In der Schweiz gibt es zu diesem wichtigen bäuerlichen Anliegen einen Durchbruch! Auch in Österreich tut sich was zu dem Thema. Aber geht es wirklich vorwärts im Sinne der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, im Sinne der regionalen Versorgung und im Sinne von Ernährungssouveränität?
Artikel aus “Wege für eine Bäuerliche Zukunft” Nr. 363+364, 3-4/2020
Von Monika Thuswald
„Wir möchten Tiere, die wir auf unseren Höfen großziehen, auch in deren gewohntem Lebensumfeld stressfrei schlachten dürfen!“ – so steht es seit Jahren im Folder der ÖBV-Arbeitsgruppe zur Stressfreien Schlachtung.[1] Seit 1. Juli 2020 ist in der Schweiz eine neue Verordnung zur Schlachtung in Kraft, welche die „Hoftötung zur Fleischgewinnung“ und die „Weidetötung zur Fleischgewinnung“ „im Herkunftsbestand“ erlaubt.[2] Schlachtvieh kann nun am Haltebetrieb betäubt und entblutet werden und muss erst im Anschluss zu einem Zerlegeraum verbracht werden. So müssen z.B. Rinder vor ihrem Tod nicht von der Herde getrennt werden und werden von der Betäubung im gewohnten Lebensumfeld überrascht, was ihnen viel Stress erspart. Diese neue Gesetzgebung ist eine bahnbrechende Entwicklung und sollte der EU als Vorbild dienen.
Rechtslage in Österreich
Das österreichische Gesundheitsministerium veröffentlichte im März 2019 einen Erlass zu den „Anforderungen an eine teilmobile Schlachtanlage als Erweiterung einer bereits bestehenden Zulassung als Schlachtbetrieb“. Somit ist klargestellt, dass die teilmobile Schlachtung in Österreich genehmigungsfähig ist. Allerdings sind die Auflagen dafür hoch. Das dazugehörige Merkblatt fordert, dass die Entblutung „ausschließlich im zugelassenen (mobilen) Teil der Schlachtanlage stattzufinden“ hat und „keinesfalls unter freiem Himmel“. Das bedeutet derzeit in der Praxis, dass sich interessierte Schlachtbetriebe, auch die kleine bäuerliche, einen teuren, speziell ausgerüsteten Anhänger (oder LKW) kaufen müssen.
Das Anhängermodell, das aktuell schon auf der Koralm benutzt wird, kostet in etwa 30.000 Euro. Diese Summe ist schwer wieder hereinzuwirtschaften, selbst wenn ein Teil der Kosten durch Förderungen abgedeckt würde. Weiters bedeutet diese Auflage in der Praxis, dass innerhalb von 60 Sekunden nach der Betäubung des Tieres (in dessen gewohntem Umfeld, z.B. im Auslauf) der Entblutungsschnitt (auf dem Anhänger) durchgeführt werden muss. Die Verladung des betäubten Tieres in dieser kurzen Zeit ist zwar möglich, aber für die beteiligten Menschen potentiell stressig. Darüber hinaus kann die Person, welche den Entblutungsschnitt durchführt, auf einem engen Anhänger weniger gut den Zuckungen des Tieres ausweichen – eine Gefahrenquelle.
Wie anders sieht das am Biohof Dutsch in den Bündner Bergen in der Schweiz aus: Das Tier wird im Auslauf in einem speziell präparierten Fressgatter fixiert und neben dem Rest der Herde mittels Bolzenschuss betäubt. Unmittelbar danach fährt der Traktor mit Frontlader heran, das Tier wird vor Ort an den Hinterbeinen hochgezogen und der Entblutungsschnitt durchgeführt. Das Blut wird in einer Wanne aufgefangen. Anschließend wird das Tier auf einen Anhänger verladen, das Blut in einer kleinen Tonne dazu gestellt und beides zum Zerlegeraum verbracht.[3]
In Österreich gibt es selbst mit teurem Spezial-Anhänger weitere Probleme: Es ist unklar, ob mit einem Anhänger mehrere verschiedene Schlachträume angefahren werden können. Die gemeinsame Nutzung des „mobilen Teils einer Schlachtanlage“ durch mehrere Schlachtraumbetreiber*innen würde jedoch die Finanzierung eines solchen Anhängers erleichtern. Weiters schreibt das Merkblatt vor, dass die Betäubung und Entblutung im mobilen Teil der Schlachtanlage nur in Anwesenheit eines amtlichen Tierarztes durchgeführt werden darf. Dies erweist sich in der Praxis einerseits als kostspielig, andererseits als organisatorisch sehr aufwändig und die Stressfreiheit potentiell beeinträchtigend. In der Schweiz ist hingegen gesetzlich definiert, dass der/die amtliche Tierarzt/ärztin bei der Hoftötung stichprobenweise anwesend ist.
Die ÖBV ist mit betreffenden Behörden im Gespräch, damit die derzeitigen Auflagen überarbeitet werden. Zumindest bei den letztgenannten beiden Problemen besteht Hoffnung, dass die Behörden hier praktikablere Regelungen suchen und finden. Die Auflage, dass das Entbluten „im mobilen Teil der Schlachtanlage“ stattfinden muss, ist sehr viel schwieriger zu verändern.
Marketing-Gag der Großen?
In Oberösterreich wurde im Juni 2018 nach einem Antrag der Grünen im Landtag von Agrarlandesrat Hiegelsberger mit viel Medienrummel ein erstes Pilotprojekt angekündigt und Auflagen dafür definiert. Es dauerte jedoch lange, bis sich ein Schlachtbetrieb fand, der tatsächlich ein Pilotprojekt umsetzen wollte und konnte. Mehrere interessierte Bäuer*innen mit hofeigenem Schlachtraum gaben auf, weil der mobile Teil der Schlachtanlage mit gegebenen Auflagen für sie nicht finanzierbar gewesen wäre. Schließlich hat der Schlachtbetrieb Neugschwandtner, der pro Woche 180 Rinder schlachtet, einen entsprechenden LKW erworben. Ein so großer Betrieb kann sich das leisten. Welchen Anteil seiner Schlachtungen er teilmobil durchführt und wieviel Marketing er damit für den ganzen Betrieb macht ist eine andere Frage. – Es ist zu befürchten, dass darüber hinaus auch finanzkräftige Großunternehmer*innen Gefallen an dem Thema finden und sich mit vollmobiler oder teilmobiler Schlachtung ein Tierwohl-Mäntelchen umhängen. Im schlimmsten Fall finden wir demnächst im Supermarkt das neue Label „stressfrei geschlachtet“, während Kleinbäuer*innen ihr Anliegen immer noch nicht finanzierbar in rechtlich gesichertem Rahmen umsetzen können.
Die ÖBV-Schlachtgruppe beobachtet diese Entwicklungen mit großer Sorge und pocht daher umso mehr auf einfache Möglichkeiten für die stressfreie Schlachtung im gewohnten Lebensumfeld. Wir sind überzeugt: Die Schweiz zeigt es vor und auch Fachleute bestreiten es nicht, dass es für das hygienisch einwandfreie Entbluten keinen aufwändigen Spezialanhänger braucht. Derzeit sieht es allerdings danach aus, als müsste für dieses Anliegen in Brüssel Druck gemacht werden, und zwar bei der EU-Kommission, genauer bei der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (kurz: DG SANTE). Das österreichische Gesundheitsministerium sieht seine Spielräume innerhalb des EU-Rechtes als ausgeschöpft an.
Großes Potential kleiner Schlachträume
Österreich verfügt im EU-Vergleich über ein sehr dichtes Netz an zertifizierten kleinen Schlachträumen. Hierzulande gibt es derzeit 3.106 „Hufschlachtbetriebe“, also zugelassene Schlachträume, in denen u.a. Rinder geschlachtet werden dürfen. In 2.143 Betrieben (= 69 %) davon werden bis zu 20 GVE/Jahr geschlachtet, in 676 Betrieben zwischen 20 – 100 GVE/Jahr. Nur 2 % der Betriebe schlachten mehr als 1.000 GVE/Jahr.[4] Diese vielen kleinen Schlachthöfe stellen eine große Ressource und Chance für die regionale Versorgung dar. Doch nun gilt es, diese Schlachträume auch zu erhalten und zu nutzen.
Sinnvolle Maßnahmen setzen!
Der politische Wille dazu ist laut Regierungsprogramm 2020-2024 da. Unter der Überschrift „Die hohen Tierschutz- und Lebensmittelstandards schützen“ nimmt sich die Regierung u.a. vor: „Regionale und mobile Schlachthöfe und Weideschlachtung fördern und ermöglichen, um die Anzahl von Tiertransporten zu reduzieren“. „Regionale Schlachthöfe fördern“ bedeutet zunächst einmal, bestehende Schlachträume sinnvoll zu nutzen und zu erhalten. Die „teilmobile Schlachtung“ braucht einerseits ein dichtes Netz an Schlachträumen, da die Zeitdauer zwischen Betäubung (am Haltebetrieb) und der Entweidung (im stationären Schlachtraum) maximal eine Stunde betragen darf. Umgekehrt ist die teilmobile Schlachtung auch eine Chance, dass die kleinen Schlachträume wieder vermehrt genutzt werden. (Voll)mobile Schlachthöfe (das heißt, voll ausgestattete fahrende Schlachthöfe auf großen LKWs) sind aus unserer Sicht für ein bergiges Land mit kleinstrukturierter Landwirtschaft, für kleine Herden und für direktvermarktende Betriebe nicht sinnvoll und jedenfalls für Klein- und Bergbäuer*innen irrelevant bis problematisch, da sie den lokalen, bestehenden Schlachträumen Konkurrenz machen würden.
Die österreichische Regierung ist hier nun gefragt, konkrete, wirkungsvolle und sinnvolle Maßnahmen zu setzen![5] Damit es tatsächlich eine Entwicklung gibt, die den Bäuerinnen und Bauern, den kleinen Höfen, dem Tierwohl, der regionalen Versorgung und der Ernährungssouveränität dient, wird es auch Druck, Mut und Expertise aus der Zivilbevölkerung, von Esser*innen und Wähler*innen, von Bäuer*innen und Wissenschafter*innen brauchen – in Österreich und auf EU-Ebene!
Monika Thuswald ist Bildungsreferentin bei der ÖBV und darf in der AG Stressfreie Schlachtung viel von den engagierten ÖBV-Bäuer*innen lernen.
Glossar: Teilmobile Schlachtung: Das Tier wird am Haltebetrieb betäubt und muss laut österr. Erlass in einem mobilen Teil einer Schlachtanlage (z.B. Anhänger) entblutet werden und wird anschließend zu einem stationären Schlachtraum verbracht und dort aus der Decke geschlagen und ausgenommen. Mobiler Schlachthof: ist ein voll ausgestatteter Schlachthof auf Rädern (z.B. in großem LKW). Eingesetzt werden solche aktuell z.B. für Rentierherden in Schweden. Weideschlachtung: wird meist mit Betäubung durch Kugelschuss assoziiert. In der Schweizer Verordnung meint „Weidetötung“ genau das. In Österreich wird dieses Betäubungsverfahren bisher nicht zugelassen. Stressfreie Schlachtung im gewohnten Lebensumfeld der Nutztiere: Den Begriff haben ÖBV-Bäuer*innen geprägt um ihr Anliegen zu beschreiben, dass Nutztiere dort wo sie leben (im Stall, im Auslauf, auf der Weide), in ihrer Herde, für sie überraschend, betäubt und entblutet werden dürfen. Hofschlachtung: ist ein allgemeiner Begriff für Schlachtungen auf der Hofstatt. In der Schweiz ist unter dem Namen „Hoftötung zur Fleischgewinnung“ eine vorbildliche Gesetzgebung für teilmobile Schlachtungen geschaffen worden. |
[1] www.viacampesina.at/inhalte/stressfreie-schlachtung/
[2] 817.190 Verordnung über das Schlachten und die Fleischkontrolle (VSFK) – Schweiz
[3] www.youtube.com/watch?v=Iis3zX88tBg
[4] 195 Betriebe schlachten 100 – 500 GVE/Jahre, 26 Betriebe 500 – 1000 GVE/Jahr, 24 Betriebe 1.000 – 5.000 GVE, 23 Betriebe 5.000 bis 20.000 GVE und 19 Betriebe mehr 20.000 GVE/Jahr.
[5] Neos, Grüne und ÖVP haben im September im Nationalrat mit einem Entschließungsantrag betreffend die Förderung und Ermöglichung von regionalen und (teil-)mobilen Schlachthöfen einen nächsten Schritt getan. Ergänzung: Am 25.3.2021 wurde Antrag im Nationalrat beschlossen, siehe ÖBV-Presseaussendung vom 25.3.2021: “Stressfreie teilmobile Schlachtung: Jetzt Kleinbetriebe und Vor-Ort-Versorgung für alle stärken!”
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Bildquelle: Kienzer, stressfrei.st