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Im Jahr der Biodiversität: EU-Pflanzengesundheitsverordnung behindert Tausch und Verkauf von freiem Vielfaltssaatgut! published on

Im Jahr der Biodiversität: EU-Pflanzengesundheitsverordnung behindert Tausch und Verkauf von freiem Vielfaltssaatgut!

Eine Gruppe engagierter Menschen schlägt Alarm und hat die Petition „Freier Saatguttausch für Erhalter*innen der Vielfalt“ ins Leben gerufen, in der sie eine Anpassung der EU-Pflanzengesundheitsverordnung und Rechtssicherheit einfordert.

Seit Monaten kämpfen sie, selbst von der Verordnung betroffen, für das Menschenrecht auf Zugang zu Saatgut, stellen Anfragen an das Landwirtschaftsministerium, AGES und Landesbehörden, verfassen Schreiben an die EU-Kommission und zeigen die Gefahren für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt auf. „Es geht ans Eingemachte. Selbst Kleinstportionen bestimmter Kulturen dürfen nicht mehr verschickt werden, es sei denn, die Erhalterin erwirbt eine kostspielige „Pflanzenpassausstellungsberechtigung“. Ihr bisher meist unentgeltlicher Beitrag zur Erhaltung von Vielfaltssaatgut wird damit weiter erschwert. Damit ist zugleich der wertvolle Beitrag zum Gemeinwohl und zum Schutz der Biodiversität gefährdet. 2018 wurden von den Vereinten Nationen die kleinbäuerlichen Rechte als Menschenrecht beschlossen (UNDROP), in Artikel 19 ist das Recht auf Saatgut festgeschrieben. „Wir fordern auf dieser Basis Ausnahmeregelungen für Kleinerhalter*innen von Vielfaltssaatgut.“ Die EU-Kommission verlautbart dagegen, internationale Handelsverträge wären bindend, UNDROP nicht.

Kostspielige Pflanzenpasskontrolle
Während das Thema Biodiversität in der öffentlichen Wahrnehmung boomt und Nachhaltigkeitspreise an Supermärkte und Unternehmen vergeben werden, wird jenen Menschen, die sich um die Vielfalt der Kulturpflanzen kümmern, das Leben schwer gemacht. Seit Dezember 2019 ist die EU-Pflanzengesundheitsverordnung in Kraft. Sie fordert von Erhalter*innen der Nutzpflanzenvielfalt, die Saat- und Pflanzgut bestimmter Arten an Landwirte abgeben wollen oder selbst eine Landwirtschaft betreiben, ihre Samentüten mit einem Pflanzenpass zu versehen. „Für uns Kleinbäuer*innen wird damit die Weitergabe und der Austausch von Vielfaltssaatgut extrem erschwert und wirtschaftlich noch uninteressanter. Auch wird es immer schwieriger, selber Saatgut für kleine Anbauprojekte oder -versuche zu erhalten.“, so Daniela Kohler, Biobäuerin und Saatguterhalterin aus Vorarlberg von der Österreichischen Berg- und Kleinbäuer_innen Vereinigung (ÖBV). Auch alle Hobbygärtner*innen, die über einen Webshop ihr Saatgut anbieten, sind betroffen. Der Hintergrund: Für den Versand („Fernabsatz“) von Erbsen, Bohnen, Tomaten, Paprika, Kartoffel usw. brauchen Erhalter*innen eine kostspielige Berechtigung zur Ausstellung eines Pflanzenpasses. Diese Verordnung ist auf die Bedürfnisse großer Unternehmen zugeschnitten. Viele kleine und dezentrale Erhalter*innen fühlen sich in ihren Bemühungen übersehen und im Stich gelassen.

Eine der Betroffenen ist die Bergbäuerin Barbara Hable aus Pöls in der Steiermark. Schon seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit der Erhaltung alter und gefährdeter Obst- und Gemüsesorten – ehrenamtlich, denn der bescheidene Unkostenbeitrag deckt den Aufwand bei weitem nicht. „Ich vermehre zum Beispiel seit 20 Jahren den Paprika ‚Scharfer Grimm‘. Er hat sich an unser Gebirgsklima bestens angepasst. Meine größte Freude ist es, diese Sorte an andere Menschen weiterzugeben. Erst durch die Verbreitung macht meine Erhaltungsarbeit Sinn und der Weiterbestand ist gesichert. Mich ärgert das ganze Gerede über die Erhaltung der Biodiversität, wenn Menschen, die aktiv daran arbeiten, gleichzeitig derart behindert werden.“

Doch Barbara Hable lässt sich nicht so einfach klein kriegen. Gemeinsam mit einer Gruppe Betroffener hat sie nun eine europaweite Petition gestartet, um auf die Gefahr für die Kulturpflanzenvielfalt aufmerksam zu machen. Die Petition findet bereits international Beachtung und wurde in zwei Sprachen übersetzt.

In der Petition wird von der EU-Kommission gefordert, bei der für Ende 2021 geplanten Evaluierung auf der Grundlage der kleinbäuerlichen Rechte (UNDROP) Ausnahmeregelungen für Erhalter*innen zu schaffen. Zu unterzeichnen ist die Petition unter FREIER SAATGUTTAUSCH für Erhalter*innen der Vielfalt

Die Initiative ArchemitZukunft konnte gemeinsam mit der Kampagne für Saatgutsouveränität, der Österreichischen Berg- und Kleinbäuer_innen Vereinigung (ÖBV) und regionalen Saatgutinitiativen innerhalb weniger Wochen mehr als 1.500 Unterschriften sammeln, viele der UnterzeichnerInnen sind direkt von der Verordnung betroffen.
Den betroffenen Erhalter*innen ist die Bedeutung von Maßnahmen zur Eindämmung von Pflanzenkrankheiten und Schädlingen bewusst. Allein schon durch die Bewahrung und Ausweitung der biologischen Vielfalt im Bereich der Kulturpflanzen wirken sie der Ausbreitung von Pflanzenschädlingen entgegen. Ein kleinteiliger Anbau verschiedener Arten und Sorten und ein regelmäßiger Fruchtwechsel stellen natürliche Barrieren gegen die Verbreitung von Pflanzenschädlingen dar.

Hintergrund
Seit Dezember 2019 ist die EU-Pflanzenschutzverordnung (VO (EU) 2016/2031) in Kraft. Erhalter*innen der Nutzpflanzenvielfalt haben mittlerweile Erfahrungen damit gesammelt, wie sehr diese Verordnung ihre Arbeit behindert. So müssen etwa Erhalter*innen, die gleichzeitig eine Landwirtschaft betreiben, ihre Samentüten mit einem Pflanzenpass versehen und dafür ein aufwändiges Zulassungsverfahren durchlaufen. Wenn Bäuer*innen von privaten Hobbygärtner*innen Saatgut beziehen möchten, um es auf ihren Feldern anzubauen, ist ebenfalls die Ausstellung des Pflanzenpasses Pflicht. Das gilt für Paradeiser, Paprika, Bohnen, Erbsen, Edelreiser, Erdäpfel, Getreide u. v. a. Daneben sind einige Bestimmungen der Verordnung, wie etwa jene über den sogenannten „Fernabsatz“ unklar und nicht ausreichend definiert. Diese Regeln sind auf die Bedürfnisse großer Unternehmen zugeschnitten. In vielfacher Hinsicht herrscht Rechtsunsicherheit: Während das Landwirtschaftsministerium verlautbart, der Hobbybereich könne nicht kontrolliert werden, nehmen die für die Umsetzung zuständigen Landesbehörden bereits Kontakt zu Privatpersonen auf.

Die UNO sieht den freien Zugang zu Saatgut und das Recht, eigenes Saatgut zu erzeugen, zu tauschen und zu verkaufen als Menschenrecht an, das die Ernährungssouveränität sicherstellen soll. Siehe dazu die UN-Erklärung über die Rechte von Kleinbauern und -bäuerinnen und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten (UNDROP) insbes.§ 19. Die EU-Kommission hat bereits in einem Schreiben angekündigt, dieser UNO-Erklärung und damit dem Menschenrecht auf Saatgut-Souveränität keine Beachtung schenken zu wollen. In einem Schreiben kündigt sie an, internationale Handelsverträge als bindend zu betrachten, UNDROP dagegen wäre nicht bindend. In einer Stellungnahme der Geneva Academy of International Humanitarian Law and Human Rights wird diese Einschätzung jedoch bestritten und widerlegt.

Quellen:
– Petition: FREIER SAATGUTTAUSCH für Erhalter*innen der Vielfalt
– EU-Verordnung: EU-Verordnung VO EU 2016/2031
– FAQ zum Pflanzenpass: FAQs – Pflanzenpass NEU – Pflanzenschutzdienst
– UN-Erklärung über die Rechte von Kleinbauern und -bäuerinnen und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten (UNDROP): Deutsche Fassung der Vereinten Nationen
– Geneva Academy of International Humanitarian Law and Human Rights: Stellungnahme zur rechtlichen Verbindlichkeit der UNDROP

Kontakt:
ArchemitZukunft & „unverblümt“
www.archemitzukunft.net

Franziskus Forster

++43-650-68 888 69