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Schöne neue Gentechnik published on

Schöne neue Gentechnik

Massiver Deregulierungsversuch und alte Versprechen

Von Eva Gelinsky und Isabella Lang

 

Die Landwirtschaft steht mit der Klimakrise vor gewaltigen Herausforderungen. Viele Bäuerinnen und Bauern versuchen sich bereits an die veränderten Bedingungen anzupassen und arbeiten beispielsweise mit Erosionsschutzmaßnahmen (etwa Kleeuntersaaten im Mais) oder sie testen neue Kulturen, die besser mit Trockenheit umgehen können (z. B. Kichererbsen, Speiselupinen oder Hirse). Doch eine stärkere Diversifizierung ist arbeitsintensiver und für die Abnahme von Nischenkulturen müssen erst neue Vertriebs- und Vermarktungswege aufgebaut werden. Damit mehr Bäuerinnen und Bauern in ganz Europa vor allem «systemische», langfristig wirksame Klimaschutzmaßnahmen ausprobieren können und darin investieren, müssten sie sich für die Betriebe auszahlen. Statt wie bisher unqualifizierte Flächenprämien zu zahlen, was vor allem den großen, intensiv wirtschaftenden Betrieben zugutekommt, sollten daher alle Direktzahlungen etwa an wirksame Umwelt- und Tierschutzmaßnahmen gekoppelt werden, um Bäuerinnen und Bauern für entsprechende Leistungen verbindlich zu entlohnen.[1] Die aktuelle Reform der GAP (Gemeinsame Agrarpolitik der EU) zeigt jedoch: Es findet noch immer keine grundsätzliche Abkehr vom Dogma der Flächenprämien und der Exportorientierung statt.

Technologische Lösungen für strukturelle Probleme?

Eine Anpassung der Landwirtschaft an die Klimakrise soll, so versprechen es konservative Politiker*innen und Bauernvertreter*innen, auch ganz ohne grundlegenden Systemwechsel gelingen: mit Hilfe neuer Technologien. Neben der Digitalisierung und der Präzisionslandwirtschaft wird vor allem die neue Gentechnik als wichtiger Teil der Lösung propagiert. Mit Hilfe neuer Verfahren wie CRISPR/Cas soll endlich möglich sein, was bereits mit der ersten Generation der Gentechnik versprochen wurde: Es sollen sich Pflanzen entwickeln lassen, die besser mit Trockenheit zurechtkommen, die gesünder und widerstandsfähiger gegen Krankheiten und Schädlinge sind. Und all das sogar deutlich schneller als mit herkömmlichen Züchtungsmethoden. Nicht nur Bäuerinnen und Bauern sollen von diesen neuen Pflanzen profitieren, sondern auch die Konsument*innen und die Umwelt, da dies eine ressourcenschonende Produktion mit weniger Pestiziden ermöglicht. Damit werden die neuen Verfahren auch zum grundlegenden Baustein, um die Ziele des europäischen Green Deal (Farm-to-Fork-Strategie) zu erreichen.

Offene Fragen

Wie fundiert sind die Aussagen zum Nutzenpotential der Verfahren? An welchen Eigenschaften arbeiten die Unternehmen und wann ist mit marktreifen Pflanzen zu rechnen? Im kommerziellen Anbau sind global betrachtet erst drei Pflanzen, die mittels neuer Gentechnik entwickelt wurden: Das US-amerikanische Unternehmen Cibus vermarktet seit 2016 einen herbizidresistenten Raps. Das ebenfalls in den USA ansässige Unternehmen Calyxt vertreibt seit 2018 eine Sojasorte, deren Öl weniger der als gesundheitsschädlich geltenden Transfettsäuren enthält. Seit Frühjahr 2021 ist in Japan die erste mittels CRISPR/Cas entwickelte Pflanze auf dem Markt: In den Tomaten ist der Inhaltsstoff GABA (γ-Aminobuttersäure) um ein Vielfaches höher, als in Früchten aus herkömmlicher Züchtung. GABA kann die Übertragung bestimmter Reize im zentralen Nervensystem hemmen, weshalb dem Stoff eine blutdrucksenkende Wirkung zugesprochen wird. Tomaten als modernes Lifestyle-Produkt? Gleichzeitig erfüllt GABA verschiedene Funktionen in den Tomatenpflanzen: Beeinflusst werden unter anderem das Wachstum der Pflanzen, die Resistenz gegen Schädlinge und Pflanzenkrankheiten sowie weitere Stoffwechselfunktionen. Angesichts dieser vielfältigen Funktionen von GABA ist davon auszugehen, dass ein Eingriff ins Erbgut den Stoffwechsel der Tomaten auf verschiedenen Ebenen beeinflusst. Dies könnte auch zu ungewollten gesundheitlichen Auswirkungen beim Verzehr der Früchte führen. Zudem können die Pflanzen veränderte Reaktionen auf Umwelteinflüsse zeigen, was wiederum auch Einfluss auf die Inhaltsstoffe der Früchte und deren Verträglichkeit haben kann.[2]

Pflanzen, die dem Klimawandel trotzen?

Nicht nur Unternehmen wie Bayer behaupten, mit den neuen Verfahren ließen sich Pflanzen in kurzer Zeit so verändern, dass sie resistenter gegenüber Hitze, Trockenheit, Salzen im Boden und Krankheitserregern werden. Auch Michael Gohn, Geschäftsführer der Probstdorfer Saatzucht GmbH & Co KG, Saatgut Austria-Obmann und Vizepräsident der Europäischen Saatgutvereinigung (Euroseeds), betont, dass die neuen Gentechnik-Verfahren ein unverzichtbares Werkzeug seien, um die Landwirtschaft gegen die Klimakrise zu wappnen.[3] In der Pipeline der Unternehmen überwiegen bislang allerdings Pflanzen mit einem veränderten Fettsäure-, Protein- oder Stärkegehalt. Auch an herbizidresistenten Pflanzen wird, allen Forderungen nach einer Pestizidreduktion zum Trotz, weiterhin gearbeitet. Ein von Corteva[4] entwickelter Mais, der trockentolerant und ertragsstabil sein soll, befindet sich zwar seit 2016 in den USA im Freilandversuch. Ob und wann dieser Mais tatsächlich auf den Markt kommt, ist jedoch noch völlig offen. Mit einer Fülle an «klimaangepassten» Pflanzen ist auf absehbare Zeit also nicht zu rechnen. Vor allem, weil Eigenschaften wie Trockenheitstoleranz durch eine Vielzahl an Vorgängen in den Pflanzen und ihren Zellen reguliert werden, die mitunter noch gar nicht vollständig verstanden werden.[5] Und selbst wenn sich mit Hilfe der neuen Gentechnik irgendwann «klimasmarte» Superpflanzen entwickeln ließen: Würde sich damit die Anpassungsfähigkeit der Landwirtschaft an Wetterextreme tatsächlich verbessern lassen? Wären dafür nicht grundlegendere Änderungen der Bewirtschaftung sinnvoll und notwendig, die zuerst beim Boden ansetzen müssten?

Dass die neue Gentechnik das bestehende Agrarmodell wohl nur kosmetisch etwas «grüner» machen wird, lässt sich nicht nur aus der aktuellen Produktpipeline ableiten, sondern auch aus der Tatsache, dass Verfahren wie CRISPR/Cas eine regelrechte Patentierungswelle ausgelöst haben. Davon profitieren vor allem jene Großunternehmen, deren Geschäftsmodell auf der Nutzung geistiger Eigentumsrechte aufgebaut ist. CRISPR/Cas ist also kein «demokratisches» Verfahren für den Mittelstand, sondern vor allem ein gutes Geschäft für die Agrarindustrie.

Deregulierungsversuch in Europa

Spätestens seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs 2018 laufen massive Deregulierungsversuche mit dem Ziel, die neuen Verfahren wie CRISPR/Cas aus der bestehenden Gentechnik Verordnung auszunehmen. Damit könnten etwa die Kennzeichnungspflicht, sowie wissenschaftliche Risikoprüfungen einschließlich des Vorsorgeprinzips umgangen werden. Die Europäische Kommission muss dafür eine öffentliche Konsultation abhalten, welche im 2. Quartal 2022 startet. Zeitgleich dazu wird eine zivilgesellschaftliche Gegenbewegung Petitionen und Kampagnen starten. Denn was wir wirklich brauchen, ist die Beibehaltung, sowie die konsequente Anwendung des europäischen Rechtsrahmens für Gentechnik in seiner jetzigen Form. Damit sollen sowohl das Recht der Verbraucher*innen, zu wissen, was sie essen, als auch das Recht der Bauern und Bäuerinnen, zu wissen, was sie produzieren, sowie das Recht auf eine gentechnikfreie Landwirtschaft garantiert werden.

Eva Gelinsky und Isabella Lang arbeiten beide bei der IG Saatgut

Dieser Text ist zuerst in der Zeitschrift “Wege für eine Bäuerliche Zukunft” Nr. 371, 1/2022 erschienen

[1]      Um viele bäuerliche Betriebe und Strukturen zu erhalten, setzt sich die ÖBV u. a. für eine deutlich höhere Förderung der ersten Hektare ein: https://www.viacampesina.at/klima-und-biodiversitaet-einkommen-schuetzen-und-land-nachhaltig-nuetzen/ 

[2]      https://www.testbiotech.org/gentechnik-grenzen/crispr-tomaten/basistext

[3]      https://www.hagel.at/presseaussendungen/hagelversicherungs-webinar-die-pflanzenzuechtung-als-antwort-auf-den-klimawandel/

[4] Saatgut und Agrarchemieunternehmen, welches durch die Fusion von Dow und DuPont entstanden ist. Das Saatgut wird unter der Marke Pioneer vermarktet.

[5]      Kawall, K. 2021: Mit den neuen Gentechnikverfahren dem Klimawandel trotzen? In: Kritischer Agrarbericht 2021, S. 300 – 305. Und: https://www.gen-ethisches-netzwerk.de/anbau/genome-editing/255/klimatoleranz-komplex-und-unverstanden