Viele kennen nicht einmal den Namen. Aber diese Lobbygruppe behauptet, dass sie „mehr als 22 Millionen europäische Bauern und ihre Familienangehörigen vertritt“ und dass sie „die vereinte Stimme der Bauern und Agrargenossenschaften in der EU“ ist. Doch der Alleinvertretungsanspruch wackelt. Deutlich wird: Der Vorspannmechanismus hat auch auf europäischer Ebene Prinzip.
Seit mehr als einem halben Jahrhundert dominiert diese Lobbygruppe die Agrarpolitik der EU.[1] [2] Aufgrund ihrer Geschichte und ihres Anspruchs, alle Bauern und Bäuerinnen zu vertreten, genießt sie privilegierten Zugang zur EU auf allen Ebenen der Politikgestaltung und hat ihre Macht im vergangenen Jahr genutzt, um entscheidende Reformen zur gerechteren Verteilung oder für eine ökologischere Ausrichtung der Politik zu blockieren. Lighthouse Reports, eine Gruppe von Investigativjournalist*innen, hat gemeinsam mit sechs Medienpartner*innen Interviews mit fast 120 Bäuer*innen, Insider*innen, Politiker*innen, Wissenschafter*innen und Aktivist*innen, sowie eine Umfrage unter 50 Copa-Cogeca-Mitgliedern durchgeführt. Darüber hinaus haben sie unzählige Berichte, Studien und Statements untersucht. Das Ergebnis: Die Behauptung ihrer überwältigenden Mitgliederstärke und ihrer umfassenden Vertretung entspricht nicht der Wahrheit. Dies lässt ernsthafte Zweifel an der Legitimität der Lobby in der Landwirtschaft aufkommen. Vor allem kleinere und jüngere Bauern und Bäuerinnen gaben an, dass sie sich von Copa-Cogeca nicht vertreten fühlen.
Jahrzehntelange Politik für die Agrarindustrie
Diese Ergebnisse werden zu einem entscheidenden Zeitpunkt öffentlich: Derzeit nutzt Copa-Cogeca ihre einzigartige Position und Macht, um die Abgeordneten des Europäischen Parlaments unter Druck zu setzen, dass sie gegen das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, gegen Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und gegen die Reduktion von chemisch-synthetischen Pestiziden stimmen. Zugleich wird für die Deregulierung der Neuen Gentechnik lobbyiert. Die Copa-Cogeca unterstützt seit Jahrzehnten Entscheidungen, die den Status Quo erhalten und die industriellen Großbetriebe begünstigen, was zugleich Höfesterben und die Marginalisierung kleinerer und jüngerer Bäuer*innen befördert.
Das Bild der „glücklichen Familie“ innerhalb der Copa-Cogeca stimmt jedenfalls schon lange nicht mehr: Die Interviews zeigten ein ganz anderes Bild. Vielmehr gibt es große Differenzen und Spaltungslinien, weil die Copa-Cogeca Entscheidungen unterstützt, die vor allem den Großbetrieben zugutekommen.
Mangelnde Repräsentation
In Spanien repräsentieren die Copa-Cogeca-Mitglieder 40 % der spanischen Bäuer*innen, beanspruchen aber 75 % der staatlichen Mittel, die den bäuerlichen Verbänden für die Teilnahme an EU-Diskussionen zugewiesen werden. In Rumänien wird die Copa-Cogeca von einer Gewerkschaft mit nur 3.500 Mitgliedern vertreten, in einem Land mit 2,9 Millionen landwirtschaftlichen Betrieben. In Polen vertritt die wichtigste Copa-Cogeca-Mitgliedsorganisation technisch mehr als 1 Million Bäuer*innen, da jede*r landwirtschaftliche Steuerzahler*in automatisch Mitglied der Gewerkschaft ist – dennoch lag die Wahlbeteiligung bei der letzten Gewerkschaftswahl 2019 bei weniger als 6 %.
Klar ist: Die Copa-Cogeca hat sich unter vielen Organisationen in den letzten Jahren Feinde geschaffen – zulasten der gesamten Landwirtschaft und aller Bauern und Bäuerinnen. Die Kritik und Infragestellung des Alleinvertretungsanspruchs ist ein wichtiger Beitrag dafür, dass die Stimmen der kleinbäuerlichen Organisationen – etwa von La Via Campesina – mehr Gehör finden.
Dieser Artikel ist in der Zeitschrift “Wege für eine Bäuerliche Zukunft” Nr. 378, 3/2023 erschienen und beruht auf einer einjährigen Recherche von Lighthouse Reports (s. Infos)
Nähere Informationen:
Lighthouse Reports: Europas potemkinsche Lobby.
Politico: The truth behind Europe’s most powerful farmers lobby.
Fußnoten:
[1] Josef Krammer/Franz Rohrmoser: „Mechanismen des Missbrauchs. Über den „Vorspannmechanismus“, die Bevormundung der kleinen Bauern und Bäuerinnen und ihr Kampf um Selbstbestimmung“ In: Kritischer Agrarbericht 2013, siehe Kapitel 4 „Produktion und Markt“ – hier.
[2] Die Mitglieder aus Österreich sind die Landwirtschaftskammer Österreich (LKÖ) bei der Copa und der Österreichische Raiffeisenverband (ÖRV) bei der Cogeca. Website siehe hier