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Wem gehören Wald und Weide? published on

Wem gehören Wald und Weide?

Einforstungsrechte als Konfliktfeld über den rechtmäßigen Zugang zu Land. Teil 2/2

Von Lisa Francesca Rail

Zwei Interessen auf einer Fläche?
„Wenn zwei Personen mit divergierenden Interessen auf ein und derselben Grundfläche wirtschaften, so sind Interessenskonflikte vorprogrammiert.“[1], heißt es in der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Österreichischen Einforstungsverbandes (EV) – der Interessensvertretung der sogenannten „Eingeforsteten“. Zwei Interessen auf einer Grundfläche? Wie funktioniert das? Wie kam es dazu?

Einforstungsrechte sind eine juristische Besonderheit: Sie sind Wald- und Weidenutzungsrechte auf dem Grund anderer Parteien, sind aber keine privatrechtlichen Servitute. Sie können also nicht ersessen werden oder verjähren. Sie werden nicht neu vergeben, sondern gehen zurück auf Urkunden über Nutzungsansprüche, die zwischen 1853 und 1889 ausgestellt wurden. Heute gibt es etwa 38.000 eingeforstete Liegenschaften[2] und ca. 7 % der österreichischen Staatsfläche tragen derzeit Einforstungsrechte, die Brenn- und Nutzholzbezüge, Heim- und Almweiderechte umfassen. Diese Fläche gehört zu knapp 80 % den Österreichischen Bundesforsten (ÖBf). Der Rest teilt sich in privaten Grundbesitz (11 %), Gemeindewälder (7 %) und kirchlichen Besitz (3 %) auf.[3] Überall dort stehen sich Berechtigte und Verpflichtete gegenüber – wobei die grundbesitzenden Parteien sich selbst oft nicht als „Verpflichtete“, sondern als „Belastete“ bezeichnen.

Allmende vs. Obereigentum
Die Entstehung dieser Rechtsform ist im größeren Kontext der geschichtlichen Entwicklung von Gemeinschaftsgütern an Wald und Weide in Österreich zu sehen – und der führt uns direkt zum strukturellen, und weit zurück reichenden Konflikt um den rechtmäßigen Zugang zu und Eigentum an Land. Heutige Gemeinschaftsgüter in Österreich – sei es in Form von Gemeindegrund, von Agrargemeinschaften, oder eben von Einforstungsrechten – lassen sich auf den Interessens- und Machtkonflikt zwischen feudaler Grundherrschaft und der bäuerlichen Bevölkerung zurückverfolgen.

Der Beginn dieser Geschichtsschreibung ist dünn: Es wird seitens der Berechtigten und der Verpflichteten von der Besiedlung durch germanische Stämme erzählt, die kein Privateigentum an Land nach römischem Recht kannten. Alles nicht selbst urbargemachte Land soll gemeinschaftlich als Allmende genutzt worden sein.[4] Im Verlauf des Mittelalters kam es dann zur Erstarkung landesfürstlicher Macht und damit verbunden zum Anspruch von geistigen und weltlichen Herrschenden am Obereigentum über ihre Ländereien. Gemeinschaftsnutzung durch die ländliche Bevölkerung wurden weiterhin erlaubt, aber über die Jahrhunderte zunehmend eingeschränkt, weil nicht nur die Ansprüche der wachsenden Bevölkerung selbst, sondern auch das landesfürstliche Interesse an Wald und Holz für den Bergbau, aber auch für die Jagd, anstiegen. Diese Periode und der sich zuspitzende Interessenskonflikt ist anhand von Wald- und Bergordnungen gut nachvollziehbar.[5]

In den Bauernkriegen des 16. Jahrhunderts spielte dieses Ringen um Wald- und Weideland eine wichtige Rolle und verschiedene Versuche, bäuerliche Nutzungsrechte in den Teilen des Habsburgerreiches rechtlich zu regeln, halfen bis ins 19. Jahrhundert nicht, wiederkehrende Streitigkeiten beizulegen.[6]

1848: Die Zäsur der Grundentlastung
Einen wesentlichen Einschnitt in die Geschichte der Wald- und Weidenutzung und in das Verhältnis zwischen Grund- und Landesherren und der ländlichen Bevölkerung allgemein brachte die Grundentlastung von 1848. Das revolutionäre Grundentlastungspatent ordnete die komplette Befreiung des Grundbesitzes von Dienstbarkeiten und Abhängigkeitsverhältnissen zwischen Obrigkeiten und Untertanen an – und damit die persönliche Freiheit der Bäuerinnen und Bauern. Auch Wald- und Weiderechte sollten ursprünglich in Form von übertragenem Eigentum an Grund und Boden, oder in Form von Geld an die Berechtigten abgetreten werden. Die Übertragungen, sogenannte Ablösungen, konnten an einzelne Liegenschaften, oder an Gemeinschaften erfolgen, also an Gemeinden oder bäuerliche Körperschaften. Daraus ergaben sich u.a.[8] heutige Landbesitze von Gemeinden oder Agrargemeinschaften.

Wenn alle Wald- und Weidenutzungsrechte mit der Grundentlastung abgelöst werden sollten, warum gibt es dann heute weiterhin Einforstungsrechte? Die Antwort ist mehrschichtig. Gerade in den alpinen Regionen stellte sich die Ablösung als schwierig dar, weil Höfe auf verschiedenste Nutzungen angewiesen waren (z.B. sowohl auf Brenn- als auch auf Bau- und Streuholz) und eine Abfindung in Geld oder in kleinen Parzellen den Bedarf praktisch nicht hätte decken können. So wurde 1853 ein weiteres kaiserliches Patent verabschiedet, nach dem Nutzungsrechte auch reguliert, also zwischen den Parteien ausgehandelt und verbrieft werden konnten. Einerseits war dies wohl der Landwirtschaftsstruktur angemessen. Andererseits war 1853 die revolutionäre Bewegung von 1848 wieder durch eine absolutistische Herrschaftsordnung abgelöst und dementsprechend die revolutionären Ansprüche der Regierung zurückgedrängt worden.[9] Die Rahmenbedingungen zur Ablösung und Regulierung von Wald- und Weiderechten ab 1853 waren durchaus mehr zu Gunsten der Grundherren ausgelegt.[10] Alle Nutzungsrechte, über die Berechtigte und Verpflichtete keine Einigung zur Ablösung finden konnten, wurden bis 1889 im ganzen Habsburgerreich reguliert. Diese akribisch dokumentierten und behördlich abgesegneten Nutzungsrechte sind die heute bestehenden Einforstungsrechte.

Fazit aus der Geschichte
Inwieweit germanische Siedler*innen kein Privateigentum kannten, sei dahingestellt. Ich finde, dass das schwer belegbar ist, und dass es auch nicht unbedingt der springende Punkt ist. Denn der über Jahrhunderte währende Konflikt zwischen bäuerlicher Gesellschaft und Obereigentum ist demgegenüber hingegen umso klarer. Wenn heute die ÖBf und der EV immer noch darüber streiten, ob das Land ursprünglich den Bauern selbst, oder den Grundherren gehört hat (siehe Teil 1) – oder ob die Grundbesitzer*innen sich als „verpflichtet“ oder „belastet“ bezeichnen, dann sieht man, dass der Konflikt um legitimen Landbesitz und -zugang in der Gegenwart nicht abgeschlossen ist.

Und heute?
Über 170 Jahre nach der Grundentlastung ist das Verhältnis zwischen Nutzungsberechtigten und Grundbesitzer*innen freilich ein anderes als gegenüber feudalen Landes- und Grundherren. Auch wenn die Berechtigten die ÖBf gerne noch „Ärar“ nennen. Die Machtverhältnisse zwischen verpflichteten, also besitzenden, und berechtigten Parteien entspinnen sich heute um andere Themen:  Meiner Einschätzung nach besonders um die Frage der Gestaltungsmacht über die Ausübung von Einforstungsrechten. Das zeigt sich etwa in der Nutzung von Almweiderechten.

Regulierungsurkunden, die die Rechte jeder berechtigten Liegenschaft beschreiben, sind einerseits rechtlich sehr stabil und beständig. Allerdings sind sie auch schwerfällig und machen es Berechtigten nicht leicht, auf Klima- und Strukturwandel zu reagieren. Die zwischen 1853 und 1889 verbrieften Nutzungen sind nach den damaligen Futtererträgen, damaligem Futterbedürfnis der Nutztiere, damaliger Hofgröße und Einkommensstruktur, etc. erhoben worden. Da passen die Rechte schnell einmal nicht mehr mit derzeitiger Betriebsführung zusammen. Sei es, weil eine Almgemeinschaft Hirtenpersonal einstellen möchte (weil im Nebenerwerb selbst keine Zeit zur Nachschau ist), aber kein Hüttenrecht dafür hat. Sei es, weil man auf Mutterkuhhaltung umstellten musste, weil die Molkerei nur mehr mit Aufpreis Milch abgeholt hätte, und nun die Grasrechte nicht mehr zum Heimbetrieb passen. Sei es, weil man es mit Alpakas probieren möchte, für die 1860 kein Auftriebsrecht denkbar war…

Einforstungsrechte lassen sich neu regulieren, aber das ist ein aufwändiger Prozess und die Grundbesitzer*innen haben immer ein Wörtchen mitzureden, und sitzen schlussendlich oft am längeren Hebel. Ja, es gibt Entgegenkommen seitens der ÖBf[11]. Beispielsweise können Alpungszeiten mittlerweile an klimatische Veränderungen angepasst werden. Aber gleichzeitig hat die Unterstützung zur ökonomischen Erhaltbarkeit der Weiderechtsnutzung immer Grenzen – denn es ist auch das forstwirtschaftliche (und jagdliche) Interesse der Verpflichteten, Einforstungsrechte abzulösen, wenn der Bedarf für diese nicht mehr gegeben ist. Und wenn ein Hof zusperrt, weil es sich nicht mehr lohnt, dann gibt es auch keinen Weiderechtsbedarf mehr.

Dies ist ein fortlaufender Prozess: Einforstungsalmen verlieren Auftreibende. Einforstungsrechte werden abgelöst – und ist ein Recht erst abgelöst, ist es für immer erloschen. Dann werden Almen wirklich wieder zu Wald. Die Absicherung des alten Zugangs zu gemeinschaftlichem Land ist aufgelöst, und damit die Chance, diese Gemeinschaftsgüter in Zukunft wieder für kollektive Berglandwirtschaft zu nutzen.

Gleichzeitig hat sogar die rechtliche Absicherung der Einforstungsrechte kürzlich an Beständigkeit verloren. Bis vor Kurzem war die grundlegende Handhabung der Einforstungsrechte im sogenannten „Wald- und Weidenutzungsrechte-Grundsatzgesetz“ auf Bundesebene festgelegt, während nur Ausführungs- und Vollzugsgesetze bei den Ländern lagen. Unter der schwarz-blauen Regierung 2018 veranlasst, trat dieses Grundsatzgesetz 2020 allerdings außer Kraft. Seitdem liegt die Kompetenz der Einforstungsrechte gänzlich auf Landesebene.

Interessanterweise gab es auf den Gesetzesvorschlag hin heftigen – aber verklingenden – Einspruch sowohl von der Vertretung der Berechtigten, als auch von der der Grundbesitzer*innen. Beide Seiten sehen die Gefahr von mehr Verhandlungsaufwand, sollten die Landesgesetze zunehmend auseinanderdriften, und auch von abnehmender Gleichbehandlung der Berechtigten im österreichweiten Vergleich. Beide Seiten sagen, dass ihnen die Motivation hinter der Abschaffung des Grundsatzgesetzes schleierhaft sei. Was die Folgen für die Eingeforsteten und für die Wald und Weiderechte sein werden, wird sich wohl erst mit der Zeit zeigen.

Lisa Francesca Rail ist Kultur- und Sozialanthropologin und forscht zu Commons in der Almwirtschaft

Dieser zweite Teil wurde zuerst in der Ausgabe Nr. 374 der Zeitschrift “Wege für eine Bäuerliche Zukunft” (4/2022) veröffentlicht. Der erste Teil ist hier zu finden. Die Zeitschrift kann hier abonniert werden.

[1] Verband der Einforstungsgenossenschaften, Hrsg. 50 Jahre Einforstungsverband. 1996: S. 11.

[2] Information des Einforstungsverbands (EV)

[3] https://www.einforstungsverband.at/einforstungsrechte/zahlen-und-fakten/

[4] Holzer, Gottfried. 2013. Einforstungsrechte und Eigentumsschutz. In: Agrarrecht. Jahrbuch 13. Norer, Roland und Gottfried Holzer, Hg. 169-187. Neuer Wissenschaftlicher Verlag: Graz & Wien; EV, Hg. 1996: S. 8.; Interviews mit Vertreter*innen von ÖBf und Einforstungsberechtigten

[5] Bauer. 1925. Der Kampf um Wald und Weide. Agrarpolitische Bücherei. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung: S. 26ff.; Schiff. 1899. Die Regulierung und Ablösung der Wald- und Weide-Servituten: S. 1ff.

[6] Schiff. 1899: S. 2-10.

[8] Gemeinde- und Agrargemeinschaftsbesitz ist auch auf anderen Wegen zustande gekommen, aber das ist eine Geschichte für einen anderen Artikel.

[9] Schiff. 1899. S. 30-33.

[10] Schiff. 1899. S. 29, 45.

[11] Bei anderen Grundbesitzer*innen ist laut Vertreter*innen des EV selbst diese oft nicht gegeben.