Immer mehr Bauern und Bäuerinnen fragen sich, wie sie mit ihrem Einkommen auskommen sollen. Wir haben uns dazu mit Frieder Thomas auf die Suche nach Ansatzpunkten gemacht.
Interview mit Frieder Thomas (wiss. Mitarbeiter im Kasseler Institut für ländliche Entwicklung e.V. und Geschäftsführer des AgrarBündnis e.V. in Deutschland)
Die Kurzfassung dieses Interviews ist in der Zeitschrift „Wege für eine Bäuerliche Zukunft“ Nr. 363/364 im Oktober 2020 erschienen.
Franziskus Forster (FF): Was sind die Ursachen und Probleme in Bezug auf die Einkommenslage für Bauern und Bäuerinnen?
Frieder Thomas (FT): Die Ursachen sind enorm vielfältig und haben viel mit den Besonderheiten der Landwirtschaft zu tun.
Zunächst ist jedoch festzustellen, dass sich Erzeuger*innenpreise in einer Marktwirtschaft nur begrenzt am „Wert der Produkte“ bzw. an einer wie auch immer formulierten „Angemessenheit“ orientieren. Sie entstehen vielmehr im Zusammenspiel von Angebot, Nachfrage und dem mehr oder weniger freien Spiel der Marktkräfte. Dass sie nicht den Wert der Dinge widerspiegeln, ist sogar genau das, was man von Preisen in einer Marktwirtschaft erwartet: In einer Marktwirtschaft ist es die Aufgabe von Preisen, durch Preisschwankungen Anreize zu geben, zu produzieren oder eben auch nicht zu produzieren. Dadurch sollen Angebot und Nachfrage in ein Gleichgewicht gebracht werden. Das bedeutet jedoch, dass der Preis von im Prinzip wertvollen Produkten sinkt, wenn sie im Überfluss vorhanden sind.
Das Besondere in der Landwirtschaft ist aber – und dadurch werden unregulierte („freie“) Märkte wirklich zu einem Problem – dass die ökonomischen Theorien hier nicht wirklich funktionieren. Dazu ein paar Beispiele: Bäuerliche Familienbetriebe hatten früher einen relativ hohen Anteil an Eigenland. Das hat keine Kosten verursacht. Auch die eigene Arbeit ist kein Kostenfaktor. Sie muss ja nicht monetär bezahlt werden. Das wiederum führt bei sinkenden Preisen nicht dazu, dass Arbeit reduziert wird, sie ist ja kein Kostenfaktor. Eher im Gegenteil: Da man den sinkenden Preisen kaum etwas entgegensetzen kann, versuchen viele sogar noch mehr zu arbeiten (das erzeugt ja keine realen Kosten) und noch mehr zu produzieren, um den Preisverlust auszugleichen. Das ist natürlich keine Lösung für das Problem sinkender Preise. Es kommt hinzu, dass man bei naturgebundener Produktion nicht wie bei einem Fließband einfach den Strom abschalten, die Belegschaft in Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit schicken und die Aufträge bei den Zulieferern stornieren kann. Zumindest die größten Kostenfaktoren wären damit schon mal erheblich reduziert. In der Landwirtschaft müssen die Kühe aber weiterhin gefüttert werden. Und den auf dem Acker wachsenden Weizen einfach nicht mehr zu ernten ist auch nicht ratsam. Das Einsparpotenzial eines Produktionsstopps nur bei der Ernte ist minimal. Aus meiner Sicht ist es daher ein großer Fehler, dass die Europäische Union keine aktive Marktpolitik mehr betreibt.
Auch in der Wertschöpfungskette ist die Macht der Landwirt*innen so gering, dass sie kaum einen Einfluss auf die Erzeugerpreise haben. Absprachen sind kaum möglich oder sogar kartellrechtlich verboten. Letztendlich steht eine sehr große Menge an Anbieter*innen wenigen Abnehmer*innen gegenüber. Die Landwirt*innen stellen keine Rechnungen, sie sind abliefernde „Preisnehmer*innen“. Sie nehmen das, was sie bekommen (können). Selbst in ihren eigenen Genossenschaften ist es nicht besser. Hinzu kommt, dass sich die Lebensmitteleinzelhandelsketten einen enormen Preiskampf liefern. Ihre Gewinne erzielen sie nicht durch hohe Gewinnmargen, die sind so gering wie sonst in kaum einer Branche. Es kommt allein auf die Masse des Umsatzes an. Ein solches System ist auf Preisdrückerei angelegt.
Auch die Globalisierung leistet einen Beitrag: Zwar kann man ihr einen Beitrag zur Ernährungssicherung in Krisenzeiten nicht absprechen. Aber Globalisierung heißt, dass selbst bei schlechten lokalen, regionalen oder nationalen Ernten die Preise nicht steigen. Eine solche Preissteigerung würde bei den Landwirten zumindest einen Teil des Verlustes ausgleichen. Aber heute werden Defizite der Versorgung über den globalen Handel ausgeglichen. Auch hier funktioniert der sogenannte freie Markt nicht im Sinne einer Einkommenssicherung für Landwirt*innen.
FF: Welche Strategien gibt es gegen diese Tendenzen?
FT: Existenzsichernd war in der jüngeren Vergangenheit oft die sogenannte Diversifizierung. Das heißt, man hat Nischenmärkte entwickelt, in denen Marktmacht und Globalisierung noch nicht so stark ausgeprägt sind. Meist handelt es sich um Qualitätsprodukte für eine besondere Konsument*innenschaft. Aber auch hier beobachten wir: Je erfolgreicher die Bauern und Bäuerinnen auf diesen Märkten sind, umso bedrohlicher wird die sogenannte „Konventionalisierungsfalle“: Das heißt auch hier gelten nach und nach Gesetze der Massenmärkte. Ansatzweise erfolgreich sind Dienstleistungen rund um die Landwirtschaft herum – von Verarbeitung über Direktvermarktung bis Urlaub am Bauernhof. Denn in diesen Bereichen ist der Druck von Markt und Globalisierung noch nicht ganz so stark ausgeprägt. Zu beobachten ist allerdings, dass eine solche Vielfalt auf den Höfen auch zu einer extremen Arbeitsbelastung führen kann. Nicht jede Form der Diversifizierung ist daher eine Lösung.
Als agrarpolitische Lösung wird viel über Förderpolitik geredet. Diese ist natürlich notwendig. Zum einen um die ganz natürlichen Standortunterschiede zwischen extrem fruchtbaren Böden in der Magdeburger Behörde und der Berglandwirtschaft auszugleichen. Zum anderen um die besonderen Anstrengungen im Bereich von Umwelt oder Tierschutz, die über dem gesetzlichen Standard liegen, zu honorieren. Denn die Verbraucher*innen tun dies nicht in ausreichendem Maße. Gegen solche Fördermaßnahmen spricht nichts. Als Bürger*innen bzw. Steuerzahler*innen sind die Menschen offensichtlich eher bereit, den Transferleistungen an die Landwirtschaft zuzustimmen, als an der Ladentheke selbst dafür Verantwortung zu übernehmen.
Allerdings muss man gerade bei vielen staatlichen „Förder“programmen deutlich machen: Eigentlich handelt es sich gar nicht um eine Unterstützung des Einkommens der Landwirt*innen, sondern nur um einen Ausgleich des Nachteils. In Bezug auf das Einkommen der Landwirt*innen dürfen diese Programme vom Prinzip her den Landwirt*innen gar keinen besonderen Vorteil bringen. D.h. konkret: die wirtschaftlichen Nachteile ökologischen Landbaus gegenüber einer konventionellen Bewirtschaftung werden ausgeglichen. Das Einkommen der Landwirt*innen, die auf eine umweltschonende Bewirtschaftung umgestellt haben, bleiben aber auf dem gleichen Niveau. Und wenn es vorher schon ruinös war, dann ist es nach dem Ausgleich – der eben keine Förderung ist – weiterhin nicht viel besser.
Was mir nicht gefällt: Häufig wird auf die besondere Bedeutung der Fördermittel für die Gewinne der Betriebe hingewiesen und daher sind sie das Mittel der Wahl. Nimmt man aber die gesamten Erlöse eines landwirtschaftlichen Betriebs, überwiegen die Einkommen am Markt gegenüber den staatlichen Fördermitteln bei weitem. Daher wären politische Maßnahmen zur Beeinflussung der Erzeugerpreise durchaus geeignet, um ein angemessenes Einkommen in der Landwirtschaft zu organisieren.
FF: Ich komme nochmal auf die Arbeit zurück: Zusätzlich ist ja Arbeit in der Landwirtschaft an vielen Punkten auch das, was es für die Pflege und den Erhalt der Ressourcen und der Substanz, sowie das Absichern der Zukunft braucht. Dinge also, wo es erstmal um die Grundlagen geht. Wenn das aber mit steigenden Kosten bzw. Abgaben (Sozialversicherungsbeiträgen, Steuern, Krediten oder Zukauf etc.) verbunden ist oder wenn aufgrund der schlechten Marktlage woanders mehr Arbeit reingesteckt werden muss, dann sind schnell Grenzen erreicht. Das ist denke ich der Druck, von dem wir reden… Wenn nun die Agrarpolitik etwa auf „Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit“ ausgerichtet ist, dann werden die Betriebe auch noch gegeneinander ausgespielt. Wenn dann zugleich „ökologischer“, „tiergerechter“ und „sozialer“ gewirtschaftet werden soll, dann kann das ja nicht gut gehen. Was braucht es, damit sich die Arbeit lohnt und sinnvoll Landwirtschaft betrieben werden kann? Was kann man am Hof konkret machen und wo siehst Du da zukünftigen Bedarf und Chancen?
FT: Puhh, keine einfache Frage. Ich versuche das mal über einen Umweg zu beantworten. Ich betrachte Arbeit als eine von mehreren Ressourcen, die notwendig sind, um Landwirtschaft zu betreiben. Die anderen Ressourcen sind Boden, Dünger, Pflanzenschutz, Maschinen und anderes mehr. Vor der industriellen Revolution und vor der Erfindung von Mineraldünger und Pflanzenschutzmitteln waren die „natürlichen Ressourcen“ eher knapp, während Arbeit(szeit) reichlich vorhanden war. In der bäuerlichen Gesellschaft kosteten die Mitarbeiter*innen (Knechte und Mägde) eher nichts. Sie waren zwar Kostgänger, aber sie wurden nicht monetär entlohnt. War die Ernte schlecht, mussten sie genauso den Gürtel enger schnallen und weniger essen, wie die Bauersleute. Die natürlichen Ressourcen, die man besaß – Boden, Bodenfruchtbarkeit, aber auch Rest- und Abfallstoffe – wurden gehegt und gepflegt. Es gibt Beispiele, wo erodierter Boden wieder den Berg hochgetragen wurde. Diese Situation hat sich umgedreht. Fremdarbeit ist zum enormen Kostenfaktor geworden. Die natürlichen Ressourcen – Düngemittel, Pflanzenschutz und bis vor kurzem auch Boden – sind hingegen unglaublich billig geworden. Statt aufwändig vielfältige Fruchtfolgen zu organisieren, wird gespritzt. Einen Betriebskreislauf mit Vieh und Leguminosen braucht man nicht mehr. Arbeitsextensiver viehloser Ackerbau ist, wenn man die Flächen dazu hat, außerordentlich rentabel. Nun hat sich aber herausgestellt, dass Rationalisierung (Arbeitseinsparung) und der exzessive Einsatz von natürlichen und industriell hergestellten Ressourcen zu enormen Kollateralschäden an Umwelt und Natur führen kann. Ich bin kein Anhänger der These, dass die Landwirtschaft schon aus Eigeninteresse am Erhalt der natürlichen Grundlagen interessiert sei. Die Buchhaltung signalisiert etwas ganz anderes. Daher haben Bäuerinnen und Bauern folgerichtig gehandelt und Arbeitskräfte abgebaut, rationalisiert und mechanisiert.
Die Gesellschaft ist vor allen Dingen an einer Vermeidung der Kollateralschäden interessiert. Bäuerliches Einkommen spielt dabei eine geringere Rolle. Am einfachsten geht das mit Ordnungsrecht, indem schädliche Produktionsformen einfach verboten werden. Ganz einfach ist das aber nicht, wenn man in internationale Zusammenhänge eingebunden ist. Eine weitere Möglichkeit wäre es, den Einsatz der oben genannten billigen Ressourcen zu verteuern, indem Abgaben und Steuern erhoben werden. Dabei steigen aber die Kosten für den Input. Und es trifft (fast) alle Landwirte. Möglicherweise würden bäuerliche Produktionsformen, die mit einem höheren Arbeitsaufwand verbunden sind, Schritt für Schritt wieder wettbewerbsfähiger. Aber das ist nicht sicher. Also sind diese Strategien zwar umweltrelevant, aber kaum einkommenswirksam. Denn bei der vorherigen Frage habe ich schon angedeutet, dass die Landwirtschaft nicht in der Lage ist, ihre steigenden Kosten innerhalb der Wertschöpfungskette weiterzureichen. Die andere Variante ist die, die bisher häufig gewählt wird: durch staatliche Förderprogramme wird der zusätzliche Arbeitsaufwand umweltverträglicher Produktionsformen honoriert.
Das wären die „Systemvarianten“, also agrarpolitische Instrumente, um die Rahmenbedingungen so zu verändern, damit eine bäuerliche Landwirtschaft, die tendenziell arbeitsintensiv und ressourcenextensiv ist, etwas wettbewerbsfähiger wird.
Aber wir können ja nicht nur auf den Systemwandel warten und wie gesagt: wirklich einkommenswirksam sind die genannten Strategien nicht. Die Frage ist: Was können Bauern und Bäuerinnen machen, die der aktuellen Entwicklung kritisch gegenüberstehen? Sie müssen sich auf die Suche nach erfolgreichen Varianten innerhalb des marktwirtschaftlichen Systems machen, die nicht alleine auf maximale Kapitalrendite ausgerichtet sind. Klassiker dabei sind Genossenschaften, auch wenn in der Geschichte der Landwirtschaft hier einiges schiefgelaufen ist. Aber Genossenschaften sind vom Prinzip her nicht gewinnorientiert, sondern darauf angelegt, ihre Mitglieder kostengünstig zu versorgen. Wohnungsbaugenossenschaften sind keine Miethaie, sondern versuchen unter marktwirtschaftlichen Bedingungen ihre Mitglieder mit bezahlbarem Wohnraum zu versorgen. Als der ökologische Landbau noch in den Kinderschuhen steckte, entstanden Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaften: Nicht um Gewinne zu machen, sondern um die Mitglieder günstig mit Ökoprodukten zu versorgen. Ähnlich sieht es bei den derzeit vielfach entstehenden Betrieben der solidarischen Landwirtschaft aus. Und bei der vorherigen Frage habe ich schon angedeutet, dass auf regionalen und Qualitätsmärkten arbeitsintensive bäuerliche Wirtschaftsweisen durchaus wettbewerbsfähig sein können.
Eine andere Variante sind Wirtschaftsformen mit geringerem Ressourceneinsatz, die dennoch wirtschaftlich sind. Gut bekannt ist der ökologische Landbau mit seinem Verzicht auf Mineraldünger und chemisch synthetischen Pflanzenschutz. In der letzten Zeit gibt es vermehrt Untersuchungen über eine Milchviehhaltung ohne bzw. mit wenig Kraftfutter. Offenbar sind solche Systeme ökonomisch zumindest nicht schlechter als Wirtschaftsweisen mit hohem Input. Bei der Milch, bei der wir Überschüsse erzeugen und nun wirklich keine Notwendigkeit besteht, die Welt von hier aus damit zu versorgen, würden solche Systeme sogar sehr sinnvoll zu einer Reduktion der Überschüsse beitragen.
FF: Es ist ja offensichtlich, dass das bisherige Modell nicht ewig weitergehen kann, in den kommenden Jahrzehnten wird sich vieles ändern. Als ÖBV fordern wir, dass sich Arbeit in der Landwirtschaft lohnen muss, man muss zumindest davon leben können. Letztlich muss sich die Rolle von Arbeit in der Landwirtschaft und in der Gesellschaft insgesamt ändern. Du hast gemeinsam mit Onno Poppinga im Kritischen Agrarbericht[1] dazu geschrieben: Ihr sprecht von der Notwendigkeit der Umkehrung des bisherigen Prozesses der Verdrängung von Arbeit durch Kapital und Ressourcen. Und ihr sprecht von der Ausrichtung der Agrarpolitik auf ein „Kombi-Einkommen“ – auch als Weg, um den bisherigen Ressourceneinsatz zu reduzieren und Landwirtschaft zukunftsfähig und mit gesicherten Einkommen zu betreiben. Welche Wege könnten das sein?
FT: Zunächst zum Kombi-Einkommen[2]: Ich kenne viele Bäuerinnen und Bauern, die unbedingt ihr Einkommen über den Markt erwirtschaften wollen. Sie beklagen sich sehr oft, dass ihre Produkte nicht wertgeschätzt werden. Das kann ich gut nachvollziehen. Aber eine Marktwirtschaft hat wenig mit Wertschätzung zu tun. Ich habe mich schon über das Funktionieren von Märkten und die besonderen Umstände in der Landwirtschaft ausgelassen. Dabei habe ich zwar betont, dass die Agrarpolitik wieder stärker Marktstrukturpolitik betreiben sollte. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass das nicht ausreichen wird. Denn für die Landwirtschaft ist charakteristisch, dass mehrere Faktoren, die wesentlichen Einfluss auf die Höhe der einzelbetrieblichen Kosten und Erlöse und damit des Gewinns haben, vom Einzelbetrieb zumindest mittelfristig kaum beeinflusst werden können.
Es gibt drei verschiedene Gründe für öffentliche Transferleistungen, die dann in ein Kombi-Einkommen münden:
Erstens: Ein gesellschaftlich erwünschtes Produktionsverfahren über gesetzlichem Mindeststandard: Ein Betrieb hat ein ökologischeres, klimafreundlicheres, artgerechteres etc. Produktionsverfahren als die gute fachliche Praxis vorschreibt (bei ähnlicher Betriebsstruktur und gleichem Standort wie ein Vergleichsbetrieb). Diesen Betrieb durch Förderung zu unterstützen ist das, was die meisten meinen, wenn sie sagen „Honorierung ökologischer Leistungen“. Es geht um Produktionsverfahren die „gesellschaftlich erwünscht“ sind, aber
– weniger Ertrag bringen,
– mehr Arbeitsaufwand erfordern und/oder
– höhere Betriebsmittelkosten verursachen
und damit „teurer“ sind als herkömmliche und im Rahmen des Ordnungsrechts erlaubte Verfahren. Sie müssen „honoriert“ werden. Entweder über höhere Preise am Markt oder – weil das in der Regel nicht ausreichend funktioniert – durch öffentliche Mittel. Beispiele sind Agrarumweltprogramme, Förderung Ökologischer Landbau, Strohhaltung, Förderung artgerechter Ställe u.a.m.
Zweitens der Standortnachteil: Die Landwirtschaft ist eine produzierende Branche. Bei fast allen anderen Branchen gilt: Mit der Zeit „optimiert“ sich der Produktionsstandort. Die Textilindustrie ist von Europa nach Indien oder China abgewandert. Uhren werden nur ab einem gewissen Standard noch in der Schweiz, sonst eher in China produziert. Aber gerade solche Standortverschiebungen sollten in der Landwirtschaft nicht vorkommen. Jeder Hektar wird gebraucht, wenn die Welt ernährt werden soll. Das ist eine Besonderheit, die die Landwirtschaft von fast allen anderen Branchen unterscheidet. Es muss gewährleistet werden, dass auch auf schlechteren Böden wirtschaftlich Landwirtschaft betrieben werden kann. Aber je nach Standort – Schwarzwald oder Magdeburger Börde, Steilhang oder Ebene, trocken oder feucht – sind die Produktionsverhältnisse anders. Die Erträge sind (bei vergleichbaren Betriebsstrukturen und Produktionsverfahren) unterschiedlich. Die Preise richten sich natürlich nicht nach dem schlechtesten Standort. Wenn aber Landwirtschaft weiterhin flächendeckend erfolgen und wenn gleiche Arbeit zumindest ähnlich entlohnt werden soll, dann muss dies berücksichtigt werden. Daher müssen die standortgegebenen Vor- und Nachteile ausgeglichen werden.
Ein Beispiel aus dem Sport: Beim Skispringen sind die Windverhältnisse für jeden Springer anders, weil sie sich von Minute zu Minute verändern. Inzwischen gibt es je nach Windverhältnissen Plus- oder Minuspunkte, so dass man bei schlechten Windverhältnissen auch mit einem etwas kürzeren Sprung gewinnen kann.
Es gibt solche Programme zur Förderung benachteiligter Gebiete. Sie sind aber ausbaufähig.
Drittens: Struktureller Nachteil: Größere Betriebe haben gegenüber kleineren Betrieben Kostenvorteile („economies of scale“: billigerer Bezug von Betriebsmitteln je Einheit, rationellere Maschinennutzung, Molkereien zahlen Zuschläge bei größeren Mengen etc.). Eine bäuerliche Agrarstruktur wird von den Agrarmärkten nicht honoriert. Eine Folge ist der Strukturwandel. Auch hier bleibt es eine gesellschaftliche Aufgabe durch öffentliche Mittel Anreize zu schaffen, dass sie erhalten bleibt. Dabei handelt es sich – wohl gemerkt! – nicht um Sozialpolitik, wie leider immer wieder geäußert wird, sondern um Strukturpolitik. Es geht nicht darum, den armen Bäuerinnen und Bauern das Überleben zu sichern. Es geht darum, eine bäuerliche Agrarstruktur zu erhalten. Die Argumentation in diese Richtung sind bekannt: Krisenfestigkeit, Resilienz, vielfältige Kulturlandschaften und anderes mehr. Ein allererster Ansatz sind die höheren Zahlungen für die ersten Hektare (Stärkung kleinerer Betriebe) und eine Staffelung bzw. Kappung der Flächenzahlung bei größeren Betrieben (in Deutschland nicht umgesetzt, aber theoretisch möglich).
Es gibt in der Landwirtschaft also drei wesentliche, aber in ihrer Begründung unterschiedliche Aspekte, die eine öffentliche Förderung plausibel erscheinen lassen. Ich habe in der aktuellen Debatte den Eindruck,
dass Grund 1 (gesellschaftliche Leistungen) breite Akzeptanz erfährt,
dass Grund 2 (Ausgleich von Standortnachteilen) kaum diskutiert wird und,
dass Grund 3 „gefühlt“ (Strukturpolitik) von vielen akzeptiert wird; aber mehr aus Solidarität für die Kleinen, weniger nach einem Bedürfnis für eine nachhaltige und Resilienz-Landwirtschaft.
Und nun noch mal zum Thema Arbeit: Ich war vor einigen Jahren an einem Projekt beteiligt, bei dem wir Modelle entwickelt haben, wie man die Flächenprämie der Europäischen Agrarpolitik (1. Säule) in Arbeitsprämien umwandeln kann. Damals sind wir mit unseren Ideen politisch gescheitert und ich sehe derzeit auch keine konkret auf die Agrarpolitik bezogenen Versuche, diese Idee wieder aufzugreifen. Was derzeit en vogue ist, ist die Verteuerung der Ressourcen wie Düngemittel oder Pflanzenschutz. Das führt dazu, dass arbeitsintensivere Methoden (vielfältige Fruchtfolgen) wettbewerbsfähiger werden. Man könnte natürlich auch direkt die Ressource „menschliche Arbeit“ fördern; das war ja unsere ursprüngliche Idee. Ich muss zugeben, dass unsere Modelle aus heutiger Sicht auch Schwachstellen hatten. Fördert man Arbeit zu undifferenziert, wird sie wahrscheinlich eher in die Tierhaltung investiert als in vielfältige Fruchtfolgen. Genau das Gegenteil ist aber derzeit angesagt.
FF: Stichwort Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik. Du hast ja nun bereits einige Reformen und die zugehörigen Debatten miterlebt und dich im besten Sinne „eingemischt“. Welche Fragen treiben dich aktuell um? Welche Perspektiven sind in der neuen GAP bereits absehbar? Worauf wird es für Bauern und Bäuerinnen, die zukunftsfähig wirtschaften wollen, ankommen?
FT: Ja, ich habe tatsächlich schon mehrere Agrarreformen mitbekommen und es ist frustrierend, wie beharrlich die Flächenprämien Bestand haben. Aber ich möchte die Gelder der 1. Säule nicht in die Freiwilligkeit der 2. Säule schieben. Für die Einkommenssicherung in der Landwirtschaft brauchen wir ein Kombi-Einkommen, und das würde ich ganz gerne mit der 1. Säule organisieren. Wir kämpfen daher auch für Bedingungen („Qualifizierung“) in der 1. Säule. Die EU hat mit den „Eco Schemes“ sogar ein Instrument dafür geschaffen. Die AbL und auch der Deutsche Verband für Landschaftspflege haben dafür Modelle entwickelt. Dabei geht es da nicht darum, dass bäuerliche Arbeit gezielt als Arbeit unterstützt wird. Aber es gibt ja eine ganze Reihe von Merkmalen, die für bäuerliche Betriebe typisch sind, und die sehr gut in die Eco Schemes passen würden. Kleinere Betriebe haben eher kleinere Schläge. Tierhalter*innen mit kleineren Beständen halten ihre Tiere eher auf Stroh. Eine kraftfutterreduzierte Fütterung (für die man Kriterien formulieren kann) wird eher in bäuerlichen Betrieben praktiziert. Ich weiß, dass wir damit von der direkten Förderung bäuerlicher Arbeit weit entfernt sind. Pragmatisch sehe ich derzeit aber kaum eine andere Möglichkeit. Eine ganz andere Baustelle sehe ich in der Ausgestaltung der 2. Säule. Da brauchen wir dringend neue Investitionsprogramme. Aber nicht für neue Ställe, sondern für die Infrastruktur regionaler Wirtschaftskreisläufe. Aber auch bei mittelständischen Unternehmen, denen man in ihrer Entwicklung hilft, weiß man ja nicht so ohne weiteres, ob sie den regionalen oder auch den globalen Markt bedienen. Da braucht es noch ein paar gute Ideen, damit die Förderung wirklich bei den „Richtigen“ ankommt.
Vage im Kopf habe ich dann noch eine ganz andere Sache: Gerade wenn man wachstumskritisch an die Agrarpolitik herangeht, ist Investitionsförderung tendenziell nicht sinnvoll. Zwar ist nicht jedes Wachstum und jede Investition negativ. Aber eigentlich müssen wir von dem permanenten Hang zu Investitionen herunterkommen. Der Treiber für eine solche Politik ist vor allen Dingen die angeblich notwendige Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt. Davon müssen wir uns lösen. Wie man aber Betriebe mit wenig Input konkret unterstützen will, das müssen wir uns noch gut überlegen. Wahrscheinlich wird das nur über die Förderung konkreter Low-Input Produktionsverfahren gehen.
FF: Vielen Dank für das Gespräch!
Frieder Thomas ist seit 2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Kasseler Institut für ländliche Entwicklung e.V. (www.kasseler-institut.org) mit Schwerpunkt Agrarpolitik. Seit 2010 ist er Geschäftsführer des AgrarBündnis e.V. einem Dachverband von 26 Verbänden aus Landwirtschaft, Umweltschutz, Tierschutz, Entwicklungspolitik und Verbraucherschutz (www.agrarbuendnis.de). Frieder Thomas arbeitet derzeit u.a. an dem Projekt „Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik ab 2020: Perspektiven und Empfehlungen für eine Verbesserung der Grünlandbiodiversität über kraftfutterreduzierte Produktionsstrategien in der Milchviehhaltung“ mit. Nähere Informationen unter: http://www.kasseler-institut.org
[1] Onno Poppinga und Frieder Thomas (2013): „Arbeit muss sich lohnen! Argumente für eine Bindung der EU-Direktzahlungen an den Faktor Arbeit“. In: Kritischer Agrarbericht 2013. https://www.kritischer-agrarbericht.de/2013.319.0.html
[2] „Kombi-Einkommen“ steht für eine Verschiebung in der Agrarpolitik, in der die Einkommensentstehung in der Landwirtschaft jetzt so organisiert ist, wie sie für Bereiche charakteristisch ist, bei denen es um die Erfüllung öffentlicher Aufgaben geht. Beim öffentlichen Personennahverkehr, beim sozialen Wohnungsbau, bei Kindergärten, Theatern und vielem anderen mehr setzt sich das Einkommen der Betriebe aus Erlösen am Markt und aus Direktzahlungen zusammen (= Kombi-Einkommen). (…) Bei den Bereichen, die als öffentliche Aufgabe angesehen werden, würde eine ausschließliche Regelung über Märkte zu unerwünschten Ergebnissen führen.
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Exkurse zum Thema Preise und Einkommen (von Frieder Thomas)
Faire Preise – gerechte Preise
Die Forderung nach „fairen Preisen“ ist in der kritischen agrarpolitischen Diskussion weit verbreitet. Doch welcher Erzeugerpreis ist fair? Ein einheitlicher Preis – egal ob er sich am Weltmarkt bildet oder ob andere Kriterien dafür maßgebend sind – hat für die regional, national und europaweit sehr unterschiedlichen Betriebe nicht die gleiche Existenz sichernde Bedeutung. Denn die Kostenstrukturen unterscheiden sich von Betrieb zu Betrieb: klein oder groß, spezialisiert oder vielfältig, Gunstlage oder Mittelgebirge, unterschiedliche regionale Strukturen der abnehmenden Hand usw. usw.
Es ist zwar möglich, durch verschiedene Formen der Mengensteuerung Preise steigen oder sinken zu lassen. Auch die Auslobung besonderer Qualitäten hat Einfluss auf den Erzeugerpreis. Um aber „fair“ zu sein, müssten Preise so gestaffelt sein, dass sie die besonderen strukturellen Eigenheiten der Betriebe berücksichtigen. Das ist aber ganz offensichtlich bei der Preisbildung am Markt nicht der Fall; und das ziemlich unabhängig davon, ob es sich um Massen- oder Qualitätsmärkte handelt.
Referenten einer AgrarBündnis-Tagung berichteten von Versuchen aus den Anfangsjahren des Ökologischen Landbaus, zwischen Landwirten und Verarbeitern solidarisch zu gerechteren Preisen zu kommen. Es zeigte sich bald, dass es „nie eine Einigung gab. Es gab immer divergierende Meinungen zwischen großen und kleinen Betrieben oder professionellen und weniger professionellen darüber, was ein gerechter Preis ist“[1]Aber auch wenn es nicht gelingt, allen Ansprüchen gerecht zu werden. Zu einem fairen Handel gehört, dass man sich „noch in die Augen schauen kann“[2] oder „auf gleicher Augenhöhe verhandelt.“[3]
Mindestpreise
Der grüne Parteivorsitzende Robert Habeck hat in einem 7-Punkte-Papier gefordert, dass „Billigfleisch“ ein Ende haben müsse. Im Lebensmitteleinzelhandel dürfe ein Mindestpreis für tierische Produkte nicht mehr unterschritten werden. Dieser Mindestpreis müsse die Produktionskosten berücksichtigen, damit auch Bäuerinnen und Bauern davon profitierten.[4] Dieser Punkt ist grundsätzlich zu unterstützen. Ein Mindestpreis an der Ladentheke führt aber noch nicht dazu, dass die höheren Erlöse auch innerhalb der Wertschöpfungskette an diejenigen weitergereicht werden, die bisher zu wenig am Kuchen erhalten haben. Es ist eine Illusion zu glauben, dass diese zusätzlichen Einnahmen freudestrahlend weitergereicht werden. Hier bedarf es konkreter Vorgaben.
Preise, die die Wahrheit sagen
In eine etwas andere Richtung gehen Überlegungen, dass Preise „die Wahrheit sagen müssen“. Dabei geht es nicht darum zu überlegen, was denn die Erzeuger von Lebensmitteln gerechterweise bekommen sollten. Im Gegenteil: Produkte mit negativen Nebeneffekten bei der Erzeugung sollen teurer werden. Aber nicht, damit die Produzenten davon profitieren, sondern beispielsweise durch zusätzliche Steuern, damit alle Kosten, die heute von der Gesellschaft getragen werden (Beseitigung von Umwelt- und Gesundheitsschäden), direkt von den Konsumenten solcher Produkte bezahlt werden. Gleichzeitig wären Ökoprodukte wegen der Verteuerung konventioneller Erzeugnisse konkurrenzfähiger.
Eine solche Vorgehensweise hätte erhebliche Lenkungswirkungen: Eine Nitrat- oder Pflanzenschutzsteuer hätte Lenkungswirkungen in Bezug auf die Umweltverträglichkeit der Landbewirtschaftung. Eine Steuer auf Fleisch hätte Lenkungswirkungen in Bezug auf den Umfang der Tierhaltung.
Inwieweit von solchen Steuern jedoch eine positive Einkommenswirkung für Landwirte ausgeht, bleibt offen.
[1] Krause, Volker: „Faire Preise für Erzeuger durch Qualitätsmarken“ Referat auf der Tagung „Biomarkt und soziale Lage“, 4. und 5. Oktober 2004 in Fulda
[2] Schaer, Burkhard: „Feed back für Arbeitsgruppe 2“ auf der Tagung „Biomarkt und soziale Lage“, 4. und 5. Oktober 2004 in Fulda
[3] Krause, Volker: „Faire Preise für Erzeuger durch Qualitätsmarken“ Referat auf der Tagung „Biomarkt und soziale Lage“, 4. und 5. Oktober 2004 in Fulda
[4] Habeck, Robert (2020): Der hohe Preis fürs billige Fleisch. Ein 7- Punkte-Plan zur Verbesserung der Lage in den Schlachthöfen. Manuskript