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Zeitschrift: Bauernfängerei – Zwischen Demokratie und Demagogie published on

Zeitschrift: Bauernfängerei – Zwischen Demokratie und Demagogie

Unsere neue Zeitung: Wege für eine bäuerliche Zukunft ist da!
Diesmal ist Bauernfängerei das Thema. Mit Beiträgen von Franz Rohrmoser, Ernst Langthaler, Barbara Hable, Siegfried Jäckle, Gertraud Seiser, Erasmus Schöfer, Martin Mayr, Judith Moser-Hofstadler, Klemens Pilsl, Christine Pichler-Brix, Ella Augusteyns, Anna Koiner, Doro Sterz, Franziska Schrolmberger und August Steyrl.

Hier der Artikel von Barbara Hable vorab.

Was ihr wollt

Bäuerliche Landwirtschaft – ein vielseitiger Begriff?

Von Barbara Hable

In den türkisblauen Tiefen des neuen Regierungsprogramms findet sich der schöne Satz: „Wir bekennen uns zu einer bäuerlichen und dezentral strukturierten Landwirtschaft abseits von Agrarfabriken.“ Bekommen wir jetzt, was wir wollen? Es scheint so, denn wir, die Mitglieder der ÖBV, „wir sind Bäuerinnen und Bauern … die biologisch oder konventionell ihre Höfe bewirtschaften und Menschen verschiedener Berufsgruppen, die sich mit der bäuerlichen Landwirtschaft verbunden fühlen und sich für ihren Erhalt einsetzen.“, so die Selbstdarstellung auf der ÖBV Homepage.[1]

Doch – oh weh – der Schein trügt, es sind nur dieselben Worte, gemeint ist etwas ganz anderes. Das wird deutlich, wenn ich im neuen Regierungsprogramm weiterlese, da ist die Rede von einem „freien und leistungsfähigen Bauernstand“ und davon, dass das Schicksal unserer Heimat eng mit unserer Landwirtschaft verbunden sei. Und es geht noch weiter: „Die österreichische Kulturlandschaft wurde über Jahrhunderte durch die bäuerliche Bearbeitung kultiviert und geprägt. Sie bildet gemeinsam mit den ländlichen Siedlungsformen, den Nutztierarten, den Bewirtschaftungsformen und dem ländlichen Brauchtum die Landeskultur.“

Interessante Schlussfolgerung – bäuerliche Landwirtschaft führt mehr oder weniger direkt zu einer Landeskultur, aha. Außerdem bekennen sich die Koalitionspartner*innen noch „zu einer wettbewerbsfähigen, multifunktionalen und flächendeckenden österreichischen Land- und Forstwirtschaft auf der Basis bäuerlicher Familien“.[2]

Die bäuerliche Familie

Das bringt etwas Licht in die Angelegenheit: Bäuerliche Landwirtschaft und bäuerliche Familienbetriebe – zwei Begriffe, die synonym gebraucht werden können? Wie zum Beispiel in einer Presseaussendung von Frau Köstinger aus dem Jahr 2010: „Der Hof und der bäuerliche Familienbetrieb als Unternehmen sind die Lebenszellen der Regionen und nehmen eine grundlegende Stellung ein. Was essen wir morgen? Wo wohnen wir morgen? Und wie heizen wir morgen? – sind aktuelle und brennende Fragen der Zeit – die Antwort liegt in der bäuerlichen Landwirtschaft und es ist unsere Pflicht diese für die Zukunft abzusichern.”

Ich frage mich, wie das für Menschen ist, die Höfe nicht als Familienbetriebe bewirtschaften – für Hofkollektivbewohnerinnen, für Alleinstehende, für gleichgeschlechtliche Partnerinnen – können sie sich mit bäuerlicher Landwirtschaft identifizieren? Ich selbst kann es nicht, dabei lebe ich mit meiner Kleinfamilie am Hof, könnte mich also durchaus angesprochen fühlen. Doch beim Wort bäuerlich stellt es mir ganz leicht die Nackenhaare auf, es ist mir nicht ganz wohl dabei, da hängt so viel dran, Traditionen, Dirndl, Blumenschmuck, resches Auftreten und etwas sehr klebriges, sehr konservatives, das ich sehr gerne abschütteln möchte.

Wir haben da ein Problem

Interessenvertretungen und Parteien dehnen und drehen und deuten den Begriff so wie er in ihr Programm passt. Die Grünen Bäuer*innen vermeldeten am 20.11.2017: „Die neue Regierung gefährdet die bäuerliche Landwirtschaft!“[3] Was mit bäuerlicher Landwirtschaft gemeint ist, wird dabei nicht näher erklärt.

Das Problem ist, dass Bauernbund und Landjugend bäuerliche Landwirtschaft ganz anders verstehen und verwenden und zwar schon viel länger als all die anderen, die heute darüber reden. Für den Bauernbund ist das ein zentraler Begriff, und wer auch immer ihn verwendet, muss sich im Klaren darüber sein, dass er schon besetzt ist. Der bäuerliche Familienbetrieb ist im Bauernbunddenken die Verkörperung der Einigkeit von Großen und Kleinen, das edelste Argument für die Vereinnahmung der Kleinbäuer*innen zum Zwecke ihrer Ruhigstellung. Mit diesen zwei Worten lässt sich so viel ausdrücken: Tradition, konservative Lebensweise, die Nähe zur katholischen Kirche, die Verherrlichung von Eigentumsrechten. Aus dem Wahlprogramm des Bauernbunds 2013: „Als soziale Keimzelle des Hofes steht der generationsübergreifende bäuerliche Familienbetrieb im Mittelpunkt der politischen Arbeit des Bauernbundes. […] Familie ist unser höchster Wert. Sie sichert die Zukunft unserer Höfe!“ Der Bauernbund sieht sich als „die einzige politische Kraft für die Bäuerinnen und Bauern in Österreich“.[4] Und die Landjugend stimmt ein: „Ein intakter ländlicher Raum mit einer nachhaltigen bäuerlichen Landwirtschaft liegt uns am Herzen.“[5]

Sie waren gegen alles

Die Geschichte des Bauernbunds, wie sie von Bauernbündlerinnen selbst erzählt wird, liest sich wie die Geschichte eines Krieges gegen „die Sozis“, des Kampfes gegen soziale Gerechtigkeit und den Wohlfahrtsstaat. Sie waren gegen alles, was mir wichtig ist: Sie kämpften gegen das Frauenwahlrecht: „Erstmals waren auch die Frauen wahlberechtigt, ein Umstand, mit dem der Bauernbund, wie viele andere, nicht viel Freude hatte.“ Sie versuchten, die Bäuerinnenpension zu verhindern[6] und die Gleichstellung unehelicher Kinder. Die Familienrechtsreform, mit der ab 1974 endlich die Frau dem Mann in der Ehe gleichgestellt war, war ihnen ein Dorn im Auge.

Bruno Kreisky war der erklärte Feind. „Anfänglich versuchte er durch Umgehung der gewählten Berufsvertretung und Aufwertung unbedeutender bäuerlicher Splittergruppen dem Bauernbund einen entscheidenden Schlag zu versetzen. Das aber ist ihm keineswegs gelungen.“, heißt es in der Geschichte des Bauernbunds.[7] Gemeint ist hier die Bergbauernvereinigung, der Kreisky mit Wohlwollen begegnete. Er versuchte den Berg- und Kleinbäuerinnen zu vermitteln, dass sie mit den Arbeiterinnen mehr gemeinsame Interessen hätten als mit den Funktionären des Bauernbundes und der Agrarindustrie. [8]

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die SPÖ den Begriff bäuerliche Landwirtschaft offenbar meidet. Im Parteiprogramm steht dagegen ähnlich wie zu Kreiskys Zeiten: „Nachhaltig Wirtschaften ist für uns auch Leitbild für die Landwirtschaft. Bäuerinnen und Bauern erbringen wichtige Leistungen für die Gesellschaft, besonders in benachteiligten Gebieten und in den Bergregionen. Die finanzielle Förderung der Landwirtschaft wollen wir verstärkt nach sozialen und ökologischen Kriterien gestalten.“[9]

Was wollen wir?

Ich denke, es ist gefährlich, einen so gründlich besetzten Begriff zu verwenden. Vermutlich verstehen nicht nur Parteien, sondern auch Leserinnen und Angesprochene unter bäuerlicher Landwirtschaft was sie wollen, und wahr ist ja bekanntlich das, was bei den Empfängerinnen einer Botschaft ankommt und nicht das, was gemeint war.[10] Schon gar nicht, wenn denen, die reden oder schreiben, selbst nicht ganz klar ist, was sie eigentlich meinen. Wir sollten angesichts des neuen Regierungsprogramms noch einmal darüber nachdenken, was wir wollen und was wir ganz bestimmt nicht wollen. Zum Beispiel geschluckt und vereinnahmt werden – Franz Rohrmoser und Josef Krammer beschreiben das anschaulich als „Vorspannmechanismus“, wenn mit den Interessen der Kleinbäuerinnen argumentiert wird um die Interessen der Großgrundbesitzerinnen und der Agrarindustrie zu verfolgen.[11]

Alle unter einem Dach

In vielen Orten[12] sind Bauernbund (Parteiorganisation), Landwirtschaftskammer (Interessenvertretung aller Bäuer*innen) und Landjugend (die größte Jugendorganisation im ländlichen Raum) an derselben Adresse anzutreffen, und sie rufen im Chor „Ein Hoch der bäuerlichen Landwirtschaft“. Dass wir in diesen Kanon nicht einstimmen, ist klar, die Frage ist vielmehr, wie wir uns von dieser Einstimmigkeit klar und widerständig abgrenzen können.

 

Barbara Hable, Bergbäuerin in der Steiermark

 

[1] https://www.viacampesina.at/die-oebv/wer-wir-sind/

[2] Zusammen. Für unser Österreich. Regierungsprogramm 2017-2022

[3] http://www.bauern.gruene.at/themen/landwirtschaft/baeuerliche-interessen-aus-kammern-oder-lobbies

[4] http://www.bauernbund.at/fileadmin/userdaten/Downloads/Dokumente/BB_Programm_2013.pdf

[5] http://stmklandjugend.at/programm/landwirtschaft-umwelt

[6] vgl. Artikel von Heidi Rest-Hinterseer. Bäuerliche Zukunft Nr.5/2017

[7] http://www.noebauernbund.at/ueber-uns/geschichte/

 

[8] https://public.sharepoint.uni-graz.at/sites/ub/OeffentlicheDokumente/%C3%84ra_Kreisky.pdf

 

[9] https://spoe.at/sites/default/files/das_spoe_parteiprogramm.pdf

[10] „Wahr ist nicht was A sagt, sondern was B versteht“ – Herkunft unbekannt, vielzitiert als eine der Grundlagen der Kommunikation

[11] Krammer, Rohrmoser (2012): Im Kampf um ihre Rechte. Promedia Verlag, Wien. S.160ff.

[12] z.B. Judenburg, Frauengasse 19