Laut Definition ist politische Kultur die Bezeichnung aller kognitiven, emotionalen und evaluativen Einstellungen hinsichtlich politischer Fragestellungen – vor allem zur generellen gesellschaftlichen Ordnung, Organisation des politischen Systems und zur eigenen Rolle in diesem System.
Wir haben den Vorteil in einer demokratischen politischen Kultur zu leben, doch erfahren und spüren wir alle zunehmend eine Legitimationskrise dieser politischen Ordnung, die sich in erster Linie in einem politischen Desinteresse und der Hinwendung beträchtlicher Bevölkerungsteile zu nationalpopulistischen Scharfmachern äußert.
Jene Heilsbringer des rechten Randes warten durch eine teils hetzerische Rhetorik auf und liefern (zu) simple Antworten für komplexe Fragen- und Problemstellungen, die bereits bei oberflächlicher Analyse entkräftet werden können. Es stellt sich in Folge die Frage: sind deren Wähler zu träge, um darüber nachzudenken? Zu bequem, um zu hinterfragen und zu eigennützig, weil den eigenen Wohlstand schon verlustig sehend? Die ländliche Bevölkerung vieler Talschaften Westösterreichs, unter Schirmherrschaft des roten Adlers, hat besagte Partei des rechten Spektrums mit überwältigender Mehrheit gewählt und ihre politische Kultur somit meiner Meinung nach klar deklariert. Ob als Statement gegen das politische Etablissement oder aus Empörung über unkontrollierte Migration sei dahingestellt, das Kreuz für diese Partei zu machen ist schon eine Botschaft an sich.
Seit dem Sommer arbeite ich auf einem Milchviehbetrieb im Wipptal. Die Arbeit am Hof und in der dazugehörenden Pension scheint nie auszugehen, doch die schroffe Schönheit des umgebenden Hochgebirges entschädigt für vieles und die Arbeit mit den Tieren ebenso. Soweit ich bisher ein Urteil abgeben kann, ist die Rolle der Frau in der Landwirtschaft dort von Hof zu Hof verschieden: von der klassischen Rolle als Familienfürsorgerin, Haushaltsführerin und Ortsbäuerin mit ehrenamtlichen Engagement in den dörflichen Strukturen über die durchaus gleichberechtigte Kraft am Hof bis hin zur praktizierenden Anwältin, wo der Ehemann/Bauer den Kindern zu Mittag kocht – alles ist dabei. Ebenso wie viele Höfe ohne weibliche Unterstützung und somit auch à la longue ohne Nachfolge auskommen müssen. Wenige Bauern im hinteren Tal stellen überhaupt noch Milch her, die Preise sind durch die Liefergemeinschaft an den Milchhof Sterzing derzeit aber gesichert und dürften landes- und bundesweit zu den Höchsten zählen, das nur als Information nebenbei.
Die erneut anstehende Bundespräsidentenwahl gibt immer wieder Anlass zur politischen Diskussion – vorranging jedoch bisher eher mit Männern, die bei uns am Hof durch verschiedene Gründe verkehren bzw. Arbeiten verrichtet haben. Für mich erkennbar ist die Tendenz des “geschehen Lassens” – das ließe sich aber auch insgesamt auf das eher phlegmatische Gemüt des Österreichers/der Österreicherin übertragen: zwar darüber aufregen, aber eigentlich nichts dagegen unternehmen. Die Akzeptanz der Tatsache, dass es sich die “Oberen richten” und die “Kleinen zahlen können” ist eindeutig vernehmbar- dieser Sachverhalt lässt sich übrigens ebenso auf die Strukturen der Landwirtschaftskammer und ihren zahlreichen nahestehenden Genossenschaften wie Maschinenring etc. übertragen und wird auch so in Gesprächsrunden kommuniziert. Doch aufstehen und rebellieren? So weit ist der (eigene) Leidensdruck offensichtlich noch nicht fortgeschritten. Ich hoffe, mit zunehmender Verweildauer dort drinnen im Gebirge doch ein wenig mehr mit den Frauen in meiner, bis dato recht spärlichen, Freizeit in Kontakt zu kommen und deren landwirtschaftliche und politische Sichtweise kennen zu lernen. Darüber kann ich leider noch nicht viel berichten, es braucht schon ein bissl Zeit, bis man als “Zuagroaste” zu Kaffee und Kuchen eingeladen wird;)
Ein Patentrezept für eine politische Kultur, die zu einem guten Leben für alle beitragen kann, habe ich natürlich keineswegs parat. Was ist überhaupt ein gutes Leben für alle? In erster Linie doch ein subjektives Empfinden, das von Mensch zu Mensch, von Region zu Region verschieden ausfallen wird. Vielleicht kann man als Starthilfe, als gemeinsamen Nenner die Tatsache sehen, sich auf den nächsten Tag zu freuen? Wie kann nun die politische Kultur da behilflich sein? Ich glaube, es ist die Gemeinschaft mit anderen Gleichgesinnten, in der eben jene wirksam sein und ihre Kräfte entfalten kann. Diesem Ansinnen gehen natürlich grundlegende Schritte voraus: sich persönlich informieren und engagieren, eine Meinung bilden, diese auch vor größeren Runden mit schwierigerem Publikum mutig vertreten, dafür einstehen und Verbündete suchen, die die gemeinsame Sichtweise verstärken. Gerade die ÖVP-dominierte Landwirtschaft bietet da ein reiches Betätigungsfeld. Man kann seine erarbeiteten Positionen mit Witz und Esprit lautstark einfordern und die seit Jahrzehnten dieselben Argumente wiederkäuende Gegenseite damit überrumpeln.
Den Schritt hin zum Mitgestalten muss jede(r) jedoch selber gehen, dies sollte mitnichten ein Leichtes sein. Zuletzt gilt nämlich immer noch: wer nichts weiß, muss/wird/will alles glauben.