Skip to content
Wirtschaften für ein Gutes Leben published on

Wirtschaften für ein Gutes Leben

Wir trafen uns im November zum ÖBV-Seminar „Wirtschaften für ein gutes Leben“ in St. Pölten. Der folgende Text gibt einen Einblick in die gemeinsame Diskussion.

Die Überlegungen sind noch in Entwicklung und die Formulierungen vorläufig – wir wollen den Text jedoch in Richtung eines Bäuerinnen-Manifestes weiterentwickeln. Auf dem Weg dorthin freuen wir uns über eure Diskussionsbeiträge und Kommentare. Alle Bäuerinnen, die sich von dem Text angesprochen fühlen, laden wir sehr herzlich zum nächsten Frauenarbeitskreis-Treffen am 19. Jan ein. Dort wollen wir uns weiter zu dem Thema austauschen.

Wer sind wir und was tun wir?
Wir Bäuerinnen wirtschaften auf unseren (kleinen) Höfen im Sinne eines Guten Lebens für alle! Wir bearbeiten den Boden, säen, jäten, ernten, mähen, sammeln, füttern, melken, misten aus, verarbeiten, lagern ein, kochen, putzen, waschen, pflegen, transportieren, besorgen, verteilen und vieles mehr. Wir sorgen für Tiere und Pflanzen. Unsere Arbeit ist eingebunden in natürliche Kreisläufe und wir haben Respekt vor Mutter Erde. So tragen wir bei zu gutem Boden, gutem Wasser, guter Luft und schöner Landschaft. Wir erzeugen gutes, nahrhaftes Essen für die Menschen am Hof, für die Menschen in der Region und darüber hinaus. Wir kümmern uns um Mitmenschen, die uns brauchen, um die Familie, um Kinder, Junge und Alte. Wir bringen uns auch außerhalb unserer Höfe ein, im Dorf, in Vereinen und Gruppen. Wir nehmen uns die Freiheit, mütterlich zu sein. Mit all diesem Tun tragen wir – im Austausch mit anderen – wesentlich zum guten Leben für alle bei.
Wir verfügen über viel Erfahrungswissen, Fähigkeiten und Erfahrungen für und über dieses sorgende Tun. Wir pflegen Hochachtung vor unseren Müttern und anderen Menschen, von denen wir vieles gelernt haben. Wir setzen unser Können ein zum Wohl der Mitmenschen und der Mitgeschöpfe. Gleichzeitig stehen wir zu all dem, was an unserem Tun noch nicht unseren Träumen und Visionen entspricht.
Wir sind gerne Bäuerinnen. Wir sind gerne auf diese Art in der Welt tätig. Wir tun es für uns und wir tun es für eine friedvolle Gesellschaft.

Was bedeutet „Gutes Leben“ für uns?
Gutes Leben ist für uns nicht ein genormtes Modell, sondern es schaut auf jedem Hof, an jedem Ort, für jeden Menschen anders aus. Gutes Leben bedeutet gut essen, trinken, tanzen, gut schlafen, arbeiten können, Spiritualität leben, lieben und geliebt werden, hören können, sich ausdrücken  können, gehen  können. Gut zu leben bedeutet für uns weiters Zeit zum Träumen und Zeit um Träume umzusetzen, durchzusetzen, mit anderen, aber auch allein. Gut zu leben bedeutet ruhen zu können und aktiv sein zu können, bedeutet sesshaft sein zu können und vor Ort ein erfülltes Leben zu gestalten sowie auch fortfahren zu können, um den Horizont zu erweitern. Gutes Leben bedeutet für uns Ideen austauschen, sich vernetzen, neugierig und weltoffen sein, mit Lust und Humor  leben.
Beim guten Leben geht es nicht darum, mehr von etwas zu haben. Wir Bäuerinnen arbeiten, handeln und leben nicht nach dem größenwachstumsökonomischen Strom, denn ein Bauernhof fügt sich nicht der größenwachstumsökonomischen Logik.
Gut zu leben bedeutet auch selbstbestimmt zu leben. Wir denken selber, anstatt (Beratungs-)Trends zu folgen. Wir entscheiden selber, was für uns und die uns Anvertrauten gut ist. Gut zu leben bedeutet, sich ausreichend Zeit nehmen zu können für uns selber, für Kinder, Partner*innen, Freund*innen, Pflegebedürftige und andere. Gutes Leben bedeutet, besondere Anlässe zu feiern und dafür die Arbeit auch einmal ruhen zu lassen.
Was braucht es für ein Gutes Leben für alle?
Alle Menschen auf der Welt sollen ein gutes Leben haben können. Niemand darf davon ausgeschlossen werden. Es braucht mehr Raum, mehr Zeit, mehr Gewicht, mehr Wertschätzung für das Gute Leben, für das Buenvivir, für die Subsistenz, für das Notwendige, für Leibliches, Spirituelles, Soziales, Kulturelles, Emotionales, Sinnliches. Wir treten ein für liebevolle Beziehungen zu anderen Menschen, zu Tieren, Pflanzen, zum Wasser und besonders zu Mutter Erde. Die Wirtschaft und die gesamte Gesellschaft brauchen mehr Mütterlichkeit, Bäuerlichkeit, Menschlichkeit. So schaffen wir eine Basis für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung.

Was behindert das Gute Leben?
Die herrschenden Rahmenbedingungen beschränken uns Bäuerinnen und behindern die Entfaltung des guten Lebens für alle! Wir sind tätig für ein Gutes Leben für alle, trotz  widriger Bedingungen: trotz zerstörerischer Wachstumsökonomie, trotz Patriarchat, trotz bäuerinnenfeindlicher Gesetze – trotz des Wirkens von (Agrar)Politiker*innen, Verbänden, Konzernen etc., die all das fördern.
Praxisferne Kontrollen, Vorschriften und Bürokratieschränken schränken uns ein in unserem Bemühen um ein sinnvolles Wirtschaften. Durch Schulden verlieren wir unsere Unabhängigkeit. Das landwirtschaftliche Ausbildungssystem und die landwirtschaftliche Beratung fördern überwiegend die patriarchale Wachstumsideologie.

Was brauchen wir ganz konkret, damit wir unser Tun für ein gutes Leben fortsetzen können?
Die Unterschiede zwischen unserem sorgenden Tun und anderen Formen der Landwirtschaft müssen benannt werden. Gleichzeitig braucht es Respekt vor der Vielfalt von Menschen und Lebensentwürfen. Wir brauchen Nachbar*innen, auf die wir zugehen, mit denen wir uns auseinandersetzen, mit denen wir uns wechselseitig unterstützen können.
Im Umgang mit widrigen Rahmenbedingungen brauchen wir juristischen Beistand.
Es braucht neue Formen der Ausbildung und Beratung, die uns beim Wirtschaften in Verbindungen mit der Natur unterstützen.
Wir möchten auf unseren Höfen auch abkömmlich sein, wir brauchen zeitliche Freiräume für Muße, für Freundschaften, für Beziehungen, für politische Arbeit, für Vernetzung, Austausch, Fortbildung. Eine Grundlage dafür ist, dass wir nicht alleine für die Sorgearbeit für Kinder, Alte, Kranke etc. zuständig sind, sondern diese unter den Menschen am Hof aufgeteilt wird.
Vor allem aber suchen wir Verbündete aus allen Bereichen der Gesellschaft, die mit uns gemeinsam den Weg zu einem guten Leben für alle gestalten! Wir wünschen uns eine starke Verbindung zu Essenden. Wir laden interessierte Menschen ein, die Lebensrealität auf unseren Höfen kennenzulernen und mitzuhelfen. Wir möchten unsere Weltsicht, unser Naturverhältnis, unser Wissen, unsere Erfahrungen mit euch teilen! Gleichzeitig sind wir offen und neugierig auf das Eure, wollen uns mit euch austauschen, sowie mit- und voneinander lernen.

Wir sind eigenmächtig! Wir tun es! Wir wirtschaften für ein gutes Leben für alle! Wir laden euch ein, euch mit uns zusammenzutun, uns gegenseitig zu bestärken und gemeinsam weiter zu gehen.

von den Teilnehmer_innen des Seminars „Wirtschaften für ein gutes Leben“