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Bericht: „Neue Wege für die (Berg-)Landwirtschaft“

Neue Wege für die (Berg-)Landwirtschaft

Wie kann eine standortangepasste, regenerative Milch- und Rindfleischproduktion im alpinen Raum zur Gestaltung lebendiger ländlicher Räume und zu einer ökologisch nachhaltigen Landnutzung beitragen? Und was bedeutet das auch gerade im Kontext aktueller agrarpolitischer Entwicklungen? Rainer Weisshaidinger und Paul Ertl haben dazu spannende Diskussionsbeiträge geliefert.

Video und Nachlese zur Veranstaltung vom 22.2.2021

Bericht von Cristina Steiner

Diesen Fragen widmete sich der Geograf, Regionalforscher und Landschaftsökologe Rainer Weisshaidinger auf Basis des von ihm mitherausgegebenen Buches “Chancen der Landwirtschaft in den Alpenländern – Wege zu einer raufutterbasierten Milch- und Fleischproduktion in Österreich und der Schweiz“ und auch aufbauend auf jüngste Forschungsprojekten und -ergebnissen auf diesem Gebiet. (1)

Der Bio-Milchbauer Paul Ertl aus Spittal an der Drau (Ktn.) gab mit seinem umfassenden Wissen aus der Praxis und der Wissenschaft, sehr anschauliche und spannende Einblicke in die praktische Umsetzung einer raufutterbasierten Fütterung von Rindern.

Weisshaidinger: Ernährungspolitik und Ökologisierung als Chance?

Längst ist klar, dass die Erde mit den gängigen Bewirtschaftungsmethoden ökologisch an ihre Belastungsgrenzen kommt und diese auch überschritten werden, wenn sich nicht nachhaltigere Praktiken durchsetzen. Die derzeit akutesten Probleme hinsichtlich ökologischer und planetarer Belastungsgrenzen stellen laut Rockström et al. einerseits die hohen biogeochemischen Flüsse an Phosphor und Stickstoff und andererseits die Reduktion der genetischen Vielfalt (unter anderen durch den Verlust an Biodiversität) dar.

Weltweit wird ein sehr hoher Teil der Flächen sehr intensiv bewirtschaftet. Gründe sind neben der Sicherstellung einer adäquaten Lebensmittelversorgung, auch die Fütterung der Tiere mit Kraftfutter, dessen Basis Ackerfrüchte bilden. Das bedeutet bei Wiederkäuern, dass Tiere, die für die Fleisch- und Milchproduktion gezüchtet werden, mit den Menschen in direkter Nahrungsmittel- und Flächenkonkurrenz stehen. Die Karte von Dr. Jonathan Foley gibt einen Überblick darüber, welche Regionen der Erde einen besonders hohen Anteil der landwirtschaftlichen Flächen für die Produktion von Futtermitteln benötigen. Europa verfüttert zB einen hohen Prozentsatz an produzierten Ackerfrüchten an Tiere.

Die auf globaler Ebene thematisierten Probleme lassen sich ebenso auf nationaler Ebene erkennen. Österreich hat zum Beispiel nach wie vor mit hohen Stickstoff-Bilanzüberschüssen sowie Ammoniakemissionen aus der Landwirtschaft zu kämpfen. Zusätzlich sind in den letzten 25 Jahren über 75% aller fliegenden Insekten verloren gegangen und der Bestand an Feldvögeln hat sich gewaltig verringert.

Um ein intaktes Ökosystem auch in Zukunft noch gewährleisten zu können, müssen Methoden und Maßnahmen entwickelt werden, die diese Effekte verkleinern oder abfedern. Einen Ansatz liefert dabei die regenerative Milch- und Rindfleischproduktion – kurz RMF, die auf einer wiederkäuergerechten Fütterung für standortangepasste Raufutterverzehrer basiert. Damit sollen Umweltwirkungen durch Ammoniak, Stickstoff, Phosphor und von Treibhausgasen wie Methan verringert werden. Diese Effekte konnten auch tatsächlich in Forschungsprojekten belegt werden. Wie stark die Veränderungen allerdings ausfallen, hängt von den verschiedenen Produktionsszenarien ab. Szenario 1 zeigt die Auswirkungen einer gänzlichen Umstellung aller Betriebe auf biologische Landwirtschaft. Szenario 2 und 3 konzentriert sich dagegen auf die Auswirkungen, die eine Umstellung auf RMF und die damit einhergehende Möglichkeit der verstärkten Nutzung von Ackerfrüchten als Nahrungsmittel statt Futtermittel hat. Szenario 3 geht zusätzlich von einer Umstellung von Monogastriern auf eine kraftfutterlose Fütterung aus. Alle 3 Ausgangslagen führen zu einer jeweils unterschiedlichen aber nichtsdestotrotz starken Reduktion der erwähnten negativen Umweltwirkungen.

Die Umsetzung derartiger Maßnahmen hätte für die landwirtschaftliche Produktion erhebliche Auswirkungen, weshalb die unterschiedlichen Szenarien ebenso im Hinblick darauf bewertet wurden. Hier unterscheiden sich die Ergebnisse relativ stark. Da eine Umstellung auf eine ausschließlich raufutterbasierte Fütterung bei Monogastriern nicht rentabel wäre, würde die Anzahl an Mastschweinen und Geflügel und damit die Fleischproduktion stark sinken. Ein ähnlicher Rückgang, wenn auch weniger drastisch, lässt sich bei einer Umstellung auf eine 100% biologische Landwirtschaft erkennen. Der Grund dafür liegt dabei aber stärker darin, dass der Bio-Landbau mehr Fläche beansprucht. Würde im Status Quo weltweit jeder Betrieb biologisch wirtschaften, gäbe es global gesehen ein Drittel zu wenig Fläche – und somit ein Kaloriendefizit von 31%. Würde man aber zusätzlich flächendeckend den Ansatz Feed-no-Food – keine Verfütterung hochwertiger Ackerfrüchte an Masttiere – verfolgen, wären nur 8% zu wenig Fläche weltweit vorhanden.

In allen Szenarien zeigt sich eine Reduktion der Anzahl an Milchkühen, sowie der Milchproduktion. Allerdings ist in Szenario 2 die Produktion von Schwein und Geflügel nicht betroffen, die Umstellung ist also weniger drastisch. Gleichzeitig findet in diesem Fall keine Reduktion, sondern sogar eine leichte Steigerung der Kalorienproduktion statt. Besonders in Berggebieten, in denen von Natur aus nur eine extensive Rinderhaltung möglich ist, kann daher die Umsetzung derartiger Maßnahmen positive Auswirkungen haben.

Dieses Beispiel verdeutlicht die Wichtigkeit, alternative Nachhaltigkeitsindikatoren zu entwickeln und umzusetzen. Als ersten Schritt braucht es statt der engen Fixierung auf Effizienz eine Stärkung der Prinzipien der Konsistenz und der Suffizienz.

Weisshaidinger fasst abschließend zusammen, dass eine regenerative Milch- und Rindfleischproduktion in Kombination mit einer biologischen Bewirtschaftung negative Umweltwirkungen drastisch reduzieren kann. Das würde über geringere Tierzahlen, weniger Kraftfuttereinsatz, weniger Futtermittelproduktion auf Ackerflächen, reduzierte Düngemengen und eine insgesamt verringerte Produktivität erreicht werden. Das würde wiederum der Biodiversität zugutekommen. Mit dieser Bewirtschaftungsform würden 10 bis 20% der Ackerflächen frei und diese könnten für die Produktion von Nahrungsmitteln verwendet werden.

Zur Stützung der RMF braucht es standortangepasste Landnutzungssysteme, sowie Rindertypen mit langer Lebensleistung und einer hohen Grundfutterverwertung. Dies sollte auch gefördert werden. Das führt langfristig zwar zu einem reduzierten Output an Milch und Fleisch, dafür zu einer höheren Qualität des einzelnen Produkts. Eine derartige ökologisch nachhaltige Lebensmittelproduktion kann aber nur mit einer deutlichen Bewusstseinserhöhung der Konsumenten und Konsumentinnen und einer anderen Politik einhergehen. Eine Ernährungspolitik könnte dabei aktuelle Probleme möglicherweise umfassender abbilden und auf diese reagieren, als die derzeitige Form der Agrarpolitik.

Praxis: „zukunftsfähig“ ist das neue „nachhaltig“

Auf Paul Ertl Milchviehbetrieb in Spittal an der Drau wird seit 40 Jahren kein Kraftfutter mehr verfüttert, denn er ist der festen Überzeugung, dass eine kraftfutterfreie Bewirtschaftung ökonomisch und tiergesundheitlich möglich ist. Für ihn steht fest, dass Entscheidungen, die unter Beachtung ökologischer, ökonomischer und ethisch bzw. gesellschaftlich relevanter Aspekte getroffen werden, zwar nicht immer die wirtschaftlich effizienteste Option darstellen, dafür aber bestimmt eine konsistente und suffiziente zukunftsfähige Variante. Unter diesen Gesichtspunkten sind demnach die aktuellen Veredelungspraktiken tierischer Produkte seiner Meinung nach eher kritisch zu betrachten. Denn wenn dabei aus 100% Lebensmittel – in dem Fall Ackerfrüchte vom Feld – nur 30% an veredeltem Lebensmittel für den Endkonsumenten oder die Endkonsumentin übrigbleibt, dann muss es langfristig an irgendeiner Stelle zu Engpässen an Ressourcen kommen. Derartige Produktionsweisen sind daher in ethischer und gesellschaftlicher Hinsicht nicht ausreichend durchdacht.

Der Aspekt, dem in fast jedem Entscheidungsprozess das höchste Gewicht beigemessen wird, ist für gewöhnlich die ökonomische Effizienz. Möchte man hochleistungsfähige Milchkühe haben, muss demnach gutes Grundfutter verfüttert werden. Dazu ist es nötig, mehrere Grasschnitte zu tätigen. Werden allerdings zu viele Schnitte durchgeführt, leidet die Biodiversität des Grünlandes. Um eine ökologisch wertvolle Entscheidung zu treffen, muss daher dahingehend ein Kompromiss eingegangen werden.

Paul Ertl sieht wissenschaftliche Erkenntnisse auf diesem Gebiet als wichtige Ideale und wegweisende Eckpfeiler. Allerdings können diese immer nur ergänzende Informationen darstellen, denn für eine gezielte Anleitung würde strenggenommen jeder Betrieb ein eigenes Forschungsprojekt darstellen. Demnach ist es wichtig, dass Betriebsführende befähigt werden zukunftsfähige Kompromisse umzusetzen. Landwirte und Landwirtinnen dahingehend zu unterstützen bringt nicht nur für den Betrieb und dessen Umgebung einen Mehrwert, sondern könnte auch Quereinsteiger und Quereinsteigerinnen die Angst nehmen eine Landwirtschaft zu übernehmen.

Diskussion

Nicht nur Nutztiere konkurrieren mit den Menschen um Ackerfläche. Auch die Verwendung von Lebensmitteln für die Biogaserzeugung sowie die Versiegelung von gutem Ackerland durch die Förderung von Photovoltaik-Anlagen führen zu einer Konkurrenz um Boden. Daraus entstehen nicht unwesentliche Zielkonflikte hinsichtlich der Förderung von „grüner Energie“.

Die Teilnehmenden merken an, dass der Methanausstoß von Rindern auf der Alm in Relation zu deren positiven Effekten gesetzt werden sollte. Dagegen kritisch zu betrachten ist eine zusätzliche Ausbringung von Kunstdünger. Abgesehen davon, ist es derzeit noch schwierig ist, eine kraftfutterlose Rindermast bzw. Mutterkuhhaltung zu betreiben, die den Kriterien der Schlachthöfe entspricht. Man plädiert daher für eine angepasste Klassifizierung von Weiderindern.

Weiters wurde noch einmal das Spannungsfeld der Agrar- und Ernährungspolitik eingehend thematisiert. Um vorhandene Differenzen zu reduzieren bzw. ausreichend zu behandeln, muss Agrar- und Ernährungspolitik gemeinsam mit Gesundheits-, Handels- und auch Entwicklungspolitik gedacht werden. Denn die Themen dürfen und können nicht wie bisher losgelöst voneinander behandelt werden, sondern müssen mehr in ihrem Zusammenhang betrachtet und kohärent gestaltet werden.

Eine höhere Förderung der ersten Hektare, wäre nach Ansicht der Teilnehmenden wünschenswert. Denn Grün- und Almflächen hinken bei den aktuellen Förderungen in Österreich nach wie vor nach. Das spüren ganz besonders die Bundesländer mit einem hohen Anteil an bergigen Regionen. Das liegt auch an den Kräfteverhältnissen, wenn es um die Frage der Verteilung der Agrarzahlungen geht.

Einige der Teilnehmerinnen und Teilnehmer machen sich durch einen gefühlten Konsumrückgang an Milch- und Rindfleischprodukten Sorgen um die zukünftige Bewirtschaftung von Betrieben im Berggebiet. Denn dort gehören die Herstellung von Fleisch und Milch durchwegs zu den wichtigsten Standbeinen der Betriebe.

Einmal mehr kommt zum Ausdruck, dass sich Landwirte und Landwirtinnen eine Agrarpolitik wünschen, die ein Einkommen zum Auskommen bietet und noch gezielter öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen vergibt. Gleichzeitig ist der Wunsch da, das Image von Lebensmitteln aus den österreichischen Berggebieten zu verbessern.

ÖBV-Kampagne zur doppelten Förderung der ersten 20 ha

Literatur

Stolze/Weisshaidinger/Bartel/Schwank/Müller/Biedermann (2019): Chancen der Landwirtschaft in den Alpenländern. Wege zu einer raufutterbasierten Milch- und Fleischproduktion in Österreich und der Schweiz. Bristol Stiftung. Haupt Verlag. Bern. https://www.fibl.org/de/infothek/meldung/chancen-der-landwirtschaft-in-den-alpenlaendern.html

Hintergrund
ÖBV-Analyse zur Reform auf europäischer Ebene

Positionspapier der ÖBV zur Agrarpolitik nach 2020