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Aufgabe der Bewirtschaftung: Hohes Risiko in Berggebieten published on

Aufgabe der Bewirtschaftung: Hohes Risiko in Berggebieten

Hansjörg Keller, unsplash.com

Wie wirken sich die Veränderungen der Landnutzung sozial und ökologisch aus? Welche Einflüsse hat die Agrarpolitik auf die Trends im Berggebiet?

Von Thomas Dax, Ingrid Machold und Karin Schroll

Auf Grund der Bewirtschaftungserschwernisse und der peripheren Lage sind viele landwirtschaftliche Flächen im Berggebiet von der Aufgabe der Bewirtschaftung bedroht. Umfangreiche Maßnahmen der Agrarpolitik wurden seit vielen Jahrzehnten entwickelt, um die schwierige wirtschaftliche Situation der Bergbauernbetriebe zu mildern. Dies soll gleichzeitig auch die Bewirtschaftung von Agrarflächen sicherstellen, welche ohne entsprechende öffentliche Zahlungen oft gefährdet wären. Eine Studie, welche die Bundesanstalt für Agrarwirtschaft und Bergbauernfragen (BAB) gemeinsam mit dem Österreichischen Institut für Raumplanung (ÖIR) vor kurzem für das Europäische Parlament erstellt hat, fasst die aktuellen Trends zusammen. Die Studie fordert die spezifische Berücksichtigung des Problems in der GAP und verweist auf die Brisanz der Thematik für periphere Regionen und die europäischen Berggebiete.

Veränderungen bedrohen die Kulturlandschaften in den Berggebieten

Der Wandel der Landbewirtschaftung stellt insbesondere in entlegenen Regionen und Berggebieten eine große Herausforderung dar. Durch die erschwerten Produktionsbedingungen und die daraus resultierenden geringen landwirtschaftlichen Einkommen sind überdurchschnittlich viele Flächen – vor allem in Steillagen[1] (vgl. MacDonald et al. 2000), – von der Bewirtschaftungsaufgabe bedroht. In die Erfassung des Risikos wurden biophysikalische und agrarstrukturelle Faktoren ebenso einbezogen, wie die Bevölkerungsentwicklung und die geographische Lage.

Während in den Nicht-Berggebieten der EU für etwa 30% der landwirtschaftlichen Nutzfläche ein mittleres, hohes oder sogar sehr hohes Risiko der Bewirtschaftungsaufgabe besteht, liegt dieser Wert in den Berggebieten bei 63%. Vergleicht man verschiedene Bergregionen in Europa, zeigt sich, dass dieses Maß der Gefährdung den höchsten Wert im Alpenraum mit 89% erreicht (Schuh et al. 2020). Damit ist Österreich zusammen mit einer Gruppe von Ländern in peripherer Lage wie Zypern, Estland, Finnland, Griechenland, Lettland und Rumänien am stärksten vom Trend zur Bewirtschaftungsaufgabe betroffen.

Angesichts der vielfältigen Einflüsse auf die Veränderung der Landnutzung ist es nicht verwunderlich, dass die landwirtschaftliche Bewirtschaftung gerade in Berggebieten als bedroht gilt. Die Ausrichtung auf Produktivitätssteigerungen und Kostenreduktionen haben die angepassten Bewirtschaftungsweisen in Berggebieten weitgehend marginalisiert. Die damit verbundenen Konzentrationstendenzen haben die wirtschaftliche Substanz der Berglandwirtschaft nach und nach verringert und zu Abhängigkeiten von Ausgleichszahlungen geführt.

Kleinräumige Trends nicht übersehen

Diese Bedrohung klingt für viele plausibel, aber es ist schwer, dies mit Daten zu belegen bzw. regionale Wirkungen zu differenzieren. Die langfristige Analyse zeigt auch zeitliche Schwankungen in der Landnutzung bzw. in der Aufgabe von Flächen und Betrieben. Lange Zeit wurde eine verlangsamte Strukturanpassung in der Berglandwirtschaft beobachtet, nicht zuletzt auf Grund der Ausgleichszahlungen, die Bewirtschaftungsnachteile der Bergbauernbetriebe (EC 2009) zumindest teilweise kompensieren. Diese Strategie war und ist in Österreich sehr stark ausgeprägt.

Die Problematik ist aber bei genauerer lokaler Kenntnis damit nicht „gelöst“. Vielerorts handelt es sich beim Prozess der Aufgabe landwirtschaftlicher Flächen um einen „schleichenden“, sehr langfristigen Prozess, der häufig kleine Flächen erfasst und sukzessive voranschreitet. Eine gesamteuropäische Erfassung ist daher technisch sehr schwierig und trägt dazu bei, das Problem zu übersehen oder in seiner Brisanz zu unterschätzen. Dies ist insofern von massiver Bedeutung als die Verringerung der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung nicht bloß ein Aspekt der landwirtschaftlichen Produktion ist, sondern auch erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Landschaft, die Attraktivität der Gebiete und die regionale Wirtschaft ausüben kann. Dies ist oft ein Kennzeichen von Marginalisierungsprozessen von Regionen, welche dazu neigen, sich in Form „negativer Spiralen“ selbst zu verstärken. Das kann dann als schwer umkehrbar erscheinen (Brouwer et al. 2008).  

Erhöhte Anerkennung der Leistungen durch die Agrarpolitik erforderlich

Zahlreiche Fallstudien belegen, dass sich die Aufgabe der Landbewirtschaftung aus einem komplexen Zusammenspiel biophysikalischer, agrarstruktureller sowie regionaler, institutioneller und politischer Faktoren ergibt. Diese beeinflussen die Entscheidungen der Betriebsleiter*innen hinsichtlich der Landnutzung. Die Probleme bei der Bewirtschaftung und des Marktzuganges stellen aber die Hauptursachen für die Aufgabe von landwirtschaftlichen Flächen (bzw. Betrieben) dar. In der Berglandwirtschaft ist dies besonders stark ausgeprägt und problematisch, da mit ihrer Aufgabe eine Reihe von positiven Wirkungen der Bewirtschaftung dieser Gebiete verloren gehen. Dies betrifft den Verlust an Biodiversität von Lebensräumen, die Reduktion von landwirtschaftlichen Flächen mit hohem Naturwert oder von kulturell wertvollen Landschaften.

Die entsprechenden spezifischen Fördermaßnahmen für die Berglandwirtschaft werden verstärkt mit dem Argument begründet, im Berggebiet öffentliche Leistungen zu erbringen (Nigmann et al. 2018). Eine stärkere Ausrichtung auf diesen Gesichtspunkt stellte einen der Schwerpunkte in der Diskussion der aktuellen GAP-Reform dar (Maréchal 2018). Über die spezifischen Nationalen Strategiepläne liegt die Umsetzung dieser Aspekte nunmehr stark bei den einzelnen Ländern und Regionen.

Charakteristische Landbewirtschaftungssysteme in Berggebieten sichern

Auch wenn die GAP-Interventionen überwiegend so eingeschätzt werden, dass sie der Aufgabe landwirtschaftlicher Flächen entgegenwirken, ist doch eine differenzierte Betrachtung nötig. Es wird unterstellt, dass durch die erhöhte Förderung über die erste Säule der GAP die Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe und die landwirtschaftlichen Einkommen generell unterstützt werden. Durch das System der gleichen finanziellen Unterstützung für große und kleine landwirtschaftliche Betriebe sowie fehlende umweltpolitische Ambitionen laufen aber Konzentrationsprozesse weiter. Damit entsteht auch Druck zu weiterer Aufgabe der Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen. Die bedeutendsten Maßnahmen der zweiten Säule sind zwar stärker auf räumliche Herausforderungen ausgerichtet und zielen darauf, den Bedürfnissen benachteiligter und abgelegener ländlicher Gebiete Rechnung zu tragen. Sie können aber die Nachteile der wirtschaftlichen Position der Berglandwirtschaft nur mildern. Um auf die Herausforderung der Aufgabe der Landbewirtschaftung in peripheren und in Berggebieten einzugehen, werden in den Empfehlungen der Studie folgende politische Instrumente festgehalten:

  • Ausbildungsprogramme, finanzielle Sicherheit, niedrigere Schwellen für die Unterstützung kleiner landwirtschaftlicher Betriebe, gezielte Investitionsunterstützung und ein vereinfachter Zugang zu Land);

Neben agrar- und regionalpolitischen Maßnahmen ist es aber zentral, die vorherrschende negative Perspektive auf die Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Flächen und das Leben in Berggebieten zu überwinden. Das Bild der Berglandwirtschaft ist demnach aus der Defensive zu holen und den negativen Zuschreibungen von „Rückständigkeit“, „Benachteiligung“ und „Aufgabe“ zu entreißen. Um mögliche alternative Bewirtschaftungsformen und positive Leitbilder zu unterstützen, sind Beispiele innovativer Aktivitäten, die die Wertschätzung der charakteristischen Landschaft und deren Bedingungen hervorheben, sehr wichtig.

Thomas Dax, Ingrid Machold und Karin Schroll,
Bundesanstalt für Agrarwirtschaft und Bergbauernfragen, Wien

Anmerkung: Zuerst erschienen in “Wege für eine Bäuerliche Zukunft” Nr. 366, 1/2021; erweiterte Fassung

Literatur

Brouwer, F., van Rheenen, T., Dhillion, S.S. and Elgersma, A.M. (eds.) (2008) Sustainable Land Management, Strategies to Cope with the Marginalisation of Agriculture, Edward Elgar, Cheltenham, UK, Northampton, MA, USA, 252pp. (ISBN 978-1-84542-902-7).

EC (2009) Commission staff working document: “Peak performance: New insights into mountain farming in the European Union”, SEC(2009) 1724 final, Brussels.

MacDonald, D., Crabtree, J.R., Wiesinger, G., Dax, T., Stamou, N., Fleury, P., Gutierrez Lazpita J.and Gibon A. (2000) Agricultural abandonment in mountain areas of Europe: Environmental consequences and policy response, in: Journal of Environmental Management 59, p. 47-69.

Maréchal, A. (2018) A step change in policy to deliver more environmental and social benefits. Policy Brief, Final Conference 7 February, EU-project PEGASUS, Brussels.

Nigmann, T., Dax, T. and Hovorka, G. (2018) Applying a social-ecological approach to enhancing provision of public goods through agriculture and forestry activities across the European Union, in: Studies in Agricultural Economics 120(1), 1-7. https://doi.org/10.7896/j.1721

Schuh, B., Dax, T., Andronic, C., Derszniak-Noirjean, M., Gaupp-Berghausen, M., Hsiung, C.-H., Münch, A., Machold, M., Schroll, K. and Brkanovic, S. (2020) The challenge of land abandonment after 2020 and options for mitigating measures. Research for AGRI-Committee. European Parliament, Policy Department for Structural and Cohesion Policies, Directorate-General for Internal Policies, Brussels, 98pp. https://bit.ly/39ElcFJ


[1] vgl. MacDonald et al. 2000