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Weniger Kraftfutter als Chance

Im folgenden Beitrag wollen wir auf das Thema der Kraftfutterreduktion in der österreichischen Milch- und Rindfleischproduktion eingehen und ausführen, weshalb diese Strategie umgesetzt werden sollte und wie sich diese auf den Treibhausgasausstoß und die Klimawirkung der Landwirtschaft für Österreich auswirkt. – Eine Vorab-Veröffentlichung aus der Zeitschrift “Wege für eine Bäuerliche Zukunft”, Nr. 362/2020

Von Rainer Weisshaidinger und Adrian Müller

Gesellschaftlich und wissenschaftlich beschäftigen uns bei der Ernährung zumindest zwei herausragende Fragen: Wie können wir eine Bevölkerung ernähren und wie bleiben wir gleichzeitig innerhalb der ökologischen Tragfähigkeit? Letztere dreht sich um den Erhalt der natürlichen Ressourcen wie etwa Boden, Wasser und Biodiversität, als auch um die Schließung von Nährstoffkreisläufen. Diese Herausforderung müssen wir global in den Griff bekommen. Das zeigen auch Wissenschaftler rund um Johan Rockström in ihrem 2009 erstmals publizierten Konzept zu den „planetaren Belastungsgrenzen“ drastisch auf: Neben dem Klimawandel bedrohen insbesondere der Biodiversitätsverlust und die entkoppelten Stickstoff- und Phosphorkreisläufe die Menschheit. Lokale Umweltprobleme wie Nitratanreicherung im Grundwasser, aber ebenso die Covid-19-Krise – und deren Offenlegung unserer Abhängigkeit von globalisierten Wertschöpfungsketten bei ganz zentralen Betriebsmitteln – verdeutlichen die Wichtigkeit dieser Frage auf regionaler Ebene.  

Zwei Hebel

Die oben gestellte Frage ist nicht einfach mit einer Komplettumstellung auf Bio zu beantworten – Stichwort „Landverbrauch“. Und ebenso ist eine rein konventionelle Landwirtschaft keine Lösung – Stichworte „Umweltbelastung“ und „Vorsorgeprinzip“. Unseres Erachtens sind diese Fragen viel mehr auf der Ebene des Ernährungssystems zu beantworten und hierbei gibt es zwei Hebel mit potenziell großer Wirkung in Bezug auf Klima- und Ressourcenschutz: Der erste Hebel ist die Reduktion der auf Ackerflächen produzierten Kraftfuttermittel inklusive Silomais für die Tierhaltung – mit einer entsprechenden Reduktion der produzierten tierischen Produkte. Der zweite Hebel ist die Reduktion von Ernte- und Lagerverlusten sowie von Lebensmittelabfällen (engl. food loss/waste). Diese beiden Hebel sind eng mit zwei Strategien im Nachhaltigkeitsdiskurs verbunden – mit der „Konsistenz“ und „Suffizienz“. „Konsistenz“ bezieht sich auf die bestmögliche Nutzung vorhandener Ressourcen in einem systemischen Kontext, was in der Landwirtschaft insbesondere geschlossene Nährstoffkreisläufe und ein Wirtschaften innerhalb der lokal und regional relevanten Belastbarkeitsgrenzen bedeutet. “Suffizienz“ bezieht sich auf die totale Menge an Produktion und Konsum, die wir wirklich benötigen (wollen). Das klingt doch gut, oder? Ja! Doch beide Strategien bedeuten ein Umkrempeln von gesellschaftlich liebgewordenen Eigenheiten, wie „mein-Recht-auf-das-tägliche-Schnitzel“ oder der „voller-Kühlschrank-und-dann-halbvolle-Biotonne“-Strategie.

Kraftfutterreduktion

Doch zurück zur Kraftfutterreduktion, dem Hebel Eins. Eine wiederkäuergerechte Fütterung mit Raufutter von Grünland- und Kleegras-Flächen bezeichnen wir als „regenerative Milch- und Rindfleischproduktion“, abgekürzt RMF. Sie reduziert den Kraftfuttereinsatz und verzichtet auf den Einsatz von Silomais. Diese Art von Fütterung benötigt standortgemäße Raufutterverzehrer – also eine Genetik, die weniger an eine kraftfutterbasierte und mehr an die raufutterbasierte Fütterung angepasst ist – sowie eine gekoppelte Pflanzen- und Tierproduktion mit standortangepassten Tierbesatzdichten. Übergeordnetes Ziel ist neben Verbesserungen von Umweltwirkungen und der Reduzierung von volkswirtschaftlichen Folgekosten die Minimierung der Flächenkonkurrenz zwischen Nahrungs- und Futtermittelproduktion.

Betrachten wir diesen möglichen Weg zuerst auf einer globalen und im weiteren Schritt auf österreichischer Ebene. Als wissenschaftliche Basis dienen hierfür mehrere Studien, an denen das FiBL maßgeblich (methodisch mit dem Masse- und Stoffflussmodell SOLm) beteiligt war[1]. Was würde eine Reduktion von Kraftfutter für die Umwelt und hier besonders für den Ausstoß an Treibhausgasen (THG) und die Produktion bedeuten?

Global würde eine solche Strategie des Verzichts auf Futtermittel, die mit Nahrungsmittel in Konkurrenz stehen, zu einer Reduktion der Tierzahlen und der Produktion tierischer Lebensmittel führen. Dies vor allem bei Schweinen und Hühnern, während die Wiederkäuer weiterhin die riesigen Graslandflächen nutzen könnten. Im globalen Mittel würde der Protein-Anteil aus tierischen Quellen in der menschlichen Ernährung von gut 35 % auf 10 % fallen. Die Anzahl und Produktion der Wiederkäuer würde global nicht stark sinken, jene von Hühnern und Schweinen jedoch um 70 bis 90 %. Die Treibhausgase würden bei einer solchen Strategie um gut 20-25 % sinken.

Und wie sehen nun die möglichen Auswirkungen einer RMF-Strategie, also dem Verzicht auf Kraftfutter und Silomais als Futtermittel, auf der Ebene „Österreich“ aus? Die Umwelt- und Produktionseffekte sind erheblich, wie die folgenden Zahlen für Veränderungen durch die RMF im Vergleich zur Ist-Situation der Jahre 2012-2014 zeigen:

  • Rund 10 % der österreichischen Ackerflächen werden frei;
  • Die Treibhausgase der Landwirtschaft werden um 16 % reduziert;
  • Die Stickstoff- und Phosphor-Bilanzüberschüsse werden um 27 % bzw. 17 % gesenkt;
  • Die Anzahl der Kühe fallen um 21 % und in der Folge die Milchproduktion um 39 % sowie die Rindfleischproduktion um 20 %;
  • Die Kalorien- und Proteinproduktion sinkt um 3 % bzw. 10 %.

Da die Tierhaltung per se klimaschädlicher ist als die pflanzliche Produktion können wir über die RMF und der damit einhergehenden Reduktion der Tierzahlen die nationalen Emissionen an THGs wesentlich reduzieren. Die durch eine RMF-Strategie erreichbaren Umwelteffekte übertreffen somit die Wirkungen der bisherigen Agrarpolitik seit den 1990er Jahren! Da der Selbstversorgungsgrad bei Milch in Österreich rund 160% beträgt und jener von Rindfleisch bei 140% liegt, ist das ohne große Verwerfungen möglich. Weiters könnte eine Qualitäts- und Nischenstrategie im Export eine interessante Mehrwertschöpfung ergeben.

Treibhausgasbilanzen

Doch stehen diese Zahlen im Widerspruch zu Treibhausgasbilanzen von Produkten? Ja und Nein. Neben den oben genannten Kriterien für ein nachhaltiges Ernährungssystem, stellt sich immer auch die Frage, wie „klimafreundlich“ an und für sich ein Lebensmittel ist. Zur Berechnung werden Produkt-Treibhausgasbilanzen herangezogen, die die Emissionen pro Hektar Landwirtschaftsfläche oder pro Kilogramm Produkt methodenabhängig sehr genau berechnen lassen. Da die Treibhausgase in der Atmosphäre global ausgetauscht werden, sind diese Angaben zur Effizienz pro Kilogramm oder pro Liter eine wichtige Kenngröße. Doch gleich vorweg: Extensive Tierhaltungssysteme schneiden hier tendenziell schlechter ab als intensive. Dies ergibt sich daraus, dass die von einer Kuh pro Jahr produzierten THG auf beispielsweise 6.000 oder eben 12.000 Liter Milch aufgerechnet werden, und die Emissionen einer 12.000-Liter-Kuh im Vergleich zur einer 6.000-Liter-Kuh nicht doppelt so hoch sind.

Somit liefern uns solche Produkt-Treibhausgasbilanzen zur Tierhaltung wichtige Verbesserungshinweise für „klimafreundliche“ Systeme. Es zeigt sich aber, dass die THG-Bilanzen von intensiv oder extensiv produzierter Milch oder von 65 kg Bio- oder konventionellem Fleisch – was dem durchschnittlichen Fleischkonsum der Österreicher*innen entspricht – sich nicht stark unterscheiden und die eine oder andere Produktionsart der gleichen Mengen die gesamten Emissionen der Landwirtschaft nur marginal beeinflussen würden. Die dringend notwendige THG-Reduktion in der Landwirtschaft schaffen wir vorderhand nur mit einem anderen, viel wichtigeren Hebel, nämlich mit der Reduktion der Tierzahl über den Hebel Kraftfutterreduktion. Wenn die Tierzahlen stark reduziert werden, öffnet dies den Raum für eine Produktion, die vielleicht pro Kilogramm Fleisch und Milch mehr emittiert, im Gesamten aber dennoch zu einer Reduktion führt, und vor allem auch anhand anderer Nachhaltigkeitsindikatoren besser dasteht.

Neue Freiräume und Ziele

Wenn wir eine deutliche Reduktion des Kraftfutters schaffen, dann werden Ackerflächen vor allem in intensiv genutzten Landschaften „frei“. Hier können wir uns unter der Devise „öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen“, unterschiedliche Ziele zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft stecken: Etwa eine verstärkte pflanzliche Nahrungsmittelproteinproduktion durch Leguminosen, den Boden regenerierende Fruchtfolgen (z.B. mehr Kleegras auch in der konventionellen Landwirtschaft), kooperativen Gewässerschutz, oder regional abgestimmte Konzepte eines Vertragsnaturschutzes. Das alles könnte Teil einer Agrarökologisierung sein, die nicht zwischen konventioneller und biologischer Landwirtschaft trennt.  

Der Erfolg einer nachhaltigen Entwicklung in der Landwirtschaft hängt von einer Balance zwischen Schutz und Nutzung von Ökosystemen und Ressourcen ab. Um diesen zum Teil widersprüchlichen Herausforderungen zu begegnen, sind Lösungsansätze notwendig, die sich nicht nur auf eine Feinabstimmung der existierenden politischen Regelwerke beschränken, sondern die vielmehr auf eine innovative, agrarökologisch und ressourceneffiziente Perspektive ausgerichtet sind. Gesamthaft gilt es, in einer Art Ernährungspolitik die agrarische Produktion und den nachhaltigen Konsum besser aufeinander abzustimmen. Die Haltung von Wiederkäuern an sich ist unseres Erachtens ein wichtiger Teil einer nachhaltigen Landnutzungs- und Ernährungsstrategie des Alpenlandes Österreich. Die oben beschriebene regenerative Milch- und Rindfleischproduktion ist so ein Ansatz, welcher agrarökologisch sowie gesellschaftlich notwendige Ziele stützt.

P.S.: Doch wie würde sich eine RMF-Strategie auf soziale und betriebswirtschaftliche Aspekte auf den Höfen österreichweit auswirken? Lässt sich so etwas auf Ihrem Hof umsetzen und wenn ja, wie? Wo sehen Sie Risiken und Chancen für Ihren Betrieb und darüber hinaus? Teilen Sie uns bitte Ihre Gedanken via Mail oder per Post mit. An: und oder
Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), Doblhoffgasse 7/10, 1010 Wien.

Über die Autoren:

Rainer Weisshaidinger, Geograph und Landschaftsökologe, seit 2011 leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in Wien. Seine Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind die Nachhaltigkeitsanalyse, Transformations- und Entwicklungsforschung sowie Kooperationsprojekte im globalen Süden im Bereich Agrarökologie.

Adrian Müller, seit 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL) in Frick sowie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich ETHZ. Er befasst sich mit der Modellierung nachhaltiger Ernährungssysteme, Klimapolitik in der Landwirtschaft und dem Potential verschiedener Produktionssysteme für Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel.

Dieser Artikel ist zuerst in der ÖBV-Zeitschrift “Wege für eine bäuerliche Zukunft”, Nr. 362/2020, erschienen.
Die Zeitschrift kann hier abonniert werden.


[1] Schader et al. (2015) Impacts of feeding less food-competing feedstuffs to livestock on global food system sustainability. Journal of The Royal Society Interface, 12; Muller et al. (2017) Strategies for feeding the world more sustainably with organic agriculture. Nature Communications, 8; Stolze et al. (2019) Chancen der Landwirtschaft in den Alpenländern: Wege zu einer raufutterbasierten Milch- und Rindfleischproduktion in Österreich und der Schweiz. Haupt.