbasis sind der Boden, die Tiere, die mehrjährigen Pflanzen und so weiter, sie stellen für die Bäuerlichen ihre Zukunft dar. Denn ohne diese nichtmenschlichen Wesen gibt es kein bäuerliches Hervorbringen, also sind sie für mich Teil „bäuerlicher Kollektive“. Ich nenne sie Kollektive, weil die Handlungsmacht hier nicht einseitig verteilt ist, sondern im Netz des Lebens entsteht. Das erste Anliegen jener die die Landwirtschaft kapitalisieren wollten war es stets, diese Kollektive zu zerstreuen.

Du sprichst auch von der Enteignung der Beziehung zur Natur. Was meinst du damit?

Ein Aspekt, der sich durch die letzten 500 Jahre zieht ist jener, dass von herrschender Seite stets versucht wurde, Nahrung zu verbilligen (nach Jason W. Moore).[3] So konnte der Kapitalismus mit seiner Fabrikarbeit nur durch eine Verbilligung von Nahrung entstehen, denn ansonsten hätten die Lohnkosten viel höher ausfallen müssen und das wiederum hätte die Waren unverkäuflich gemacht. Um Nahrung zu verbilligen, musste auch die Natur verbilligt werden. Und das bedeutete auch, die „Kollektive“ aufzulösen. Eine Allmende zum Beispiel kann als ein solches Kollektiv angesehen werden, in dem die Natur und die Bäuerlichen durch bestimmte Rhythmen, aber auch durch Sinngefüge verbunden werden. Im mittelalterlichen „magischen“ Denken, waren alle Gegenstände und Lebewesen mit Bedeutungen und Wirkkräften ausgestattet, welche sich symbolisch ausdrückten. Diese Symbolik drückte sich beispielsweise über Farben und Formen aus. Aus dieser Symbolik war herauszulesen, welche Dinge sich anzogen und welche sich abstießen.

Die Natur hatte also weit mehr Bedeutungen, nicht nur jene in der materiellen Produktion. Um die Nahrung zu verbilligen mussten diese anderen Bedeutungen aber negiert und so die „Kollektive“ aufgelöst werden. Von nun an sollte die Natur zur Arbeit gezwungen werden. Ein Zeitzeuge der englischen Zuckerkolonien schrieb: „Der Teufel steckt in dem Engländer, dass er alles zum Arbeiten zwingt: er zwingt den […] [Afrikaner] zur Arbeit, das Pferd zur Arbeit, den Esel zur Arbeit, das Holz zur Arbeit, das Wasser zur Arbeit, und den Wind zur Arbeit.“[4]

Auf den Plantagen ist es offensichtlich, wie Nahrung verbilligt wurde. Durch die billige Arbeit, die in großer Menge verfügbar war, konnten die Felder hochskaliert werden. Als die Sklaverei dann abgeschafft wurde, wurde die Arbeit der Versklavten durch die Arbeit von erdölbetriebenen Maschinen ersetzt. Durch erdölbasierte Dünger konnten die Erträ- ge vom Bodenzustand entkoppelt werden. All das sind Bedingungen für eine Verbilligung von Nahrung, die natürlich immer massive Angriffe auf die Bäuerlichen waren, die weiterhin ihren Boden pflegten, auf kleinen Parzellen anbauten, die aber nun immer weniger für ihre Produkte erhielten und so oftmals ihre Bäuerlichkeit aufgeben mussten.

Was lässt sich daraus lernen?

Ich glaube es lässt sich aus dieser Betrachtung auch lernen, dass die bäuerliche Frage immer sehr eng mit einer ökologischen Frage verbunden war. Auch wenn es nicht ökologische Sorgen im heutigen Sinne waren, die die Bäuer*innen umtrieben, so waren sie doch hoch empört, als die rationale Wissenschaft sich aufmachte, die Naturbeziehungen der Bäuer*innen zu enteignen, und ihnen ihre wissenschaftlichen Naturbeziehungen entgegenstellten. Paradoxerweise lernen wir aus heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass die ökologischen Weltvorstellungen der Bäuerlichen damals näher an der Realität waren als etwa diejenige von frühen Chemikern.

Was ich noch als ein wichtiges Learning aus der Geschichte begreife, ist, dass sich die Bäuer*innen im Bauernkrieg schnell in den Kämpfen organisieren konnten, weil sie zuvor schon über die gemeinsame Nutzung der Allmenden kollektiv organisiert waren. Diese kollektive Organisierung fehlt uns heute, und zwar auch über den Berufsstand hinaus. Denn durch die fehlende Organisierung an der Basis wird es erst möglich, dass andere Obrigkeiten im Namen der Bäuerlichen sprechen.

Wie würdest du gegenwärtige bäuerliche Widerstandsbewegungen in diesem Lichte einordnen?

Viele Höfe – vor allem die kleineren – haben derzeit existenzielle Sorgen. Die aktuellen Bauernproteste haben ihre Berechtigung darin, dass sie sich gegen die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen richten, die diese verursachen. In erster Linie ist die Marktmacht der großen Supermarktketten zu nennen. Schaut man sich die Bündelung von Besitz und Macht an, die hier entsteht, kann man durchaus von postfeudalen Zuständen sprechen. So investiert zum Beispiel Aldi derzeit massiv in Land. Von daher ist die bäuerliche Wut mehr als berechtigt.

Was allerdings verwundert: Als zum Beispiel im Januar 2024 Landwirt*innen ein Aldi-Lager in Stelle blockierten, taten sie dies nicht, um gegen die Großkonzerne zu protestieren, die ihnen das Land streitig machen und ihre Preise drücken. Sie taten dies lediglich, weil sie die Firmenleitung dazu zwingen wollten, sich den Protesten gegen die Bundesregierung anzuschließen. Es sollte also der Bock zum Gärtner gemacht werden.

Um diese ideellen Drehungen in der aktuellen Widerstandsbewegung zu verstehen, muss man sich vor allem den Prozess der letzten 70 Jahre anschauen. Noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts existierte in den Dörfern eine bäuerlich-dörfliche Gesellschaft, in der eine weitestgehende Subsistenzökonomie herrschte und Geld eigentlich keine Rolle spielte. Christa Müller sieht hier noch eine „moralische“ Ökonomie. Das bedeutet, dass für ökonomische Entschei dungen moralische Aspekte eine größere Rolle spielen, als rein ökonomische. In den 1950er bis 1970er-Jahren hält der Weltmarkt Einzug in das Dorf, die Dorfgemeinschaft wird entzweit. Vielerorts werden z.B. zentrale Orte im Dorf abgerissen und ein Parkplatz an dessen Stelle gebaut. Gleichzeitig findet ein Aussiebungsprozess unter den Bäuer*innen statt.

All diese Prozesse fanden in einem Setting der Industrialisierung der Landwirtschaft statt. Der Unmut, die Verlusterfahrungen wurden von der Agrarlobby geschickt umgelegt: Bio-Bäuer*innen und Wachstumsverweigerer wurden zum Feindbild. Der Widerstand gegen Umweltvorschriften ist deshalb sehr perfide: Da er gleichzeitig an historische Erfahrungen der Enteignung anknüpfen kann, aber ein klares Feindbild zeichnet, welches eben nicht die Agrarindustrie zum Ziel hat, sondern eine vermeintliche „grüne Ideologie“.

Vielen Dank für das Interview!

Florian Hurtig, Obstbauer, Agroforstdesigner, Historiker und Aktivist.

 

Dieses Interview ist zuerst in der Zeitschrift „Bäuerliche Zukunft“ Nr. 386, Schwerpunkt „500 Jahre bäuerlicher Widerstand (1525-2025)“ erschienen. Nähere Infos zu Abos und zur Zeitschrift: hier.

 

Bücher und Texte von Florian Hurtig:

500 Jahre Bauernkriege. Widerstand gegen Landraub und Ausbeutung von 1525 bis heute. Mandelbaum Verlag. Wien. 2025 – Nähere Infos: hier

Paradise Lost. Vom Ende der Vielfalt und dem Siegeszug der Monokultur. Oekom Verlag. München. 2020

Am Anfang war die Esskastanie. In: Oya #51/2018. Online hier

 

[1] A. v. Humboldt: Zu Julius Fröbel. Am 24. 5. 1843. In: H. Beck (Hrsg.), Gespräche Alexander von Humboldts. Akademie Verlag 1959, S. 193.

[2] Lat.: „umherstreifend“. Im Deutschen wird heute das abwertende Wort „Vagabund“ verwendet, das zeitgenössische Wort ist „Vagant“.

[3] Jason W. Moore/Raj Patel, Entwertung. Eine Geschichte der Welt in sieben billigen Dingen. Rowohlt, Berlin 2018. „Billig“ bezieht sich hier nicht nur auf den Preis, sondern breiter auf kapitalistische Strategien im „Netz des Lebens“, welche die Auslagerung von sozialen und ökologischen „Kosten“ durch Ausbeutung von Natur und Arbeit ermöglichen. (Anm. Red.)

[4] Nach Peter Linebaugh, Marcus Rediker, Die vielköpfige Hydra, Die verborgene Geschichte des revolutionären Atlantiks, Berlin / Hamburg 2008, S. 143