Die Tierhaltung wird in ganz Europa diskutiert, die Unsicherheit ist groß. Die Europäische Koordination Via Campesina (ECVC) hat in einem Papier viele wichtige Punkte ausgearbeitet. Wir fassen diese Punkte hier zusammen. Klar ist: Es braucht jetzt eine ambitionierte Unterstützung für einen Übergang in die bäuerliche Tierhaltung!
Aus der Zeitschrift „Bäuerliche Zukunft“ Nr. 382
In den vergangenen Jahrzehnten kam es in der Tierhaltung immer mehr zu einer Industrialisierung und einer damit verbundenen Konzentration und Ausweitung des profitorientierten Wirtschaftens: „Effizienter“ und „rentabler“ heißt Stückkosten senken, das System in diesem Sinne optimieren und rationalisieren, vereinheitlichen und auf engem Raum bündeln bzw. konzentrieren, während Futtermittelproduktion, Züchtung, Dienstleistungen, Kredite, Mechanisierung, Schlachtung und Vermarktung extern zugekauft bzw. ausgelagert werden. Agrar- und handelspolitisch wurde auf diesem Wege die Wettbewerbsfähigkeit und die Exportorientierung forciert, was schrittweise die Industrialisierung der Tierhaltung beförderte. In diesem Zusammenhang wurde es immer schwieriger, den bäuerlichen Ansatz in der Tierhaltung zu behaupten. Der Druck auf bäuerliche Tierhaltung stieg, was dazu führte, dass immer mehr Höfe aufgaben und die Attraktivität des Berufs untergraben wurde.
Das ist ganz besonders problematisch, wenn die Produktionskosten, die Investitionen und die Verschuldung steigen, während die Erzeugerpreise sinken: Ein Teufelskreis, in dem den Bäuer*innen nur die schwache Position des „Preisnehmers“ bleibt. Das war in vielen Ländern von einer kulturellen Abwertung der kleinen und mittleren Bäuer*innen begleitet, bei der „Leistung“ den großen Betrieben zugesprochen wurde und Prestige und Status daran gekoppelt waren. Damit war überall eine steigende Arbeitsbelastung verbunden, sowie eine zunehmende Trennung in spezialisierte Gunstlagen und entlegene, „abgehängte“ Regionen mit immer höheren Kosten.
Die Kritik an den negativen Auswirkungen der Industrialisierung nahm zu, während aber zugleich die Nachfrage nach billigen Rohstoffen und der Preisdruck konstant blieben. Je größer die Anzahl der Tiere und Hektar, sowie die Maschinen, umso besser wurden die Betriebe gefördert. Die menschliche Arbeit selbst wurde dabei entwertet. Propagiert wurde dies von Banken, Medien, Wissenschaften, Beratung oder dominanten Bauernverbänden und Institutionen. Hinzu kommt eine übermäßige Bürokratisierung, sowie ein hoher Kontrollaufwand. Mit diesen Entwicklungen ging auch in ganz Europa eine sinkende Zahl der Schlachthöfe und Molkereien einher.
Widerstand und Alternativen
Trotzdem gab es von Anfang an bäuerlichen Widerstand, diesem Pfad entgegenzuwirken und bäuerliche Alternativen zu behaupten, sowie neue zu schaffen. Es ging dabei immer auch um Würde, Selbstbestimmung vor Ort, ökologische und soziale Auswirkungen und um Einkommens- und Lebensgrundlagen von sehr vielen Menschen. Dieser Widerstand kam sehr häufig aus peripheren Regionen (z.B. Berggebieten), aus der Biobewegung und der Direktvermarktung oder aus neuen Allianzen wie der Bewegung für Ernährungssouveränität. Nur durch diesen Widerstand und durch konkrete Initiativen konnten bis heute Alternativen behauptet werden. Dies geschah in Verbindung mit Direktvermarktung, Kooperativen, Herkunftsbezeichnungen, Förderung von nachhaltigen Produktionsformen und Projekten, die sich dem Profitstreben entgegenstellen und stattdessen auf Mischkulturen, Agroforst, Biolandwirtschaft, Weide- und Freilandhaltung, Behirtung und vieles mehr setzten. Diese Alternativen verfolgen aber einen völlig anderen Ansatz, denn sie sind an den Standort und an die dort verfügbaren Ressourcen angepasst. Auch kulturell, ökologisch und sozial sind sie mit den Werten und der Vielfalt vor Ort eng verbunden und schaffen sie stets neu. Die bäuerliche Tierhaltung ist in diesem Sinne „territorial“ verankert und ist somit ein „agrarökologisches“ und „territoriales“ System. Traditionelles Wissen und dessen Weiterentwickling spielt dabei eine wichtige Rolle. All das ist ein scharfer Gegensatz zur industrialisierten Tierhaltung und ganz zentral in der Diskussion um die Zukunft der Tierhaltung:[1] Es braucht einen Übergang zu einer territorialen Tierhaltung und somit einen Ausstieg aus der Intensivierung. Kleinbäuerliche Tierhaltungsmodelle haben Vorteile für die nachhaltige Ernährungssicherheit, für Klima und Artenvielfalt, für das soziale Zusammenleben, für die Ernährung, für die Wirtschaft, die Tiere und die Umwelt. Sie müssen bewahrt, unterstützt und geschützt werden.
Was sind die Herausforderungen?
Der Aufruf „weniger und dafür besseres Fleisch zu essen“, hatte bisher nicht den erwünschten Effekt für den notwendigen Übergang. Es braucht in jedem Fall mehr politische Gestaltung. Derzeit wird die bäuerliche Landwirtschaft immer weiter geschwächt, während die industrialisierten Modelle auf immer neue Weise politisch gestützt und gestärkt werden.
Erstens müssen die Regeln auf den internationalen Märkten und die Wertschöpfungsketten so umgestaltet werden, dass das Höfesterben gestoppt, Hofnachfolgen und Zugang zu Land erleichtert und die Position der Bäuer*innen gestärkt wird. Dafür sind faire, kostendeckende Preise und angemessene Einkommen unerlässlich. Zweitens braucht es klare Perspektiven mit Blick auf den Zusammenhang von Tierhaltung und Klima- und Biodiversitätskrise. Die industrielle Tierhaltung ist besonders schädlich, vor allem wenn der Landnutzungswandel für die ressourcenintensive, monokulturelle Produktion – etwa von Futtermitteln -, sowie die ökologischen Folgekosten dieser Tierhaltungsform mit einbezogen werden. Demgegenüber ermöglichen kleinbäuerliche, territoriale Tierhaltungen in vielfältigen Landschaften den Ausstieg von einer Produktion, die von Kunstdünger und Pestiziden abhängig ist. Eine besondere Rolle kommt dabei auch der Aufrechterhaltung der nachhaltigen Behirtung zu. Drittens hängen lebendige ländliche Räume sehr stark an Menschen, die mit Tieren arbeiten. Eine besondere Herausforderung ist dabei, die Kluft zwischen Stadt und Land nicht noch weiter wachsen zu lassen, sondern hier die Anerkennung, Aufwertung und Sichtbarkeit der Arbeit und Rolle der bäuerlichen Tierhaltung zu vermitteln. Zugleich braucht es Lösungen für eine Koexistenz und einen Umgang mit Wildtieren, ohne dass die Existenz der kleinbäuerlichen Tierhalter*innen und Hirt*innen aufs Spiel gesetzt wird. Viertens braucht es die Stärkung und Entwicklung der Infrastruktur und Rahmenbedingungen für bäuerliche, territoriale Tierhaltung. Das beinhaltet u.a. lokale Schlachträume, mobile Lösungen für stressfreie Hofschlachtung, gangbare Hygienerichtlinien, Bürokratie, Auflagen und Kontrollaufwand, Kleinerzeugerregelungen, sowie eine vielfältige, lokal angepasste Tierzüchtung in bäuerlicher Hand. Fünftens stellen manche Entwicklungen und Bewegungen die Tierhaltung insgesamt in Frage und/oder konzentrieren die Kontrolle in den Händen von Konzernen (z.B. Laborfleisch, neue Gentechnik bei Tieren, bestimmte Varianten des Veganismus oder des Naturschutzes etc.). Hier braucht es unsere Alternativen. Sechstens gilt es, auch in den gesundheitlichen Auswirkungen des Milch- und Fleischkonsums eine Differenzierung einzufordern: Produkte aus kleinbäuerlicher Landwirtschaft haben andere Wirkungen auf Menschen, Tiere, Ökosysteme, Böden und Wasser als die industrialisierte Landwirtschaft. Auch die Auswirkungen auf das Tierwohl und (weiträumige) Tiertransporte spielen hier eine Rolle.
Politische Lösungen für politische Probleme
Die bäuerliche Tierhaltung muss politisch unterstützt werden. Das ist der Grundpfeiler eines fairen und tragfähigen Übergangs zur bäuerlichen Re-Territorialisierung der Tierhaltung. Wir brauchen dringend einen Übergang zu sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Nachhaltigkeit und zu einer bäuerlichen Agrarökologie. Dies muss mit dem Stopp der Massentierhaltung beginnen. Damit wird eine deutliche Reduktion der negativen externen Effekte der industriellen Tierhaltung erreicht, sowie ein erheblicher Rückgang der Zahl der in Europa gehaltenen Tiere. Bäuerliche Betriebe stehen damit nicht mehr in Konkurrenz mit industrialisierter Tierhaltung, was ihnen neue Perspektiven ermöglicht. Das würde sich in weiterer Folge auch auf die Qualität der tierischen Erzeugnisse am Markt auswirken. Darüber hinaus geht es um die Re-Territorialisierung, d.h. eine Umverteilung der Produktion auf mehr kleine und mittlere Betriebe in mehr Regionen in Europa. Um zudem Ernährungsarmut entgegenzuwirken, braucht es Strategien, die allen Menschen einen Zugang zu qualitativ hochwertigen Lebensmitteln ermöglicht.
Wir fordern eine Agrarpolitik, die diesen Übergang ermöglicht und unterstützt: Eine neu ausgerichtete GAP und ein Rahmengesetz für nachhaltige Ernährungssysteme müssen die zentralen Werkzeuge dafür sein. Damit dies auch wirksam ausgestaltet werden kann, müssen die Klimapolitiken in der Landwirtschaft so ausgerichtet werden, dass sie eine Re-Territorialisierung fördern. Die „langfristige Vision für ländliche Regionen“ muss die zentrale Bedeutung der Tierhaltung für lebendige ländliche Räume anerkennen.
Die territoriale Neuanordnung der Tierhaltung beinhaltet: Eine Abkehr von der Konzentration und der Intensivierung in der Tierhaltung, eine Begrenzung der Tierhaltung entlang der lokalen und nachhaltigen Tragfähigkeit und Produktionskapazität der Böden, eine EU-Landverordnung, welche die Verteilung der Tierhaltung zwischen den Regionen organisiert, Obergrenzen im Landbesitz und bei den GVE pro ha, sowie eine Stärkung der regionalen, demokratischen Entscheidungsprozesse. Ergänzend braucht es Infrastrukturprogramme, administrative und finanzielle Unterstützung, Hofnachfolge, agrarökologische Indikatoren und Herkunftskennzeichnungen. Auch die ökologischen Dimensionen des Übergangs müssen in einen kohärenten systemischen Ansatz der agrarökologischen Tierhaltung eingebettet sein und die damit verbundene Arbeit entlohnen. Darüber hinaus ist es notwendig, die Handelspolitik und die Richtlinie zu unfairen Handelspraktiken neu auszurichten, indem die Position und die Arbeits- und Lebensgrundlagen der kleinbäuerlichen Tierhalter*innen gestärkt und verbessert werden. Diese neue Handelspolitik muss faire Preise sichern, sie muss Futtermittelimporte stoppen und den Wettbewerb auf den Weltmärkten und auf dem Binnenmarkt entlang Förderung und Stärkung von bäuerlichen Qualitäten neu ausrichten.
Zusammenfassend müssen wir klar und deutlich festhalten, dass es diese Veränderungen jetzt braucht und dass keine Zeit mehr verloren gehen darf. Agrarökologie und die kleinbäuerliche Landwirtschaft sind noch viel reicher und vielfältiger als es diese Empfehlungen sind. Aber wir müssen damit beginnen, unsere Visionen und Vorschläge noch deutlicher zu benennen. Es wird noch viele Konflikte um die Tierhaltung geben. Aber um diese Konflikte demokratisch und fair austragen zu können, möchten wir grundlegende Unterscheidungen einfordern. Wir sind davon überzeugt, dass die bäuerliche Tierhaltung ein wesentlicher Grundstein von Agrarökologie ist und auch insgesamt in einem sozial und ökologisch gerechten und nachhaltigen Umbau unserer Gesellschaft ebenso wie in der Zukunft der Welternährung eine Schlüsselrolle spielt.
Dieser Beitrag ist zuerst in der Zeitschrift „Bäuerliche Zukunft“ Nr. 382 (2/2024) zum Schwerpunkt „Tiere in der Landwirtschaft“ erschienen. Dieser Beitrag wurde von der Redaktion verfasst und fasst das Papier der ECVC zusammen.
Das vollständige Papier der ECVC findet sich hier: ECVC (2023): Livestock Farming in the European Union. Supporting an Ambitious Transition to Peasant Farming.
[1] Es gibt hier graduelle Übergänge und Schattierungen, aber es gibt grundlegende Unterschiede etwa zwischen kleinbäuerlich-agrarökologischer, ressourcenintensiv-unternehmerischer und industriell-kapitalistischer Tierhaltung.