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Nach Kuh-Urteil: ÖBV fordert Sicherheit für Bergbetriebe und mehr Realitätsbezug published on

Nach Kuh-Urteil: ÖBV fordert Sicherheit für Bergbetriebe und mehr Realitätsbezug

„Almen sollen Orte guten Lebens sein. Aber das muss für alle gelten.“

Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens, dass Alm- und Berglandwirtschaft mit ihren Kulturlandschaften wichtig und wünschenswert sind. Das Tiroler Urteil hat viele existierende Probleme offenkundig gemacht. Es kommt für viele der Aufkündigung des gesellschaftlichen Konsenses gleich. Viele Bauern und Bäuerinnen sind wütend.

„Angst und Wut sind schlechte Ratgeber, aber es braucht klare Regelungen. Wir wollen, dass Almen Orte guten Lebens sein können. Das beinhaltet Sicherheit für alle, aber auch Verantwortung von allen.“ so Johann Kriechbaum, Obmann der Österreichischen Berg- und Kleinbäuer_innen Vereinigung (ÖBV).

Das Gericht hat den Tiroler Bauern zu einem Schadensersatz verurteilt, um „Wiedergutmachung“ zu ermöglichen. Für das Gericht war dabei die Schuldfrage in diesem einen Fall zu klären. Aus Sicht vieler Bauern und Bäuerinnen saß jedoch die gesamte Almwirtschaft auf der Anklagebank. Bei diesem tragischen Unfall die Schuld so klar zuzuweisen und die Strafe in dieser Höhe, hat zu großer Empörung geführt.

Klare gesetzliche Regelungen sind wichtig, weil sie Klarheit schaffen. Sie müssen aber mit der Realität der Almwirtschaft übereinstimmen. Mehr Zäune wären mit einem enormen Aufwand verbunden und zerschneiden die Almgebiete weiter – auch für die Wildtiere. Unfälle mit Tieren können nicht restlos ausgeschlossen werden, doch das Risiko darf nicht einseitig bei den Bauern und Bäuerinnen liegen. Auch über Hunde auf der Alm muss diskutiert werden.

Mehr Realitätsbezug!

Ausgangspunkt ist allzu oft eine verzerrte Realität. Das Ergebnis: Bäuerliche Betriebe müssen dann als letztes Glied in der Kette für vieles herhalten, ohne dafür honoriert zu werden. Der Ablauf folgt immer dem gleichen Muster: Aus Ansprüchen werden Auflagen, Kontrollen und Haftungen für Bauern und Bäuerinnen – und fallweise folgen einseitige Schuldzuweisungen und Strafen. Das kann schnell existenzbedrohend werden, oft ist es jedoch schlicht ungerecht. Gerade dann, wenn zugleich die bäuerlichen Einkommen laufend sinken und die Agrarpolitik Intensivbetriebe in den Gunstlagen bevorzugt.

„Wichtig ist aber auch, über die Zusammenhänge zu diskutieren: In den letzten Jahren mussten unzählige Milchbetriebe aufhören und sind auf Mutterkuhhaltung umgestiegen. Das wirkt sich auch auf die Zahl der Mutterkühe mit Kälbern auf den Almen aus. Und damit auch auf die Risiken für Wanderer, insbesondere wenn sie Hunde mitführen.“ so Kriechbaum weiter.

Es braucht einen neuen Konsens!

Hier ist ein Blick auf das größere Bild nötig: Die Zukunft der Almen geht weit über touristische Nutzungen hinaus. In Zeiten des Klimawandels kommt einer nachhaltigen Grünlandnutzung in den Bergen eine große Bedeutung zu, ebenso sind der Schutz der Artenvielfalt, vor Bodenerosion und Lawinen wichtige Leistungen für die Allgemeinheit. Die Almen als Orte guten Lebens sind eine Vision für die Gesellschaft. Der aktuelle Fall zeigt einerseits, wie schnell eine gemeinsame Vision in sich zusammenbrechen kann. Andererseits wird deutlich, dass wir einen neuen Konsens brauchen, der die Zukunft der Almen erst ermöglicht.

Auf Almen gibt es viele Nutzungsansprüche: Weiden, Sommer- und Wintertourismus, Wolf, Naturschutz, Tierwohl, Erhalt der Kulturlandschaft, Wasser, Wege, Forstwirtschaft, dazu kommen „Nutzungsansprüche“ von Hunden auf der Alm, sowie Schutzinstinkte von Mutterkühen und viele mehr. Diese Mischnutzungen werden auf jeder einzelnen Alm durch Kompromisse gewährleistet. Oder sie bleiben ein Konflikt. Sehr oft ist diese Balance in Gefahr, weil Verständnis und Wissen über die Hintergründe fehlen: Etwa über die Arbeit, die diese Nutzungen erst möglich macht. Almen würde es ohne Berglandwirtschaft nicht geben.

Die notwendige Arbeit leisten viele Almbauern und -bäuerinnen, SennerInnen und HirtInnen weit unter ihrem Wert. Viele Betriebe kämpfen ums Überleben, aber trotzdem wird die Arbeit gemacht. Deshalb ist oft bereits die Ausgangslage konfliktträchtig und prekär. Bergbauern und -bäuerinnen, Kühe und Almen werden romantisiert, die Almen sind ein Inbegriff von Idylle. Tourismus und Werbung beuten diese Bilder aus und verzerren die Realität immer weiter. Wenn Idylle und Realität aufeinanderprallen, dann können Konflikte eskalieren. In Zukunft brauchen wir bessere Bedingungen für Klein- und Bergbetriebe und mehr Klimagerechtigkeit. Als ÖBV fordern wir mehr Realitätsbezug und Mitbestimmung von uns Bauern und Bäuerinnen in diesen Fragen ein!

Rückfragehinweis:

Franziskus Forster
ÖBV-Via Campesina Austria, Referent für Öffentlichkeitsarbeit
, +43-650-68 888 69