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Ich möchte einen Hof bewirtschaften, ohne einen Bauern zu heiraten! published on

Ich möchte einen Hof bewirtschaften, ohne einen Bauern zu heiraten!

Fast auf allen mir bekannten Höfen stehen Frauen, Mütter, Töchter oder Schwestern in der Küche und kümmern sich um Kinder, Haus und Hof, während ihre Männer am Traktor sitzen oder die Maschinen reparieren. Diese Arbeitsaufteilung ist zentraler Bestandteil gesellschaftlicher Geschlechterverhältnisse, die weibliche Arbeit zur unentgeltlichen Voraussetzung der Produktion macht. Typisch weibliche Aufgaben wie das Aufziehen von Kindern und die Arbeit im und um das Haus werden in unserer Gesellschaft viel schlechter bewertet als beispielsweise auf einem Traktor zu sitzen und Getreide zu ernten. Daher bekommt ein Bauer für seine Produkte einen Lohn und eine Bäuerin für die Erziehung ihrer Kinder keinen.

Gleiche Rechte am Hof?
Durch traditionelle Erbfolgen bleibt der Hof in den meisten Fällen in der Hand von Männern, und bis heute sind 62 Prozent der Betriebe in Österreich im Besitz von Männern. Nur 15 Porzent werden von beiden Ehepartnern gemeinsam geleitet. Doch wenn eine Frau den Hof besitzt oder führt ist das keine Garantie dafür, dass sie bei wichtigen Entscheidungen (wie etwa dem Bau eines neuen Stalls) auch mitreden darf. Besonders deutlich wird die Ungleichheit der Geschlechter in der bäuerlichen Interessenvertretung: den Landwirtschaftskammern und im Bauernbund. Man findet kaum Frauen auf höheren Ebenen als den Bezirksbauernkammern, und auch die Frauenorganisationen innerhalb der Kammer halten ein traditionelles Bild von der guten Bäuerin, die ihren Mann und die Kinder versorgt und sich um Haus und Hof kümmert, aufrecht. Nur wenige Organisationen versuchen diese Geschlechterverhältnisse aufzubrechen: Der Frauenarbeitskreis der ÖBV (Österreichische Berg- und Kleinbäuer_Innenvereinigung) ist dabei ein leuchtendes Beispiel. Bereits seit vielen Jahren arbeitet dieser zum Thema Geschlechterverhältnisse in der bäuerlichen Landwirtschaft und thematisiert (ökonomische und soziale) Gewalt an Frauen. Dass Mann und Frau als gleichberechtigtes Betriebsführer*innenpaar den Hof leiten, ist – neben dem gemeinsamen Besitz des Hofes – eine der wichtigsten Forderungen der ÖBV.

 

„Einen Bauern heiraten“
Viele selbstbewusste Bäuerinnen suchen mit ihrem Partner einen gleichberechtigten Lebensweg und versuchen traditionelle Rollenmuster zu überwinden. Und dennoch gelingt das nur sehr wenigen. Ich frage mich warum?
Da ich selber Bäuerin werden will und keinen Hof erben werde, ist es mir schon oft passiert, dass Menschen zu mir gesagt haben:„Ja, dann musst du einen Bauern heiraten!“.
Aber warum muss ich als zukünftige Bäuerin einen Partner wählen, der auch in der Landwirtschaft arbeitet? Warum glauben so viele Leute, ich könne nur Zugang zu Land bekommen, wenn ich viel Geld habe oder heirate? Am treffendsten wird die enge Verwobenheit von Familie, Ehe und Bauernhof in der Fernsehserie „Bauer sucht Frau“ ausgedrückt. Doch warum ist es gerade der „Bauer“, der eine Frau sucht? Es erschiene uns auch völlig absurd, wenn eine Serie „Installateur sucht Frau“ hieße, denn von der Frau eines Installateurs wird nicht erwartet, dass sie in die Firma mitkommt und ihrem Mann die Rohrzange reicht. Da reicht es, wenn sie sich um die gemeinsamen Kinder kümmert.
Ernährungssouveränität bedeutet daher auch, die Bewertung (oder den Begriff) von Arbeit grundlegend zu verändern: Haushalt und Kindererziehung dürfen nicht länger außerhalb des Produktiven verortet werden und gleichzeitig von Frauen erwartet werden, dass sie diese Arbeit unentgeltlich erledigen. Auch nicht in der bäuerlichen Familie, nur weil Frauen scheinbar am gemeinsamen Einkommen beteiligt sind.

 

Kollektives Leben
Zur Überwindung dieser patriarchalen Strukturen in der Landwirtschaft möchte ich kollektive Lebensformen (wieder) ins Bewusstsein rufen. In der Bewegung für Ernährungssouveränität gibt es immer mehr Menschen, die Hof- und Wirtschaftsgemeinschaften gründen oder landwirtschaftliche Flächen kollektiv kaufen. Diese kollektiven Lebensformen sind natürlich keine Garantie für die Überwindung patriarchaler Geschlechterverhältnisse, doch die Beziehungen, welche die Menschen in diesen Kollektiven zueinander aufbauen, beruhen – im Gegensatz zu der Ehe am bäuerlichen Betrieb – nicht auf ihrem Geschlecht. Die Partner*innen müssen nicht denselben Berufswunsch haben und vielfältige Beziehungsmodelle und Geschlechtsidentitäten haben ihren Platz. Gleichzeitig ist eine Reflexion der eigenen Lebensformen und Bedürfnisse immer wieder notwendig. Es eröffnet aber auch Möglichkeiten, gemeinsame Haus- und Pflegearbeit (Kinder, kranke und alte Menschen) außerhalb der zweigeschlechtlichen Familienstruktur aufzuteilen. Durch Schaffung einer gemeinsamen Ökonomie werden jene, die sich um Haus und Kinder kümmern und die reproduktiven Aufgaben übernehmen nicht einseitig von ihren Partnern (oder auch Partnerinnen) abhängig. Auch in den kollektiven Strukturen muss man sich mit den Geschlechterverhältnissen, die wir alle verinnerlicht haben, befassen und versuchen, diese zu verändern. Doch das Potential ReProduktive Arbeiten in der Gemeinschaft aufzuteilen, ohne Frauen an die Arbeit im Haus zu binden, ist bedeutend größer.

von Julianna Fehlinger (angehende Bäuerin und bei AgrarAttac aktiv)