Die ECVC hat anlässlich des im EU-Parlament hochgradig umstrittenen Gesetzes eine Stellungnahme geschrieben, die wir hiermit veröffentlichen.[1] Ganz im Gegensatz zur Copa-Cogeca und den konservativen und rechtsextremen Parteien, welche das Gesetz im Namen der Bauern und Bäuerinnen immer blockiert und auch sabotiert haben, fordert die ECVC einen echten Übergang. Die Vision: Mehr Bauern und Bäuerinnen, Agrarökologie und gerechte Einkommen sind der Schlüssel zur biologischen Vielfalt.
Von der European Coordination Via Campesina (ECVC)
Die ECVC unterstützt die Ziele des Green Deals, jedoch treibt der aktuell hartnäckig aufrechterhaltene Status Quo die Industrialisierung der Landwirtschaft immer weiter voran. Und das vernichtet Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und verschärft zugleich die aktuellen Krisen noch weiter. Die europäischen Entscheidungsträger*innen müssen ambitionierter und klarer sein, um endlich einen echten Wandel in der EU zu ermöglichen. Denn die europäische Landwirtschaft muss einen fairen, ganzheitlichen und agrarökologischen Wandel hin zu mehr sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit vollziehen. Die EU muss insbesondere viel mehr Bäuer*innen den Einstieg in die und Wege in der Landwirtschaft ermöglichen. Dafür braucht es gemeinschaftliche Ansätze, die in ihren Kreisläufen und Netzwerken den Bezug zum Boden und zu den Menschen nachhaltig und gerecht gestalten („gemeinschaftliche territoriale Landwirtschaften“). Wir dürfen uns nicht dem Druck der Industrie beugen und falsche Lösungen wie die Neue Gentechnik, chemisch-synthetische Pestizide und die Digitalisierung der Landwirtschaft umsetzen, ohne den Status Quo zu ändern, denn dadurch werden die aktuellen Probleme nur noch verschlimmert. Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur muss sich darauf fokussieren, diesen nicht nachhaltigen Status Quo zu ändern und soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten. Es braucht einen gerechten Übergang und dieser muss jetzt ermöglicht werden!
Ansätze lassen Schlüsselfragen offen
Der aktuelle Gesetzesvorschlag spricht wichtige Schlüsselelemente an: Zum Beispiel die Notwendigkeit, mehr Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und in ländlichen Gebieten zu schaffen, damit die biologische Vielfalt erhalten werden kann. Der Vorschlag enthält jedoch keine geeigneten Mittel und Wege, um dieses Ziel zu erreichen.
Als europäische Bewegung der Kleinbäuer*innen betonen wir: Wenn das Gesetz inhaltlich begrenzt und unpräzise bleibt, dann wird nicht nur die Erhaltung der natürlichen Umwelt behindert, sondern auch die Existenz der Kleinbäuer*innen. Insbesondere diejenigen werden weiter gefährdet, die längst schon Agrarökologie praktizieren.
– Das Gesetz bleibt vage, wenn es um die Frage geht, wie die Landwirtschaft unterstützt werden soll. Dies betrifft sowohl die finanzielle Seite und die Sicherung fairer Einkommen für die wertvolle Arbeit, als auch die Grundanforderung einer kohärenten Politik für kleine und mittlere Höfe. Denn gerade sie sind am besten in der Lage, den notwendigen Übergang zu gestalten.
Die Rahmenbedingungen in der aktuellen Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) und in der europäischen Handelspolitik sind zunehmend auf den so genannten „Freihandel“ ausgerichtet. Das bedeutet, dass diese Rahmenbedingungen einer agrarökologischen Umstellung entgegenstehen. Ohne diesen Kontext zu verändern, sind deshalb die Bedingungen nicht reif für diese Umstellung und die Bäuer*innen können so auch nicht ausreichend bei der Anpassung unterstützt werden. In diesem Kontext reicht es nicht aus, einfach nur “vielfältige Landschaftselemente auf landwirtschaftlichen Flächen” zu fordern. Die Verantwortung für das Erreichen der Ziele muss unter allen verschiedenen Akteuren des Sektors und der Wertschöpfungsketten gerecht aufgeteilt werden. Ebenso müssen die Bäuer*innen an dem Prozess beteiligt werden, in dem festgelegt wird, wie diese Aufteilung und Gestaltung umgesetzt werden soll. Es ist auch der völlig falsche Weg, den Verwaltungsaufwand auf den Höfen noch weiter zu erhöhen, da dies weiteren unangemessenen Druck auf die bäuerlichen Betriebe ausübt, ohne zugleich die großen agroindustriellen Unternehmen anzutasten oder deren Praxis in Frage zu stellen.
Symptome statt Ursachen
– Der Vorschlag zielt zwar darauf ab, wild lebende Tiere (insbesondere Bestäuber und Feldvögel) und Ökosysteme (insbesondere Moore) zu unterstützen, enthält aber keine Maßnahmen zum Schutz der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und unternimmt nichts, um die Industrialisierung der Landwirtschaft zu stoppen: Man kann nicht gegen ein Symptom angehen, ohne die Ursachen zu bekämpfen. Das Gesetz enthält weder Vorschläge zur Bekämpfung von Massentierhaltung, noch zum Umgang mit kostspieligen und umweltschädlichen neuen Technologien, die die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und knappen Rohstoffen weiter erhöhen. Es geht nicht auf Probleme mit der „Präzisionslandwirtschaft” oder der (neuen) Gentechnik ein: Darüber sollen lebendige Organismen manipuliert werden, um sie sich anzueignen und Patente darauf zu sichern. Die Gentechnik stellt eine ernste Gefahr für die Umwelt und die Gesundheit der Bürger*innen dar. Zugleich steht dieses Modell in direkter Konkurrenz zur kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Es hält darüber hinaus junge Menschen davon ab, einen landwirtschaftlichen Betrieb zu gründen, was sich auf die Qualität unserer Lebensmittel und auf den Schutz der natürlichen Umwelt in Europa und darüber hinaus auswirkt.
Vielfalt in den Landschaften statt Abschottung
– Schließlich ist die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme zwar wichtig, aber die EU muss davon abgehen, Land- und Meeresflächen nach einem prozentualen Ansatz für den Naturschutz zu reservieren. Dies ist ein falscher Lösungsansatz, dem es an einem ganzheitlichen Verständnis mangelt. Dies könnte auch allzu leicht die Finanzialisierung lebendiger Organismen weiter vorantreiben. Diese überholte Vision, die darauf abzielt, die so genannte “wilde” Natur einzuhegen und abzuzäunen, hat sich nach 50 Jahren wissenschaftlicher Forschung als unwirksam erwiesen. Sie verkennt die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen der Umwelt und den menschlichen und landwirtschaftlichen Aktivitäten auf Höfen, die einen agrarökologischen Ansatz verfolgen. Das gleiche gilt für den Wert nachhaltig und gut bewirtschafteter Weiden, Commons und Allmenden und indigener Territorien, um nur einige zu nennen.
Wie die Forschung zeigt, kann die Agrarökologie Europa ebenso ernähren wie den Planeten. [2] Das europäische Agrarmodell kann sich weiterentwickeln und gleichzeitig die Umwelt schonen. Wir müssen nun einen Weg zu diesem tragfähigen Übergang finden, wie wir ihn in unserem „Manifest für einen Wandel in der Landwirtschaft, um die systemischen Klimakrisen zu adressieren“[3], beschrieben.
European Coordination Via Campesina, der europäische Dachverband von La Via Campesina, bei dem auch die ÖBV Mitglied ist.
—–
[1] Der Text wurde am 21. Juni veröffentlicht, also vor den Abstimmungen im EU-Parlament.
[2] P.-M. Aubert, M.-H. Schwoob, and X. Poux: Agroecology and carbon neutrality in Europe by 2050: what are the issues? Findings from the TYFA modelling exercise. IDDRI. Paris, 2019. https://tinyurl.com/ycywma8r