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„Wer soll denn dann unser Getreide säen?“ published on

„Wer soll denn dann unser Getreide säen?“

Diese Frage war rhetorisch gemeint. Gestellt wurde sie vor Jahren in einem „Club 2“, der inzwischen eingestellten nächtlichen Talkshow des ORF.


Inhalt der Diskussion war der freie Hochschulzugang. Wenig überraschend war die Vorsitzende der Österreichischen Hochschülerschaft sehr für diese Errungenschaft, der Vertreter der Industriellenvereinigung hätte hohe Studiengebühren lieber sofort eingeführt. Es können halt nicht alle studieren, und sollen es auch nicht. Wo kämen wir da hin! Bis ihm die eingangs zitierte Frage entfuhr: „Wer soll denn dann unser Getreide säen?“

Ich verstehe seine Sorge. Tatsächlich hat es jahrzehnte- wenn nicht jahrhundertelang funktioniert, dass Bäuerinnen und Bauern ihr Brot hart erarbeitet haben. Es ist so ziemlich das Anstrengendste und am wenigsten Wünschenswerte: Dass Menschen so gar keine andere Perspektive haben, als am Beginn der Lebensmittelkette zu stehen und für alle anderen körperlich arbeiten müssen. Wehe, wenn sie das selbst erkennen! Womöglich würden sie dann die Produkte ihrer Arbeit nicht mehr so billig hergeben! Wo würde denn die arme Industrie dann ihre Rohstoffe hernehmen!

„Unser Getreide“. Was Bäuerinnen und Bauern produzieren, gehört ihnen nicht. Sie machen nur die Arbeit für alle anderen Mitglieder der Gesellschaft die essen müssen. Manchmal denke ich auch, dass es vielleicht besser wäre, der Staat würde landwirtschaftliche Flächen enteignen und Menschen anstellen, diese zu bewirtschaften. Für viele Bäuerinnen und Bauern wäre das eine immense Steigerung der Lebensqualität: Feiertagszulage, Nachtarbeitsstunden, Urlaub, Schwerarbeiterzulage, Krankenstand (ein Traum für uns!) und was weiß ich noch alles. Menschen sind bereit, sich selbst auszubeuten, wenn sie der Meinung sind, dass sie das für ihren Besitz tun. Wenn das nicht so wäre, gäbe es noch viel weniger kleine landwirtschaftliche Betriebe als jetzt. Da bin ich mir sicher. Sobald wir auf unseren Höfen Staatsbedienstete sind, kann der Vertreter der Industriellenvereinigung sagen, das sei „unser Getreide“.
Ich habe den Verdacht, dass „die Wirtschaft“ deshalb viele, viele möglichst wenig gebildete Menschen braucht, damit sich diese nicht allzu viele Gedanken darüber machen, was eigentlich mit ihnen gespielt wird. Das ist also kein spezifisches Bäuerinnen-Problem. Dass dem Herrn zur gefürchteten Hochschul-Bildung für alle aber ausgerechnet das Getreide eingefallen ist, halte ich doch für bemerkenswert.

Natürlich ist das Jammern auf hohem Niveau.
Das Recht auf Bildung hat global gesehen eine große Bedeutung für Frauen am Land. Nur wer lesen kann, kann sich zum Beispiel in einem Krankenhaus zurechtfinden. Nur wenn eine Bäuerin Zahlen kennt und rechnen kann, weiß sie, wie viel ihre Waren auf einem Markt wert sind und ob sie auch den richtigen Betrag von ihren KundInnen bekommt.
Für den sprichwörtlichen „Blick über den Gartlzaun“ ist Bildung unerlässlich, auf jedem Flecken dieser Erde. Sie gibt erst die nötige Selbstsicherheit, den Blick zu heben und neue Wege statt der eingefahrenen zu versuchen.

von Judith Moser-Hofstadler (Biobäuerin im Mühlviertel)