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Hansalim: Eine fair-sorgende Bewegung published on

Hansalim: Eine fair-sorgende Bewegung

In Südkorea hat sich eine beeindruckende Genossenschaftsbewegung entwickelt: Eine Bäuer*innen-Konsument*innen-Bewegung, die in Solidarität und Sorge füreinander verbunden ist. Kann dieses Beispiel auch Bewegungen in Österreich und Europa inspirieren?

Von Jonathan Dolley und Markus Blümel

Ich, Jonathan Dolley, bin britischer Wissenschafter und forsche seit Jahren zu Hansalim. Wie funktioniert diese Genossenschaft? Und was lässt sich daraus lernen? Anfang September wurde ich von der Genossenschaft “morgenrot eG” nach Österreich eingeladen, um mit Bäuer*innen, Konsument*innen, Forscher*innen und Politiker*innen über solidarische und transformative Lebensmittelnetzwerke zu sprechen. Das Ziel war, interessante Einblicke in dieses Forschungsprojekt zu Hansalim zu geben.

Eine große Bewegung

2.300 Höfe sind es, die in Südkorea bei Hansalim dabei sind. Diese haben sich zu 136 Erzeugergemeinschaften zusammengeschlossen, welche in größeren Erzeugerverbänden organisiert sind. Diese wiederum koordinieren sich in einem nationalen Dachverband. Demgegenüber sind 800.000 Konsument*innen in “Hansalim Lebens-Genossenschaften” organisiert. Diese betreiben Läden, leisten Aufklärungsarbeit und vieles mehr. Sie sehen sich deshalb auch längst nicht mehr als bloße Konsument*innen, die die Lebensmittel nur “verbrauchen”. Sie sehen sich in Solidarität mit den Erzeuger*innen und mit der Natur verbunden. Gemeinsam sind sie Hansalim. Hansalim wurde 1986 in Südkorea gegründet und ist heute ein bedeutender Zusammenschluss von autonomen Genossenschaften, in denen Erzeuger*innen und Konsument*innen füreinander Verantwortung übernehmen.

Die Philosophie

Hansalim bedeutet, „alle Dinge zu (er)nähren und wiederzubeleben“[1]: Es geht um die Bereitstellung sicherer, gesunder und umweltfreundlicher Lebensmittel, die als Symbol der gegenseitigen Fürsorge und Solidarität zwischen Konsument*innen und Erzeuger*innen (Babsang Salim)[2] geschätzt werden. Die “Wiederbelebung der Landwirtschaft” (nongup-salim) zielt darauf ab, den Erzeuger*innen ein stabiles und nachhaltiges Auskommen zu sichern und definiert die Verantwortung, die die Konsument*innen für das Auskommen der Erzeuger*innen übernehmen. „Saengmyeong Salim“ bedeutet die Förderung des Wohlbefindens und des gegenseitigen Gedeihens aller Dinge durch eine Veränderung des Bewusstseins und der Beziehungen zu sich selbst, zu anderen und zur nichtmenschlichen Welt. “Jiyeok Sallim” zielt darauf ab, lokale Gemeinschaften, insbesondere in marginalisierten und ländlichen Gebieten, durch praktische und beziehungsorientierte Unterstützung zu stärken.

73 % an die Erzeuger*innen

Auf praktischer Ebene drückt sich diese Philosophie folgendermaßen aus: Vom Preis eines Produkts, den die Konsument*innen zahlen, gehen 73 % an die Erzeuger*innen. Die restlichen 27 % decken die Kosten für Hansalim: Arbeit, Logistik, Werbung, Bildung, Gewerkschaftsaktivitäten und Unterstützung für die Unterprivilegierten. Für die wichtigsten Kulturen – wie Reis – werden Preise und Mengen einmal im Jahr im Voraus vereinbart. Dafür finden Sitzungen zwischen Vertreter*innen von Erzeuger*innen, Verbraucher*innen und Arbeiter*innen und Angestellten statt. Auf diese Weise ist Hansalim in der Lage, die Preise trotz der Preisschwankungen auf den regulären Lebensmittelmärkten stabil zu halten. Als zusätzliche Solidaritätsmaßnahmen subventionieren ein „Preisstabilisierungsfonds“ Rabatte auf überschüssige Lagerbestände und ein „Produktionsstabilisierungsfonds“ dient zur Unterstützung von Erzeuger*innen, deren Ernten durch Naturkatastrophen beschädigt wurden.

Das Produktionssystem von Hansalim lässt eine Reihe von Produktionsphilosophien zu. Das ermöglicht den Erzeuger*innen ein Höchstmaß an Autonomie. Für die Konsument*innen gibt es ein Kennzeichnungssystem. Dieses ist einfach aufgebaut und umfasst vier Labels: 1. „Biologisch“ (wobei die Standards über dem nationalen Bio-Standard liegen), 2. „pestizidfrei“, 3. „pestizidarm“ und 4. „einheimisch“. Außerdem ist es für die Bäuer*innen möglich, nicht nur für Hansalim zu produzieren, sondern auch andere Kanäle zu beliefern: Das können Schulkantinen ebenso sein wie eigene zusätzliche Absatzkanäle.

Gegenseitige Unterstützung

Von Anfang an war es wichtig, dass es gelebte soziale Beziehungen zwischen Bäuer*innen und Konsument*innen gibt. Das reicht von der Hilfe bei arbeitsintensiven Phasen oder beim Unkrautjäten bis hin zu gemeinsamen Festen. Ein eigenes Ausbildungssystem ist dabei auch sehr hilfreich. Auf diese Weise wird es möglich, angesichts der kapitalistischen Trennung zwischen Produzent*innen und Konsument*innen neue Brücken zu schlagen.

Ursprünglich waren wirtschaftlich marginalisierte Bäuer*innen eine wichtige Triebfeder für die Gründung von Hansalim. Zusätzlich war es möglich, verschiedene soziale Bewegungen zu vernetzen. So kamen ökologische, bäuerliche, Frauen- und Demokratisierungsbewegungen zusammen. Das hat wesentlich dazu beigetragen, dass Hansalim zu einer wachsenden und lebendigen Bewegung – und einer ernstzunehmenden wirtschaftlichen Alternative geworden ist. Es ist ein Modell entstanden, das unter anderem dafür sorgt, dass die Leistungen und die Arbeit der Bäuer*innen anerkannt und gerecht entlohnt werden. Und es ist ein Modell, das ständig weiterentwickelt wird.

Inspiration für Bewegungen in Europa?

In Hansalim wird der Fokus immer auf das Schaffen und Stärken von Beziehungen, auf Lernen und Bildung und demokratische und Teilhabe ermöglichende Prozesse gelegt. Die Vision führt dabei in ein alternatives Wirtschaftssystem, das den Kapitalismus in Frage stellt. Die Motive für Kooperation liegen dabei nicht einfach nur in engen ökonomischen Gesichtspunkten, sondern es liegt eine spirituelle, soziale und ökologische Motivation zugrunde. Dies bedeutet, dass soziale und ökologische Ziele einer engen ökonomischen Effizienz übergeordnet werden. Ebenso ist die Teilhabe und Partizipation der Mitglieder ein höheres Ziel als einzig der finanzielle Gewinn. In diesem Sinne liegen darin Ansatzpunkte für eine demokratisierte Wirtschaft mit sozialen und ökologischen Zielen. In Europa könnte insofern aus diesem Beispiel gelernt werden: Alternative Lebensmittelnetzwerke können als möglicher Teil einer anderen Wirtschaft gesehen werden. Lebensmittel und Ernährung ist dann nicht nur ein „Produkt“, sondern in Lebensmitteln ist ein ganzes Universum an Bedeutungen und Beziehungen eingebettet. Wenn das so ist, dann geht es nicht nur um andere ökonomische Formen des Tausches. Lebensmittel sind vielmehr eine mögliche Tür in eine grundlegend andere demokratisierte Wirtschaft, welche eine ganze Reihe menschlicher Grundbedürfnisse deckt: Nahrung, Sorge, Kleidung, Wohnen, Gesundheit, Mobilität, … In diesem Sinne können alternative Lebensmittelnetzwerke (FoodCoops, solidarische Landwirtschaften u.v.m.) Lernräume für diese Vision bieten. Und genau deshalb müssen gegenseitige Lernprozesse und demokratische Prozesse der Startpunkt für diese Initiativen sein – und nicht etwas, das erst später hinzugefügt werden kann.

Jonathan Dolley, Universität Sussex (UK) und Markus Blümel, RCE Graz-Styria, Zentrum für nachhaltige Gesellschaftstransformation, Universität Graz

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift “Wege für eine Bäuerliche Zukunft”, Ausgabe 379, 4/2023 mit dem Schwerpunkt “Bäuerliche Agrarökologie” erschienen.

Foto: (c) Jonathan Dolley

[1] Das “Salim” in “Hansalim” bedeutet “wiederbeleben” und “(er)nähren”, „Han“ bedeutet, dass „alles in einem enthalten ist“.

[2] „Babsang salim“ steht für „Lebensmittel und Ernährung wieder aufleben lassen“