Skip to content
Feminismus in La Vía Campesina published on

Feminismus in La Vía Campesina

„Indem wir rebellieren, säen wir Kleinbäuerlichen Feminismus, bauen Ernährungssouveränität auf und organisieren uns gegen Krisen und Gewalt“ – das war der Slogan von La Vía Campesina zum internationalen Weltfrauentag im März 2023. Aber was ist Kleinbäuerlicher Feminismus?

Von Maria Naynar

Innerhalb von La Vía Campesina (LVC) entstand 2013 eine neue feministische Strömung: „Peasant and Popular Feminism“. Da es noch keine gemeinsame deutsche Übersetzung für dieses Konzept gibt, möchte ich diese Strömung hier „Kleinbäuerlicher Feminismus“ nennen.

Kleinbäuerlicher Feminismus basiert auf dem Kampf für bäuerliche Rechte und Ernährungssouveränität aus einer feministischen Perspektive: „Bäuerlich“ (engl. „peasant“), weil es um Lebensrealitäten im ländlichen Raum geht, und populär („popular“), weil sich diese feministische Strömung von anderen – städtischen oder akademischen – abhebt, und Bäuerinnen, Landarbeiterinnen, Migrantinnen, indigene Frauen etc., unabhängig von ihrer Herkunft, Klasse und Hautfarbe in den Fokus rückt. Auch innerhalb von LVC mussten sich Frauen erst ihren Platz erkämpfen. Nettie Wiebe war 1996 die erste Frau im internationalen Koordinationskomitee. Seither ist die Rolle von Frauen innerhalb der Organisation zu einem wichtigen Bestandteil geworden. Warum die feministische Perspektive in der LVC wichtig ist, erklärt Itelvina Masioli (LVC Brasilien) so: „Wenn wir über Ernährungssouveränität und Agrarreformen sprechen, müssen wir auch darüber sprechen, wie wir alle Formen von Gewalt an Frauen eliminieren können. Das erfordert ein Gespräch über neue Beziehungen zwischen Menschen, über die Verteidigung der Natur, Biodiversität, Saatgut und die Möglichkeit, eine andere Welt aufzubauen“.[1]

In diesem Sinne bedeutet Kleinbäuerlicher Feminismus, dass alle Menschen, unabhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung, gleichwertig und gemeinsam für ein Gutes Leben für Alle stehen. Auch Männer sind mitgemeint.

Grundlage für Ernährungssouveränität

„Feminismus bleibt ein essenzielles Werkzeug für Frauen, damit sie als gleichwertige Menschen behandelt werden. Es ist ein Prozess, der uns erlaubt, einen würdigen Platz in der Gesellschaft zu haben, gegen Gewalt zu kämpfen und auch, unser Land zurückzufordern, um es vor transnationalen und großen Agrarkonzernen zu schützen“, sagt Yoon Geum Soon (LVC Asia). Die Gleichstellung von Frauen zu erlangen ist ein kollektiver Prozess. Eine zentrale Forderung des Kleinbäuerlichen Feminismus ist das Sichtbarmachen von Sorgearbeit, die bisher vor allem Frauen für die Gesellschaft leisten. Durch gleichzeitige produktive und reproduktive Arbeit sind Frauen oft mehrfach belastet, was bisher kaum anerkannt wird. Hinzu kommt, dass Frauen Sorgearbeiten meist unbezahlt leisten. Kleinbäuerlicher Feminismus fordert auch einen gleichberechtigten Zugang zu Land. In vielen Ländern ist der Rechtsanspruch auf fruchtbares Land für Frauen, aus traditionellen Gründen oder auch durch den erschwerten Zugang zu finanziellen Ressourcen, mit vielen Hürden verbunden oder gar unmöglich.

Die Strömung kämpft für eine kleinbäuerliche Landwirtschaft und gegen eine Monopolisierung durch Agrarkonzerne, dazu gehört auch die Forderung, dass Saatgut in bäuerlicher Hand bleibt. Ein sehr praktisches Beispiel für Kleinbäuerlichen Feminismus ist ein Saatgutprojekt in Korea: Mrs. Kim erzählte bei der LVC-Frauenschule in Mosambik, dass das traditionelle Saatgut, z.B. von Reis, sehr oft in den Händen von Frauen ist. Sie verwalten sozusagen dieses Saatgut und haben zudem auch das wertvolle Wissen darüber. Das Projekt will mithilfe der Frauen* dieses Wissen und auch den Wert der Arbeit von Bäuerinnen sichtbar machen. Das beinhaltet auch den Kampf gegen ihre Unterdrückung.

Frauen gegen Gewalt

Eine bedeutende Rolle spielt auch die LVC-Kampagne gegen jede Form von Gewalt an Frauen und queeren Menschen. Sie ist 2008 in Mosambik entstanden und richtet sich gegen physische, ökonomische und psychische Gewalt, gegen Sexismus und jegliche Form der Unterdrückung in der Gesellschaft. Das Treffen in Mosambik hat noch einmal ganz klar gezeigt, dass wir Frauen, die aus so vielen verschiedenen Ländern der Welt kommen, vor sehr unterschiedlichen Herausforderungen stehen. So kämpfen Frauen in manchen Ländern ganz grundlegend für den Wert von Frauenleben, gegen Gewalt, Sexismus und Femizide. Für andere Gruppen steht das Mitspracherecht am Familienbudget, Eigentum und die Unabhängigkeit von Ehemännern im Zentrum. Wieder andere betonen die gleichberechtigte Möglichkeit zur Beteiligung am öffentlichen Diskurs, in politischen Gremien und die Mehrfachdiskriminierung auf Grund von Hautfarbe oder Klasse. Und trotzdem finden wir viel Gemeinsames. Die Rechte der Frauen im ländlichen Raum sind auch in Artikel 4 der UNDROP (UN-Deklaration für die Rechte von Kleinbauern und -bäuerinnen und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten) festgehalten. UNDROP ist ein Werkzeug, das wir für unsere Kämpfe als Frauen einsetzen können.

Kleinbäuerlicher Feminismus – Wozu?

Auch die Arbeit des ÖBV-Frauenarbeitskreises fügt sich in diese feministische Strömung ein. Wir arbeiten schon länger zum Thema Sorgearbeit: Dabei geht es nicht nur um Kindererziehung, Haushalt und die Pflege von nahen Angehörigen, sondern es ist v.a. auch die Sorge für die Natur und für das Klima miteinbezogen. Wir beschäftigen uns mit der sozialen Absicherung von Frauen in der Landwirtschaft und mit Gender Budgeting. Das alles kann dem Kleinbäuerlichen Feminismus zugeordnet werden. Aber ist es wichtig, die Arbeit der ÖBV-Frauen in eine eigene feministische Strömung einzuordnen? Ich denke, das Benennen könnte den Frauen innerhalb der LVC international helfen, sich besser zu vernetzen und die Arbeit sichtbarer zu machen. Wenn wir LVC-Frauen aus der ganzen Welt uns einer gemeinsamen Strömung zugehörig fühlen, könnte es auch unsere Verbindung und Solidarität über die Ländergrenzen hinaus verstärken. Kleinbäuerlicher Feminismus ist eine Chance, Geschlechtergerechtigkeit mit sozialer Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit zu verbinden.

 

Im ÖBV-Frauenarbeitskreis beschäftigen uns diese Themen schon lange. Weitere Artikel zum Kleinbäuerlichen Feminismus, zu seiner Einordnung und zu unterschiedlichen Zugängen und Herausforderungen werden folgen. Im nächsten Jahr wollen wir im Frauenarbeitskreis eingehender dazu diskutieren. Hast du Lust mitzudenken? Dann melde dich unter: frau[at]viacampesina.at

Maria Naynar ist aktiv im ÖBV-Frauenarbeitskreis und in der Arbeitsgruppe zur internationalen LVC-Vernetzung

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift “Wege für eine Bäuerliche Zukunft” Nr. 380, Nr. 5/2023 erschienen.

[1] Dieses und alle weiteren Zitate, sowie grundlegende Informationen für diesen Artikel stammen aus der Broschüre „The path of peasant and popular feminism in La Vía Campesina“ (Download hier), derzeit zugänglich auf Englisch, Spanisch, Französisch.