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Offener Brief: Bündnis fordert politische Schritte für Kleinbäuer*innen und andere Menschen, die in ländlichen Gebieten arbeiten published on

Offener Brief: Bündnis fordert politische Schritte für Kleinbäuer*innen und andere Menschen, die in ländlichen Gebieten arbeiten

Stay home but not silent

Offener Brief an die Landwirtschaftsministerin Köstinger und den Außenminister Schallenberg

Sehr geehrte Frau Ministerin Köstinger,
Sehr geehrter Herr Minister Schallenberg,

Im Zusammenhang mit Covid-19 wurde zum einen erneut die Verwundbarkeit des gegenwärtigen globalisierten Ernährungssystems deutlich, das von der industriellen Landwirtschaft dominiert wird. Zum anderen werden die Gefahren sichtbarer, die dieses System für alle Lebensformen bedeutet. Wir müssen aus dieser Krise lernen und in den Aufbau widerstandsfähiger, lokaler und regionaler, vielfältiger agrarökologischer Agrar- und Ernährungssysteme investieren. In diesem Zusammenhang wollen die unterzeichnenden Organisationen dieses Briefs eine klare Botschaft aussenden:

Bauern und Bäuerinnen, sowie kleine und mittlere Nahrungsmittelproduzent*innen werden gebraucht, um Ernährungssouveränität zu gewährleisten. Sie produzieren weiterhin Lebensmittel, ernähren die Menschen und sichern in diesen Krisenzeiten mehr denn je die regionale Lebensmittelversorgung.

Bäuerinnen und Bauern in ganz Europa sind Teil eines großen Netzwerks. Diese Gemeinschaften ernähren die Menschheit seit Generationen und nutzen dabei das Wissen, die Erfahrung und die Expertise von Generationen. Dennoch werden sie gegenwärtig ignoriert und benachteiligt. Heute setzen wir uns gemeinsam mit vielen anderen dafür ein, um dies zu ändern.

Viele EU-Politiken stehen im Widerspruch zu von der EU selbst gesetzten Ziele und scheinen vielmehr an den Interessen globaler Player und internationaler Märkte ausgerichtet zu sein. Der Green Deal steht im Gegensatz zur fortgesetzten Aushandlung von Freihandelsabkommen. Dies widerspricht jeder realistischen und glaubwürdigen Absicht, Klimaneutralität zu erreichen. Die EU hat versprochen, bei ihren Reformen und Transformationen niemanden zurückzulassen, aber sie versäumt es, in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) die sozialen Bedingungen zu berücksichtigen, die nötig wären, um beispielsweise angemessene Löhne und Bedingungen für erwerbstätige Arbeitsmigrant*innen auf dem Land garantieren zu können. Sie hat sich verpflichtet, Nahrungsmittel nachhaltig zu produzieren, weigert sich aber, den Landwirt*innen faire Preise zu garantieren, da es keine Markt- und Preisregulierung gibt. Im Sinne der Ernährungsgerechtigkeit muss stärkerer Einsatz dafür gezeigt werden, den Zugang zu frischen, nahrhaften, agrarökologisch produzierten Lebensmitteln für alle zu fördern, auch für sozial ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen. Indem sie ihre Politiken an einzelnen Sektoren ausrichtet, ist die EU nicht in der Lage, das Gesamtbild zu betrachten. Sie versäumt es dadurch, ihre Ziele auf ganzheitliche Weise anzugehen. Stattdessen hört sie auf diejenigen, die am lautesten schreien können: multinationale und industrielle Unternehmen. Die bäuerliche Stimme derer, die Tag für Tag mit den Konsequenzen der EU-Politik leben müssen, wird von profitorientierten Privatinteressen übertönt. Diese Politik zerstört Abertausende von Kleinbetrieben, was in der Folge die Ernährungssicherheit der gesamten Bevölkerung gefährdet.

Um Privatinteressen Weniger zu schützen und durchzusetzen, ignoriert die EU derzeit ihre Verantwortung gegenüber ihren Bürger*innen, Verbraucher*innen, kleinen und mittleren Erzeuger*innen sowie bäuerlichen Familienbetrieben und Landarbeiter*innen. Sie hat sich zwar ehrgeizige Ziele gesetzt, die radikale und systematische Änderungen der Politik und der Prioritäten erfordern. Doch sie scheint nicht bereit zu sein, diese Änderungen auch vorzunehmen. Sie erlaubt kurzfristige Gewinne, die die Gesundheit und das Wohlergehen von Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt gefährden und die Zukunft des Planeten selbst bedrohen.

Wir stellen daher die folgenden Forderungen an die europäischen und österreichischen Institutionen, damit die von ihnen selbst gesetzten Prioritäten auch umgesetzt werden:

  • Einrichtung eines EU-Verfahrens zur Reaktion auf die COVID-19-Pandemie, an dem Vertreter*innen der europäischen Bauernverbände beteiligt sind, insbesondere der kleinen und mittleren Produzent*innen (Kleinbäuer*innen, Hirt*innen, Fischer*innen usw.).
  • Vollständige Implementierung der UN-Erklärung der Rechte von Kleinbäuer*innen und anderer Menschen, die in ländlichen Gebieten arbeiten (UNDROP) in den nationalen Strategieplan zur GAP, die Berücksichtigung der in UNDROP verankerten kleinbäuerlichen Rechte bei der österreichischen SDG-Berichterstattung und die Anwendung der UNDROP als Maßstab in entwicklungspolitischen Leitlinien.
  • Einsatz Österreichs auf EU-Ebene für die Umsetzung des Green Deals und der “Farm to Fork”- und Biodiversitätsstrategien, um Ernährungssouveränität und Ernährungssicherheit für die europäische Bevölkerung so lokal wie möglich zu gewährleisten und qualitativ hochwertige, gesunde, nahrhafte und frische Lebensmittel für alle bereitzustellen. Dabei ist Ernährungsgerechtigkeit im Rahmen wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Gerechtigkeit zu gewährleisten.
  • Eine kohärente GAP-Reform, die die lokalen Agrarmärkte stärkt und den Kleinbäuer*innen ein stabiles und angemessenes Einkommen garantiert.
  • Bereitstellung von unbürokratischer Unterstützung für kleinbäuerliche Produzent*innen zum Ausbau ihrer Direktvermarktungsmöglichkeiten.
  • Eine Agrar-, Arbeits- und Sozialpolitik, die angemessene Löhne und Arbeitsbedingungen für die Landarbeiter*innen garantiert und sie vor Missbrauch und Entlassung schützt. Jeder Lohn für eine Vollzeitbeschäftigung muss über der aktuellen Armutsgefährdungsschwelle von netto 1.259 Euro liegen (ca. 1.550 Euro Brutto) Es müssen spezifische, angemessene Maßnahmen getroffen werden für – häufig migrantische – Saisonarbeiter*innen.
  • Überwindung der Hindernisse und Widersprüche innerhalb der österreichischen sowie der EU-Politik, einschließlich der Beendigung von Freihandelsabkommen.
  • Einführung umfassender sozialer, menschenrechtlicher und ökologischer Kriterien für agrarpolitische Maßnahmen und Überwachungsmechanismen zum Monitoring von Auswirkungen der EU-Agrarpolitik auf die Länder des Globalen Südens.
  • Stopp aller Versuche zur Deregulierung von GVO, einschließlich der neuen Genomiktechniken, durch strikte Umsetzung der geltenden GVO-Gesetzgebung der EU und ein Verbot von Patenten auf Pflanzen und Tiere.
  • Garantierter, fairer Zugang zu Land durch den Entwurf und die Umsetzung einer EU-Landrichtlinie zur Sicherung sozialer und ökologischer Formen der Landnutzung unter Berücksichtigung der Voluntary Guidelines on the responsible Governance of tenure of land, fisheries and forests in the context of national food security der FAO und der UNDROP.
  • Förderung der Zivilgesellschaft innerhalb der internationalen Institutionen und der darin aktiven Organisationen, wie etwa in den FAO-Diskussionen beim Committee on World Food Security (CFS) über nachhaltige Ernährungssysteme, Ernährung und Agrarökologie.

Um wirklich zu gewährleisten, dass die Rechte von Bauern, Bäuerinnen, Tierhalter*innen, kleinen und mittleren Nahrungsmittelproduzent*innen und der Bürger*innen respektiert werden, sind lokale, nationale und regionale Regierungen und Entscheidungsträger*innen auch dafür verantwortlich, eine Politik und Regulierungen umzusetzen, die diese Ziele fördern. Sie müssen denen, die weiter oben in der Kette stehen, zeigen, dass es echten Willen und Initiative gibt, unsere Ziele und Forderungen umzusetzen.

Kleinbäuer*innenrechte sind Menschenrechte. Prinzipien zur Umsetzung von Menschenrechten erfordern, dass in erster Linie die Rechte derer zu gewährleisten sind, die diskriminiert und marginalisiert werden. Wir fordern Sie daher auf, die österreichische und die EU-Politik im Sinne der Bauern, Bäuerinnen und anderer kleiner Lebensmittelproduzent*innen zu gestalten. Dies muss im Einklang mit der dringenden Politik zur Eindämmung des Klimawandels in Übereinstimmung mit dem Pariser Klimaschutzabkommen und des Verlusts der biologischen Vielfalt geschehen.

Um diese Ziele zu erreichen, fordern wir die politisch Verantwortlichen auf, sich auf diesem Weg von den Bauern, Bäuerinnen und kleinen Nahrungsmittelproduzent*innen führen zu lassen, denn sie kennen diesen Weg am besten: La Via Campesina, der bäuerliche Weg.

Mit freundlichen Grüßen,
Tina Wirnsberger
FIAN Österreich, im Namen der Unterzeichner*innen

Unterzeichnet von:
ÖBV-Via Campesina Austria (Österreichische Berg- und Kleinbäuer_innen Vereinigung)
Dreikönigsaktion – Hilfswerk der Katholischen Jungschar
FAIRTRADE Österreich – Verein zur Förderung des fairen Handels mit den Ländern des Südens
FIAN Österreich – Menschenrechtsorganisation für das Recht auf Nahrung
Kindernothilfe Österreich
KOO-Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission
SEZONIERI – Kampagne für die Rechte der Erntehelfer_innen in Österreich
Südwind Verein für Entwicklungspolitik und globale Gerechtigkeit
Welthaus Diözese Graz-Seckau

Anlässlich des Tags des kleinbäuerlichen Widerstandes am 17. April erging dieses Schreiben mit den Forderungen auf europäischer Ebene bereits an die Europäische Kommission und das Europäische Parlament im Namen von
European Coordination Via Campesina (ECVC) und ihren Mitgliedsorganisationen zusammen mit
URGENCI
European Shepherds Network (ESN)
FIAN
Friends of the Earth Europe (FoEE) als Teil der Nyéléni-Bewegung für Ernährungssouveränität in Europa und Zentralasien (Nyéléni ECA).